LAWNEWS

Werkvertrag / Vertragsrecht

QR Code

Regiearbeiten: Verzicht auf die vorbehaltene Schriftform durch vorbehaltslose Unterzeichnung der Regierapporte

Datum:
25.10.2022
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Werkvertrag
Stichworte:
Regiearbeiten, Regierapporte, Schriftformvorbehalt
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

OR 373 f. + OR 16

Einleitung

Der in einem Bauwerkvertrag vereinbarte Schriftformvorbehalt gilt für Regiearbeiten konkludent als aufgehoben, wenn

  • die Bestellung der Regiearbeiten nie schriftlich erfolgte und
  • die Regierapporte seitens der Bestellerin mehrheitlich gleichwohl ohne entsprechenden Vorbehalt unterzeichnet wurden.

Sachverhalt

Die A.________ AG (Beschwerdeführerin) betrieb die Errichtung eines Landhauses in U.________, in deren Rahmen das Einzelunternehmen B.________ (Beschwerdegegner) betraut wurde, mit

  • Gipserarbeiten
  • Deckenbekleidungen
  • Innenputz
  • Ausführung von Stuckaturen.

Die Parteien schlossen am 02./12./19.08.2013 einen Werkvertrag,

  • den Regeln der SIA-Norm 118, Ausgabe 1977/1991, unterstellt und
  • mit Entlöhnung nach tatsächlichen Einheitspreisen bzw. nach Ausmass, teilweise nach Regie. In der Folge gerieten die Parteien insbesondere bei der Ermittlung der Ausmasse in Streit.

Mit Schlussrechnung vom 16.09.2014 fakturierte der Beschwerdegegner:

  • Fr. 512’499.03 für Ausmassleistungen und
  • Fr. 332’468.85 für Regiearbeiten,
  • total Fr. 844’967.90.

Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner insgesamt Fr. 526’428.55 bezahlte.

Prozess-History

  • Handelsgericht des Kantons Zürich (HGZ)
    • Am 17.05.2018 erhob der Beschwerdegegner beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage über die Restforderung von Fr. 318’539.35.
    • Das Handelsgericht hiess die Klage am 08.06.2021 mit seinem Entscheid HG180085-O teilweise gut und verpflichtete die Beschwerdeführerin, dem Beschwerdegegner Fr. 91’455.60 (netto, inkl. MWST), zuzüglich Verzugszins, zu bezahlen.
      • Im Mehrbetrag wies es die Klage ab.
      • Die Gerichtsgebühr von Fr. 27’000.– auferlegte es nach Massgabe ihres Obsiegens zu 70% dem Beschwerdegegner und zu 30 % der Beschwerdeführerin.
      • Dieser wurde zulasten des Beschwerdegegners eine reduzierte Parteientschädigung von Fr. 11’000.– zugesprochen.
  • Bundesgericht (BGer)
    • Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragte die Beschwerdeführerin,
      • die Klage sei abzuweisen und die Gerichtsgebühr sei vollumfänglich dem Beschwerdegegner aufzuerlegen.
      • Dieser sei zu verpflichten, ihr eine volle Parteientschädigung auszurichten.
      • Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
    • Der Beschwerdegegner beantragte
      • die Abweisung der Beschwerde,
      • eventualiter die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Durchführung eines weiteren Schriftenwechsels und eines Beweisverfahrens.

Erwägungen

Nachfolgend ist punktuell auf bestimmte Erwägungen des BGer einzugehen, die für jeden Bauherrn bei der Wahrung seiner Rechte im Baualltag und für die spätere «Werklohn-Abwehr» von Unternehmern und Handwerkern wichtig sind:

Regiearbeiten

Gemäss BGer sind die Erwägungen der Vorinstanz nicht nur schlüssig, sondern weder willkürlich, noch bundesrechtswidrig:

