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Kein Führerausweisentzug nach Raserfahrt zum Spital

Datum:
31.05.2013
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Strafrecht
Stichworte:
Bundesgerichtsurteil, Führerausweisentzug, Geschwindigkeitskontrolle
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Das Bundesgericht verhandelte im Januar den Fall eines Vaters, der in St. Gallen wegen eines Notfalls auf dem Weg ins Spital massiv zu schnell gefahren war und daraufhin den Führerschein abgeben musste.

Dabei stellte das Gericht klar, dass eine Verwaltungsbehörde bei der Beurteilung von Verkehrsdelikten nur in bestimmten, begründeten Fällen von der Einschätzung der Strafbehörde abweichen darf.

Das Urteil betrifft den Fall eines Mannes, der von der Geburtsklinik angerufen wurde, da sich sein neugeborene Baby in einem lebensbedrohlichen Zustand befand. Der Vater wurde aufgefordert, unverzüglich in die Klinik zu kommen, um anstelle seiner nicht ansprechbaren Ehefrau über die Anwendung lebenswichtiger Massnahmen bei dem Kind zu entscheiden.

Auf dem Weg zur Geburtsklinik fuhr der Mann morgens um fünf Uhr mit über 60 km/h durch eine Tempo-30-Zone.

Keine Strafverfolgung bei rechtfertigendem Notstand

Die St. Galler Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Strafverfolgung, da es sich um eine Notstandssituation gehandelt habe. Die Tempoüberschreitung sei durch die Notstandshilfe gerechtfertigt gewesen.

Als rechtfertigender Notstand gelten nach Art. 17 des Strafgesetzbuches folgende Umstände:

Art. 17 StGB

Rechtfertigender Notstand

Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt.

Abweichende Beurteilung durch das Strassenverkehrsamt des Wohnkantons

Im Wohnkanton des Mannes (Thurgau) anerkannte das Strassenverkehrsamt die Rechtfertigung der Raserfahrt durch einen Notstand jedoch nicht, und entzog ihm wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln für ein Jahr den Führerschein.

Ein Rekurs gegen den Ausweisentzug wies die zuständige Rekurskommission des Kantons Thurgau ab, und begründete den Entscheid damit, es habe kein Notstand vorgelegen. Daraufhin erhob der Mann beim Verwaltungsgericht Thurgau erfolgreich Beschwerde: Das Verwaltungsgericht vertrat die Position, das Strassenverkehrsamt und die Rekurskommission hätten sich in Bezug auf die Frage des Notstandes am Entscheid der St. Galler Staatsanwaltsschaft orientieren müssen. Daher sei der Führerausweisentzug durch das Strassenverkehrsamt nicht rechtmässig.

Urteil des Bundesgerichts: Einschätzung der Strafbehörde ist bindend

Das Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau sowie die zuständige Rekurskommission beantragten daraufhin vor dem Bundesgericht, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und der Führerausweis für mindestens ein Jahr zu entziehen. Das Bundesgericht bestätigte jedoch das Urteil des Verwaltungsgerichts und beurteilte den Führerausweisentzug als nicht rechtmässig.

Das oberste Gericht stellte zudem klar, dass sich die Verwaltungsbehörde grundsätzlich an die Beurteilung des Strafrichters zu halten habe. Eine Verwaltungsbehörde dürfe nur dann von der Entschätzung des Strafrichters abweichen, «wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren oder die er nicht beachtet hat; wenn sie zusätzliche Beweise erhebt, deren Würdigung zu einem anderen Entscheid führt, oder wenn die Beweiswürdigung durch den Strafrichter den feststehenden Tatsachen klar widerspricht».

Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen: Die St. Galler Staatsanwaltschaft als Strafbehörde hätte die Umstände zur Beurteilung des Notstandes hinreichend abgeklärt. Die Verwaltungsbehörden hätten hingegen hingegen keine eigenen Beweise erhoben, die abweichende Beurteilung sei unbegründet. Daher sei die rechtliche Beurteilung der Staatsanwaltschaft für die Verwaltungsbehörden verbildlich:

«Die Verwaltungsbehörden haben keine eigenen Beweise erhoben, sondern ihre Entscheide im Wesentlichen auf die Erkenntnisse aus dem strafprozessualen Vorverfahren gestützt. Soweit ihre tatsächlichen Feststellungen von jenen der Strafbehörden abweichen, bleiben sie folglich unbelegt. Insbesondere lässt auch die Rekurskommission ihre Annahme unbewiesen, dass der Beschwerdegegner für sein Kind keine Entscheidungen habe treffen müssen und seine Anwesenheit im Spital nicht erforderlich gewesen sei. Damit vermag sie den von den Strafbehörden erstellten Sachverhalt nicht in Zweifel zu ziehen, wonach die Gegenwart des Vaters in der Klinik nötig gewesen sei, um dort anstelle seiner nicht ansprechbaren Ehefrau für das Kind über die Vornahme lebenswichtiger Massnahmen entscheiden zu können. Auch im Übrigen haben die Entzugsbehörden nicht dargetan, inwiefern die Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaft klar den Tatsachen widerspreche. Die tatsächlichen Feststellungen der Strafbehörde sind für die Verwaltungsbehörden somit verbindlich.»

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