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Arzthaftung: Unterlassene Operationsaufklärung und hypothetische Einwilligung

Datum:
03.03.2020
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Auftrag / Auftragsrecht
Stichworte:
Arzthaftung, Arztrecht, Auftragsrecht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

ZGB 8 – antizipierte Beweiswürdigung

Einleitung

Das Bundesgericht hatte in der Sache 4A_353/2018 die Haftung einer Ärztin für ein operationsspezifisches Risiko zu beurteilen.

Sachverhalt

Eine Patientin (Klägerin; Beschwerdeführerin) hatte sich wegen persistierender Beschwerden an der rechten Schulter nach einem Reitunfall in Behandlung gegeben. Der erstbehandelnde Arzt liess ein MRI erstellen und veranlasste diverse präoperative neurologische Abklärungen der rechten Schulter. Es wurde ein leichtes CTS (Carpaltunnelsyndrom; d.h. ein Kompressionssyndrom des Mittelnervs im Bereich der Handwurzel) beidseits, diagnostiziert. Ursache des nächtlichen Einschlafparästhesien der rechten Hand schienen ein leicht- bis mittelgradig ausgeprägtes CTS rechts zu sein.

Nach Besprechung der Befunde überwies der erstbehandelnde Arzt die Patientin zur Besprechung und Operation an seine Kollegin (Beklagte; Beschwerdegegnerin), welche die Einzelheiten der Operation mit der Patientin besprach. Auch sie erachtete eine Operation als notwendig. Die Patientin wünschte die Schulteroperation. Vorher wurden Operation, Nachbehandlungen und mögliche Komplikationen nochmals diskutiert.

Nach durchgeführter Operation litt die Patientin weiterhin an persistierenden Schulterbeschwerden. Es musste ihr eine Schulterprothese eingesetzt werden. Folge davon war eine Dysfunktion der rechten Hand.

Die Patientin machte nun die Beklagte für ihre Probleme an der Hand verantwortlich. Sie warf ihr namentlich vor, sie nicht über mögliche Alternativen zu einem operativen Eingriff informiert zu haben.

Sie erhob Klage vor dem Kantonsgericht Schaffhausen und verlangte, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr einen nach Ende des Beweisverfahrens zu beziffernden Betrag (geschätzter Mindestwert Fr. 600’000.– nebst Zins) zu bezahlen.

Prozess-History

  • Klageabweisung durch das Kantonsgericht Schaffhausen
  • Berufung ans Obergericht des Kantons Schaffhausen
  • Abweisung des Rechtsmittels durch das Obergericht des Kantons Schaffhausen
  • Vor beiden Instanzen wurde der Klägerin die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

Erwägungen der Vorinstanz

Das Obergericht ging davon aus, es habe an einer hinreichenden Aufklärung vor der Operation gefehlt. Es kam aber zum Schluss, die Klägerin hätte auch bei hinreichender Aufklärung der Operation zugestimmt. Eine durch pflichtwidriges Verhalten verursachte Verletzung anlässlich der Operation habe die Klägerin nicht nachweisen können. Nachdem zwei spätere Operationen vorgenommen worden seien, lasse sich eine derartige Verletzung auch durch ein Aktengutachten nicht nachweisen.

Erwägungen des Bundesgerichts

Werde die Patientin nicht über die Risiken einer geplanten Operation aufgeklärt, liege die Beweislast für Aufklärung und Einwilligung beim Arzt. Bestehe keine solche Einwilligung, könne sich der Arzt auf eine hypothetische Einwilligung berufen. Dabei obliege ihm die Beweislast, wobei der Patient mitwirken müsse.

Der Patientin habe glaubhaft zu machen oder persönliche Gründe anzuführen, warum sie sich bei Kenntnis der Risiken der Operation widersetzt hätte. Mache die Patientin keine persönlichen Gründe geltend, sei darauf abzustellen, ob ein vernünftiger Patient nach objektivem Massstab den Eingriff abgelehnt hätte.

Die Patientin gab keine persönlichen Gründe an und machte lediglich geltend, sie hätte sich bei gehöriger Risikoaufklärung «wie jeder vernünftige Patient» nicht für die OP, sondern für eine konservative Behandlung entschlossen.

Gemäss Vorinstanz galt die durchgeführte Operation für diesen Fall als medizinisch überlegene Behandlung.

Daraus folgerte die Vorinstanz, dass die Patientin sich auch bei vollständiger Aufklärung für eine Operation entschieden hätte, womit eine hypothetische Einwilligung vorliege.

Das Bundesgericht pflichtete dieser Betrachtung bei und musste daher den Entscheid der Vorinstanz schützen.

Entscheid

  1. Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.
  2. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wurde abgewiesen.
  3. Die Gerichtskosten von Fr. 8’500.– wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.
  4. Dieses Urteil wurde den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.

Quelle

BGer 4A_353/2018 vom 01.04.2019

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