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Selbständiges + dauerndes Baurecht: Zulässigkeit einer flächenmässigen Aufteilung?

Datum:
25.02.2021
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Sachenrecht / Immobiliarsachenrecht
Stichworte:
Baurecht, Grundbuch
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

ZGB 655 Abs. 3 Ziffer 2

Einleitung

Im Rechtsmittelverfahren 5A_341/2019 vor Bundesgericht (BGer) ging es um folgende Fragen:

  • Teilbarkeit von selbständigen und dauernden Baurechten (s+d BR) in Gleichstellung mit physischen Grundstücken?
  • Änderung oder Neubegründung?
  • Erfordernis der Mindestdauer von 30 Jahren (Restlaufzeit) auch für den abgespaltenen Teil des s+d BR?

Sachverhalt

„A.a. Die Ortsbürgergemeinde U.________ ist Eigentümerin des Grundstücks LIG U.________/xxx mit einer Fläche von 27’004 m2. Sie errichtete daran vier selbständige und dauernde Baurechte, die als Grundstücke in das Grundbuch aufgenommen wurden. Berechtigt sind die A.________ AG auf einer Fläche von 10’920 m2 (SDR Nr. xxx-1), die B.________ AG auf einer Fläche von 3’570 m2 (SDR Nr. xxx-2), die C.________ AG auf einer Fläche von 7’482 m2 (SDR Nr. xxx-3) und die D.________ AG auf einer Fläche von 5’005 m2 (SDR Nr. xxx-4). Das selbständige und dauernde Baurecht der A.________ AG hat eine Laufzeit bis 16. Mai 2038.

A.b. Die A.________ AG verfügt über mehr Fläche als sie tatsächlich benutzt. Hingegen hat die B.________ AG zusätzlichen Platzbedarf. Die beiden Baurechtsnehmerinnen und die Ortsbürgergemeinde einigten sich darauf, in Abänderung der seinerzeitigen Dienstbarkeitsverträge die Fläche der Baurechtsparzelle SDR Nr. xxx-1 der A.________ AG zu verkleinern, aus der frei werdenden Fläche die Baurechtsparzelle SDR Nr. xxx-5 zu machen und diese der B.________ AG zuzuweisen. Das Rechtsgeschäft wurde am 28. November 2017 öffentlich beurkundet.

A.c. Mit Eingabe vom 14. Dezember 2017 meldete die Urkundsperson das Rechtsgeschäft beim Grundbuchamt V.________ als Mutation Nr. yyy zur Eintragung an, und am 19. Dezember 2017 wies dieses die Anmeldung ab. Das Grundbuchamt begründete seinen Entscheid hauptsächlich mit dem Argument, selbständige und dauernde Baurechte könnten nicht geteilt werden. Nach summarischer Prüfung sei zusätzlich festzustellen, dass der Inhalt als objektiv wesentlicher Punkt des Baurechts in der Urkunde nicht umschrieben werde, dass die vorgenommene Bereinigung der Dienstbarkeiten und der Vormerkungen (Übertragung auf das neue Baurecht) nicht zulässig sei und dass das neue Baurecht bis am 16. Mai 2038 gelten solle, weshalb es weniger als 30 Jahre dauere und folglich die Blattanlage und Pfanderrichtung nicht möglich seien.“

