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Mietrecht / Miete / Mietvertrag / Mietrecht / Wohnungsmiete / Wohneigentum

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Grundlagenirrtum bei der Wohnungsfläche

Datum:
30.09.2020
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Mietrecht / Miete / Mietvertrag
Stichworte:
Mietrecht, Wohnungsmiete
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

BV 9 + 29 Abs. 2; ZGB 8; OR 20, 23, 24 Abs. 1 Ziffer 4, 31 Abs. 1 und 2, 253 und 259a ff.

Einleitung

Im konkreten Fall ging es um eine Wohnungsmiete, bei der u.a. im Rahmen des Angebots von zwei Wohnungen die Flächenangaben vertauscht wurden.

Sachverhalt

Nach dem Wohnungsbezug (01.05.2010) ergab die Flächenüberprüfung des Mieter-Ehepaars, dass ihre Wohnung – anders als in Vertrag und Wohnungsplan – nicht 113 m2, sondern nur 107 m2 gross war. Die Rüge der Mieter erfolgte erstmals im Dezember 2014.

Die Vermieterin räumte ein, dass die Pläne der beiden 6 Zimmer-Wohnungen aus Versehen vertauscht worden seien und die Wohnung des betreffenden Ehepaars tatsächlich nur eine Fläche von 108,3 m2 aufweise. Die Vermieterin bestritt indessen, dass es sich bei der Flächenabweichung von unter 5 % um einen Mangel handle, der zu einer Mietzinsreduktion berechtige.

In Bezug auf die falsche Flächenangabe blieb strittig, ob ein wesentlicher Irrtums vorliege und wenn ja, ob dieser zu einer Mietzinsherabsetzung berechtige.

Prozess-History

Die kantonalen Instanzen gaben dem Mieter-Ehepaar Recht, weshalb die Vermieterin ans Bundesgericht gelangte.

Erwägungen

Das Bundesgericht ging im Hinblick auf die Rechtzeitigkeit der Irrtumsmitteilung wurde davon ausgegangen, dass die Mieter nicht verpflichtet waren, bei der Wohnungsübergabe die Grösse der Wohnung nachzuprüfen.

Unrichtige Flächenangabe als subjektives Element des Irrtums:

Das Bundesgericht anerkannte, dass sich die Mieter angesichts des Sachverhalts (siehe oben) in einem subjektiv wesentlichen Irrtum befunden hätten.

Unrichtige Flächenangabe als objektives Element des Irrtums:

  • Bezüglich des objektiven Elementes des wesentlichen Irrtums war festzustellen, dass die Flächendifferenz 4,5 % beträgt (4,7 × 100/113). Nach Ansicht der Vermieterin sei es ausgeschlossen, von einem wesentlichen Irrtum zu sprechen, weil diese Zahl «weniger als die Hälfte dessen darstellt, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als tolerierbare Untergrenze betrachtet wird».
  • Eine Flächendifferenz von ungefähr 4 % wird grundsätzlich nicht als objektiv wesentlicher Irrtum qualifiziert
  • Die Umstände des vorliegenden Falles führen gemäss Bundesgericht jedoch zu einem anderen Schluss, wie nachfolgend aufzuzeigen ist:
    • Vermieterin hat den Mietern zwei fast identische Wohnungen angeboten (neuwertig, gleiche Anzahl Zimmer, gleiches Stockwerk), die sich allein in Fläche und Preis unterschieden, und Wahl der Mieter, die Wohnung mit dem höheren Mietzins
    • Entscheid der Vermieterin, die genaue Fläche beider Wohnungen in den jeweiligen Verträgen festzuhalten und den entsprechenden Mietzins gestützt auf diese Fläche festzulegen (was sie selber einräumt
    • Offensichtlichkeit, dass sich die Mieter für die Wohnung mit dem höheren Mietzins entschieden haben, um die grössere Wohnfläche zu erhalten
    • Klar Erkennbarkeit dieser Wahl der Mieter für die Vermieterin
  • Die Vermieterin kann daher heute nicht in gutem Glauben behaupten, der Flächenunterschied sei für die Mieter nicht ausschlaggebend gewesen, den Vertrag zu den vereinbarten Konditionen (höherer Mietzins) abzuschliessen
    • Die gemietete Fläche war somit massgebendes Kriterium für die Bemessung und Festsetzung des Mietzinses, eine Tatsache, die nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr objektiv als eine notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet werden durfte

Zur Erkennbarkeit und zur Teilungültigkeit:

  • Die Erkennbarkeit des Irrtums für die Vermieterin führt zur Aufhebung des Vertrags (vgl. OR 23, OR 24 Abs. 1 Ziffer und OR 31)
  • Die Vermieterin kann den Mietern, um dieser Konsequenz zu entgehen, nicht vorwerfen, sie hätten die Situation nicht geklärt und sich daher daran gewöhnt, weil sie über das Vorhandensein des Irrtums beim Vertragsabschluss völlig ahnungslos waren
  • Daher war mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die Mieter den Vertrag wegen des wesentlichen Irrtums im Sinne von OR 24 Abs. 1 Ziffer 4 rechtswirksam für teilweise ungültig erklärt haben.

Weitere Mängel

Auf die Mietzinsreduktion wegen Problemen mit der Heizung, unangenehmer Gerüche und einer Baustelle im Gebäude wird an diese Stelle nicht eingegangen.

Ergebnis

  • Teilungültigkeit des Mietvertrags wegen Grundlagenirrtums, mit Mietzinsreduktionsfolge.

Quelle

BGer 4A_108/2019 vom 22.01.2020 = Praxis 109 (2020) Nr. 84

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