  • Ausführung von Regiearbeiten, unter Verzicht auf den vereinbarten Schriftformvorbehalt
    • Stillschweigender oder konkludenter Verzicht auf den Schriftformvorbehalt
      • Die Vorinstanz begründet überzeugend, weshalb sie davon ausging, dass die Parteien,
        • obwohl sie für die Ausführung von Regiearbeiten einen Schriftformvorbehalt vereinbart hatten,
        • diesem in der Praxis nicht nachlebten,
        • sodass der Formvorbehalt stillschweigend oder konkludent aufgehoben wurde; vgl. Erw. 5.3:
          • «Ist für einen Vertrag, der vom Gesetz an keine Form gebunden ist, die Anwendung einer solchen vorbehalten worden, so wird vermutet, dass die Parteien vor Erfüllung der Form nicht verpflichtet sein wollen (Art. 16 Abs. 1 OR). Der vertragliche Formvorbehalt kann jederzeit formfrei aufgehoben werden. Die Aufhebung ist auch stillschweigend oder durch konkludentes Handeln möglich, wie insbesondere dann, wenn die Parteien sich über die vereinbarte Form hinwegsetzen oder den Vertrag vorbehaltlos erfüllen (vgl. BGE 125 III 263 E. 4c S. 268; Urteil 4A_41/2009 vom 1. April 2009 E. 4.1; je mit Hinweisen).»
    • Rechtsanwendung von Amtes wegen
      • Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist in diesem Zusammenhang ohne Belang,
        • ob und in welcher Form der Beschwerdegegner diesen Einwand erhoben hat;
        • da das Gericht das Recht von Amtes wegen anwandte.
    • Leistungsnachweis der Regiearbeiten durch Rapporte ausreichend
      • Es genügte laut BGer, dass der Beschwerdegegner gestützt auf die Rapporte die entsprechenden Regiearbeiten behauptete und darlegte.
    • Ermahnungen des Bauleiters: Kritik an der VI ohne Willkür-Geltendmachung
      • Soweit die Beschwerdeführerin vorbringe, die wiederkehrenden Ermahnungen des Bauleiters und ihrerseits belegten, dass keine Aufhebung der Formvorschriften erfolgt sei, habe sie die vorinstanzliche Beweiswürdigung kritisiert, ohne eine Willkür darzutun.
    • Unter Vorbehalt unterzeichnete Rapporte
      • Gleiches wie hievor gelte, indem die Beschwerdeführerin gerügt habe, angesichts der zahlreichen nur unter Vorbehalt unterzeichneten Regierapporte sei insofern von keiner Zustimmung auszugehen.
  • Vorbehalte der Beschwerdeführerin auf den Rapporten
    • Richtigkeitsvermutung der Rapportvorbehalte nicht widerlegt
      • Die Vorinstanz begründet laut BGer schlüssig, dass die auf den Rapporten angebrachten Vorbehalte mangels weiterer Erläuterungen der Beschwerdeführerin nicht genügten, um die Vermutung der Richtigkeit der Rapporte zu widerlegen.
    • Keine Aushebelung des Schutzmechanismus des Formvorbehalts
      • Wenn die Beschwerdeführerin behaupte, die Vorinstanz heble den vereinbarten Schutzmechanismus des Formvorbehalts zu ihren Lasten aus, so verhalte sie sich zudem widersprüchlich angesichts der Tatsache,
        • dass gemäss willkürfreier Feststellung der Vorinstanz keine einzige schriftliche Beauftragung vorliege und
        • dass die Bauleitung die Regierapporte dennoch – grösstenteils vorbehaltlos – genehmigt habe.
    • Kein Vorliegen von Beauftragungs-Dokumenten, sondern nur von Ausführungs-Bestätigungen in der Form von Regierapporten
      • Im Übrigen bestünden, wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend erwog, zwar nicht für die Beauftragung, wohl aber für die Bestätigung der Ausführung der Regiearbeiten schriftliche Dokumente, indem die Bauleitung den Grossteil der Regierapporte unterzeichnete.
  • Von der Beschwerdeführerin anerkannte Regieleistungen
    • Der Vorinstanz war zuzustimmen, dass die Beschwerdeführerin damit die Ausführung der Regieleistungen insoweit grundsätzlich anerkannt habe.