Prozess-History

  • Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI)
    • Beschwerde der Ortsbürgergemeinde U.________, die A.________ AG und die B.________ AG gelangten beschwerdeweise an das Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI), Abteilung Register und Personenstand
    • Abweisung der Beschwerde durch das DVI am 31. Mai 2018, mit der Begründung, die Grundbuchanmeldung könne aus folgenden Gründen nicht vollzogen werden:
      • (1) Der ursprüngliche Dienstbarkeitsvertrag sehe keine vertragliche Aufteilung oder Abänderung vor
      • (2) Die «Rollenverteilung» würde unklar bleiben, weil namentlich nicht eindeutig hervorgehe, wer das neue Baurecht errichte, wer Baurechtsberechtigter und -belasteter sei und welche rechtliche Beziehung zwischen der aktuellen Baurechtsnehmerin und der zusätzlichen Baurechtsnehmerin bestehe
      • (3) Ungewöhnliche Formulierungen («dieses neue Grundstücksblatt wird mit Zustimmung der Grundeigentümerin […] verkauft» und wonach «das neue Baurecht […] inhaltlich mit dem bereits bestehenden Baurecht der B.________ AG […] korrespondieren soll») würden sachenrechtlich eine eindeutige Umschreibung vermissen lassen
      • (4) Selbständige und dauernde Baurechte könnten nicht wie Liegenschaften geteilt oder vereinigt werden
      • (5) Es gälte ohnehin eine Mindestdauer von 30 Jahren einzuhalten
  • Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
    • Die drei Vertragsparteien gelangten an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
    • Abweisung der Beschwerde durch das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 27. März 2019.
  • Bundesgericht
    • Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 26. April 2019 gelangen die Ortsbürgergemeinde U.________, die A.________ AG und die B.________ AG (fortan: Beschwerdeführerinnen) an das Bundesgericht, dem sie beantragen, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen; eventualiter sei das Grundbuchamt V.________ anzuweisen, die öffentliche Urkunde bzw. die Mutation Nr. yyy im Grundbuch einzutragen.
    • Das Bundesgericht hat von Amtes wegen das Bundesamt für Justiz, welches die Oberaufsicht über das Grundbuchwesen ausübt (Art. 956 Abs. 2 ZGB und Art. 6 GBV), zu einer Vernehmlassung eingeladen, welche es am 28. Februar 2020 erstattet hat
      • Die Beschwerdeführerinnen haben dazu am 11. März 2020 repliziert
    • Ausserdem hat die Geschäftsleitung der Grundbuchämter des Kantons Bern am 19. Mai 2020 drei Fragen des Bundesgerichts zu Ziff. 3.7 des Handbuchs für den Verkehr mit den Grundbuchämtern und die Grundbuchführung des Kantons Bern beantwortet
      • Auch dazu haben die Beschwerdeführerinnen Stellung genommen.  

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht (BGer) erwog dazu folgendes:

