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Strafprozess / Strafverfahren / Strafprozessrecht

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Verschiedene Verrechnungszuständigkeiten im Strafprozess

Datum:
08.08.2019
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Strafprozess / Strafverfahren
Stichworte:
Entschädigung, Strafprozess, Vermögenswerte, Verrechnung
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

StPO 442 Abs. 4

Einleitung

In der Streitsache des Falles Nr. 6B_648/2016 war umstritten, wer die zuständige Behörde für Verrechnungen ist.

Sachverhalt

Mit Urteil vom 08.04.2016 hat die Berufungskammer in Strafsachen des Kantonsgerichts des Kantons Waadt nach einem Urteil des Polizeigerichts des Bezirks La Côte vom 19.11.2014 X. namentlich eine Entschädigung von CHF 1215.– und CHF 567.– für die Aufwendungen für die Ausübung ihrer Verfahrensrechte (StPO 429 Abs. 1 lit. a) in erster beziehungsweise zweiter Instanz zugesprochen und diese Beträge mit den X. auferlegten erst- und zweitinstanzlichen Gerichtskosten verrechnet.

Prozess-History

Die Beschwerdeführerin führt beim Bundesgericht eine Beschwerde in Strafsachen gegen dieses Urteil und beantragt, unter Entschädigungsfolgen, seine Änderung in dem Sinne, dass die die Verrechnung verfügende Ziffer des Urteils aufgehoben werde.

Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung von StPO 442 Abs. 4 geltend.

Sie verweist auf die Botschaft des Bundesrates vom 21.12.2015 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts (BBl 2006 1333) und ist der Ansicht, dass allein die das Inkasso der Verfahrenskosten vornehmende Behörde und nicht die Strafbehörde ihr Verrechnung erklären könne. Sie leitet daraus ab, dass das Berufungsgericht nicht zuständig war.

Erwägungen

Angesichts des Wortlauts von StPO 442 Abs. 4 ist auch die urteilende (Straf-)Behörde allgemein zur Erklärung der Verrechnung zuständig. Sie ist im Übrigen allein dazu zuständig, wenn es sich um in StPO 442 Abs. 4 erwähnte beschlagnahmte Vermögenswerte handelt (vgl. StPO 267 Abs. 3 und StPO 268).

Nichts rechtfertige es, so das Bundesgericht, eine ausschliessliche Zuständigkeit der Inkassobehörden anzunehmen.

Die Rüge der Beschwerdeführerin erwies sich daher als unbegründet.

Entscheid

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab.

Quelle

BGer 6B_648/2016 vom 04.04.2017   =   BGE 143 IV 293 ff.

Art. 429 StPO   Ansprüche

1 Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:

a.    Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte;

b.    Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind;

c.     Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug.

2 Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen.

Art. 442 StPO   Vollstreckung von Entscheiden über Verfahrenskosten und weitere finanzielle Leistungen

1 Verfahrenskosten, Geldstrafen, Bussen und weitere im Zusammenhang mit einem Strafverfahren zu erbringende finanzielle Leistungen werden nach den Bestimmungen des SchKG eingetrieben.

2 Forderungen aus Verfahrenskosten verjähren in 10 Jahren seit Eintritt der Rechtskraft des Kostenentscheides. Der Verzugszins beträgt 5 Prozent.

3 Bund und Kantone bestimmen, welche Behörden die finanziellen Leistungen eintreiben.

4 Die Strafbehörden können ihre Forderungen aus Verfahrenskosten mit Entschädigungsansprüchen der zahlungspflichtigen Partei aus dem gleichen Strafverfahren sowie mit beschlagnahmten Vermögenswerten verrechnen.

Art. 267 StPO   Entscheid über die beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte

1 Ist der Grund für die Beschlagnahme weggefallen, so hebt die Staatsanwaltschaft oder das Gericht die Beschlagnahme auf und händigt die Gegenstände oder Vermögenswerte der berechtigten Person aus.

2 Ist unbestritten, dass ein Gegenstand oder Vermögenswert einer bestimmten Person durch die Straftat unmittelbar entzogen worden ist, so gibt die Strafbehörde ihn der berechtigten Person vor Abschluss des Verfahrens zurück.

3 Ist die Beschlagnahme eines Gegenstandes oder Vermögenswertes nicht vorher aufgehoben worden, so ist über seine Rückgabe an die berechtigte Person, seine Verwendung zur Kostendeckung oder über seine Einziehung im Endentscheid zu befinden.

4 Erheben mehrere Personen Anspruch auf Gegenstände oder Vermögenswerte, deren Beschlagnahme aufzuheben ist, so kann das Gericht darüber entscheiden.

5 Die Strafbehörde kann die Gegenstände oder Vermögenswerte einer Person zusprechen und den übrigen Ansprecherinnen oder Ansprechern Frist zur Anhebung von Zivilklagen setzen.

6 Sind im Zeitpunkt der Aufhebung der Beschlagnahme die Berechtigten nicht bekannt, so schreibt die Staatsanwaltschaft oder das Gericht die Gegenstände oder Vermögenswerte zur Anmeldung von Ansprüchen öffentlich aus. Erhebt innert fünf Jahren seit der Ausschreibung niemand Anspruch, so fallen die beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte an den Kanton oder den Bund.

Art. 268 StPO   Beschlagnahme zur Kostendeckung

1 Vom Vermögen der beschuldigten Person kann so viel beschlagnahmt werden, als voraussichtlich nötig ist zur Deckung:

a.    der Verfahrenskosten und Entschädigungen;

b.    der Geldstrafen und Bussen.

2 Die Strafbehörde nimmt bei der Beschlagnahme auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der beschuldigten Person und ihrer Familie Rücksicht.

3 Von der Beschlagnahme ausgenommen sind Vermögenswerte, die nach den Artikeln 92-94 SchKG nicht pfändbar sind.

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