Fälligkeit der Werklohnrestanz

Das BGer stützt die Erwägungen der Vorinstanz, weshalb sie, selbst unter der Annahme, die von der Beschwerdeführerin angerufene Klausel käme zur Anwendung, die strittigen Forderungen als fällig beurteilt. Es ist nicht ersichtlich, dass sie Bundesrecht verletzt hätte:

  • Fälligkeit der Restforderung
    • Der Beschwerdegegner hat die Fälligkeit der Restforderung geltend gemacht und damit hinreichend behauptet.
  • Abnahme des Werks
    • Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erfolgte die Abnahme des Werks infolge Einreichung der Schlussabrechnung.
  • Keine Willkür, keine ungenügende Substanziierung durch den BG und keine Verletzung der Dispositionsmaxime
    • Soweit die Beschwerdeführerin anderes vorbringe, belege sie keine Willkür.
    • Ihr Einwand der ungenügenden Substanziierung durch den Beschwerdegegner erweise sich daher als unbegründet.
    • Es könne daher auch nicht gesagt werden, die Vorinstanz hätte die Dispositionsmaxime verletzt.
  • Verjährungsregelung
    • Ob die gesetzliche Verjährungsregelung zur Anwendung gelange oder die von der Beschwerdeführerin angerufene Vertragsklausel, sei im Übrigen eine Frage der Rechtsanwendung, welche von Amtes wegen zu erfolgen habe, so das BGer.
  • Abnahme des Werks durch Bewohnbarkeit
    • Gemäss BGer war nicht zu beanstanden,
      • dass die Vorinstanz von der Abnahme des Werks ausging, und zwar angesichts der Tatsache,
      • dass die Beschwerdeführerin gemäss willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz Arbeiten des Beschwerdegegners
        • von Dritten hat ausführen resp.
        • beenden lassen, sowie namentlich des Umstands,
      • dass die Liegenschaft seit Jahren ihrem Zweck gemäss bewohnt wird,
  • Garantiefrist
    • Laut BGer gelte dies ebenso für den postulierten Ablauf der Garantiefrist sowie den augenscheinlichen Verzicht der Beschwerdeführerin auf
      • Revisionspläne und
      • Dokumentationen.
  • Keine Anrufung der fehlenden Bank- oder Versicherungsgarantie
    • Das BGer stimmte der Vorinstanz zu,
      • dass sich die Beschwerdeführerin unter diesen Umständen nicht mehr auf die fehlende Bank- oder Versicherungsgarantie berufen könne resp.
      • dass die genannten Voraussetzungen die Fälligkeit der Restforderung nicht hindern können.
  • Keine Abhängigkeit der Fälligkeit von der Werkabnahme
    • Für das BGer erwies sich die Auffassung der Vorinstanz als zutreffend,
      • wonach die Fälligkeit nicht von der unterschriftlichen Zustimmung des Bestellers zur Werkabnahme abhängen kann, andernfalls dieser sie stets hindern könnte.

Fazit

Die Rügen der Beschwerdeführerin mit Bezug auf die Fälligkeit erwiesen sich somit als unbegründet. Es könne grundsätzlich offen bleiben, ob die Vorinstanz der von der Beschwerdeführerin angerufenen Klausel im Werkvertrag zu Recht die Anwendung versagt habe. Im Übrigen habe sie auch dies schlüssig begründet.

Unterliegensfolgen

Die Beschwerde war abzuweisen. Ausgangsgemäss habe die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen und den Beschwerdegegner angemessen zu entschädigen (BGG 66 Abs. 1 und BGG 68 Abs. 1 und 2).

Entscheid

  1. «Die Beschwerde wird abgewiesen.
  2. Die Gerichtskosten von Fr. 5’000.– werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
  3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6’000.– zu entschädigen.
  4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.»

BGer 4A_377/2021 vom 29.06.2022

 

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

Vorbehalt / Disclaimer

Diese allgemeine Information erfolgt ohne jede Gewähr und ersetzt eine Individualberatung im konkreten Einzelfall nicht. Jede Handlung, die der Leser bzw. Nutzer aufgrund der vorstehenden allgemeinen Information vornimmt, geschieht von ihm ausschliesslich in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko.

Urheber- und Verlagsrechte

Alle in dieser Web-Information veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheide und Leitsätze, soweit sie von den Autoren oder den Redaktoren erarbeitet oder redigiert worden sind. Der Rechtschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Web-Information darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – sämtliche technische und digitale Verfahren – reproduziert werden.