  • Gleichstellung mit Grundstücken
    • Das selbständige und dauernde Baurecht ist mit Bezug auf seine Stellung im Rechtsverkehr den Grundstücken gleichgestellt (BGE 135 III 103 E. 4, mit weiteren Hinweisen)
    • Wie hievor dargetan, fingiert das Gesetz, dass die selbständigen und dauernden Rechte Grundstücke sind und vom Rechtsanwender so angesehen werden sollen, «als ob» sie Grundstücke im eigentlichen Sinne wären
  • Besonderheiten des Baurechts als Dienstbarkeit
    • Den Besonderheiten des Charakters des Baurechts als Dienstbarkeit ist Rechnung zu tragen
  • Teilung des s+d BR vs. Parzellierung von Grundstücken
    • Das (selbständige und dauernde) Baurecht hat in jedem Fall wie eine Liegenschaft eine in Quadratmeter erfassbare räumliche Ausdehnung (indem es die Bodenparzelle insgesamt oder nur einen Teil davon belastet; ZGB 779b Abs. 1)
    • Sodann kann es, anders als alle anderen Grunddienstbarkeiten aber wie eine Liegenschaft, mit Grund- oder Personaldienstbarkeiten, namentlich mit einem selbständigen und dauernden Baurecht oder auch mit Grundpfandrechten belastet werden, und wie eine Liegenschaft, als Stammgrundstück für die Begründung von Stockwerkeigentum dienen
    • Bei der hievor erwähnten Ausgangslage ist a priori nicht ersichtlich, weshalb im Rahmen der gesetzlichen Fiktion die fehlende Körperlichkeit des Gegenstandes eine Teilung des selbständigen und dauernden Baurechts ausschliessen soll bzw. weshalb das selbständige und dauernde Baurecht nicht auch hinsichtlich der Teilung einer Liegenschaft im Sinne von ZGB 655 Abs. 2 Ziff. 1 soll gleichgestellt werden können
    • Vorinstanz
      • Keine andere Meinung
      • Aber VGer AG erachtet das von den Beschwerdeführerinnen vereinbarte Geschäft deshalb als nicht eintragungsfähig, weil:
        • ein neues Hauptbuchblatt eröffnet werden solle und
        • das Erfordernis der Mindestdauer von 30 Jahren nicht erfüllt sei
  • Auswirkungen des konkreten Grundbuchanmeldungsvorhabens
    • Die Beschwerdeführerinnen beabsichtigten die flächenmässige Aufteilung einer bestehenden Baurechtsdienstbarkeit, die sich auf gleich- und nachrangige Rechte nicht auswirkt und der Inhalt der Dienstbarkeit mit Ausnahme der flächenmässigen Aufteilung unverändert bleibt
    • Mit diesem Vorgehen sollte das mit der Baurechtsdienstbarkeit belastete Grundstück weder eine Ent- noch eine zusätzliche Belastung oder Erschwerung erfahren; aus der Sicht des Baurechtsgebers stellte sich die Situation unverändert dar
    • Daher lag im vorbeschriebenen Vorgehen jedenfalls keine (Neu-)Begründung einer Baurechtsdienstbarkeit vor
  • Materielles Ergebnis
    • Zusammenfassend ergab sich was folgt:
      • Wird ein bestehendes selbständiges und dauerndes Baurecht flächenmässig aufgeteilt, bleiben der Inhalt der Dienstbarkeit im Übrigen unverändert und die gleich- und nachrangigen Rechte Dritter gewahrt, muss das Erfordernis der Mindestdauer von 30 Jahren für das im Umfang der ausgeschiedenen Fläche neu zu eröffnende Hauptbuchblatt nicht erfüllt sein
      • Anders zu entscheiden liesse die gesetzliche Mindestdauer zum Selbstzweck verkommen
  • Prozessuales Ergebnis
    • Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen erwies sich die Beschwerde als begründet und es war das angefochtene Urteil aufzuheben
    • Das Verwaltungsgericht habe indes die weiteren im kantonalen Verfahren umstrittenen Voraussetzungen für die Eintragung des angemeldeten Geschäfts (Frage, ob der bestehende Dienstbarkeitsvertrag mittels integriertem «Verkauf» des zu errichtenden Baurechtsgrundstücks zwischen der bisherigen und der hinzutretenden Baurechtsnehmerin abgeändert werden darf; beabsichtigte Lastenbereinigung [und damit die Frage, ob mit dem von den Beschwerdeführerinnen gewählten Vorgehen mit Ausnahme des Flächenmasses der Inhalt der (ursprünglichen) Dienstbarkeit SDR Nr. xxx-1 verändert worden ist bzw. ob für die Baurechtsdienstbarkeit SDR Nr. xxx-5 andere Bestimmungen gelten sollen]; Mutationsurkunde) nicht geprüft (E. 7 S. 14 des angefochtenen Entscheids)
    • Daher war die Sache antragsgemäss an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen, damit es ebendiese Voraussetzungen prüfe
    • Bei diesem Ergebnis obsiegten die Beschwerdeführerinnen
  • Kostenfolgen
    • Dem Kanton Aargau waren keine Gerichtskosten aufzuerlegen, zumal die kantonalen Behörden in ihrem amtlichen Wirkungskreis gehandelt haben und es nicht um ihre Vermögensinteressen ging (BGG 66 Abs. 4)
    • Hingegen soll der Kanton Aargau die Beschwerdeführerinnen entschädigen (BGG 68 Abs. 1).

Entscheid des Bundesgerichts

  1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 27. März 2019 (WBE.2018.250) wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
  2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
  3. Der Kanton Aargau hat die Beschwerdeführerinnen für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 10’000.– zu entschädigen.
  4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, und dem Bundesamt für Justiz BJ schriftlich mitgeteilt.

BGer 5A_341/2019 vom 19.10.2020

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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