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Erbrecht

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Nachlassgegenstände: Erinnerungsstücke von ideellem Wert – Lösungsansätze

Datum:
19.04.2024
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Erbrecht
Thema:
Nachlassgegenstände
Stichworte:
Auszeichnungen, Erben, Erinnerungsstücke, Familienporträts, Familienschriften, Fotoalben, ideeller Wert, Nachlass, Nachlassgegenstände, Sachgesamtheiten, Trophäen, Veräusserungsverbot
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Einleitung

Im Erbrecht wird in der Regel nur von Werten gesprochen, geschrieben und publiziert.

Sogenannte «Erinnerungsstücke» sind beim Erben und Vererben für bestimmte Erben ein delikates Thema.

Erinnerungsstücke

Bei den sog. „Erinnerungsstücken“ geht es um die Wahrung des Andenkens an den Erblasser:

  • Familienschriften
    • Familienschriften sind für die familiären Beziehungen rund um den Erblasser von Bedeutung
      • Stammbäume
      • Familienbüchlein
      • Geburts- und Trauurkunden
      • Tagebücher
      • Korrespondenzen
      • usw.
  • Gegenstände von besonderem Erinnerungswert
    • Gegenstände des Andenkens an den Erblasser können sein:
      • Fotoalben
      • Familienporträts
      • Trophäen
      • Auszeichnungen
      • sonstige Gegenstände mit Affektionswert.

Rechtslage

Entsprechend konkretisiert die Norm ZGB 613 – nebst ZGB 612 – den Grundsatz der Naturalteilung:

  •  1
    • betrifft ihrer Natur nach zusammengehörende Gegenständeund bestimmt für diese ein Trennungsverbot.
  •  2
    • betrifft Familienschriften und Gegenstände mit Affektionswert( «Erinnerungsstücke») und gewährt jedem Erben die Beantragung eines Veräusserungsverbots.
  •  3
    • enthält für beide Arten eine subsidiäre behördliche Entscheidungskompetenz.

Sachgesamtheiten + Trennungsverbot (ZGB 613 Abs. 1)

Die von ZGB 613 Abs. 1 angesprochenen sog. «Sachgesamtheiten» betreffen

  • eine Mehrzahl rechtlich unabhängiger und einzeln verteilbarer, aber ihrer Natur nach zusammengehörenden Einzelstücken, wie:
    • Kunstsammlung, zB einer speziellen Epoche oder Künstlers
    • Fotosammlung
    • Geschirrservice
    • Fachbibliothek
    • Briefmarkensammlung

Auf Antrag eines Erben statuiert ZGB 613 Abs. 1 ein sog. «Trennungsverbot». Einzige Voraussetzung ist ein entsprechendes Begehren eines gesetzlichen oder eingesetzten Erben; eine Lehrmeinung verlangt zusätzlich die Glaubhaftmachung eines Wertverlusts durch den betreffenden Erben.

Im Unterschied zu Abs. 2 wird bei Abs. 1 nicht der Verkauf ausgeschlossen, sondern nur die Trennung entsprechenden Gegenstände.

Veräusserungsverbot von Familienschriften + Gegenständen mit Affektionswert (ZGB 613 Abs. 2)

Hinsichtlich der Familienschriften und Gegenstände mit Affektionswert kann jeder gesetzliche oder eingesetzte Erbe gestützt auf ZGB 613 Abs. 2 das Begehren stellen, dass diese Sachen nicht veräussert werden sollen.

Im Unterschied zu Abs. 1 wird bei Abs. 2 nicht die Trennung ausgeschlossen, sondern der Verkauf der Gegenstände.

Behördliche Mitwirkung bei Uneinigkeit der Erben (ZGB 613 Abs. 3)

Der Geltungs- bzw. Anwendungsbereich von ZGB 613 Abs. 3 ist umstritten:

  • Entscheidkompetenz allgemein
    • Die zuständige Behörde hat Entscheidungskompetenz, anstelle der uneinigen Erben anhand objektiver Kriterien eine den konkreten Umständen und den Interessen aller Erben gerecht werdende Lösung zu treffen
  • Entscheidungskriterien
    • Ortsgebrauch;
    • bei Fehlen eines Ortsgebrauchs die persönlichen Verhältnisse der Erben
      • zB Geschlecht;
      • zB Beziehung zum Erblasser
  • Entscheidkompetenz bei Sachgesamtheiten
    • Bei Sachgesamtheiten kann die Behörde verbindlich anordnen:
      • den Verkauf;
      • das Verfahren
        • Freihandverkauf;
        • Versteigerung;
      • oder
      • die Zuteilung an einen Erben unter Festlegung des Anrechnungswertes.
    • Keine Kompetenz der Behörde
      • In die Zuständigkeit des Teilungsrichters (ZGB 604) fallen:
        • die Teilung einer Sachgesamtheit;
        • der Entscheid darüber, ob eine Sachgesamtheit vorliegt.
  • Entscheidkompetenz bei Familienschriften und Gegenständen mit Affektionswert
    • Bei Familienschriften und Gegenständen mit Affektionswert kann die Behörde anordnen:
      • die Versteigerung unter den Erben
      • oder
      • die Zuteilung an die Erben unter Festsetzung des Anrechnungswertes.
  • Zuständigkeit und Verfahren
    • ZGB 613 Abs. 3 normiert die Mitwirkung der Behörde bei Uneinigkeit der Erben:
      • Zuständigkeit und Verfahren werden durch die kantonale Einführungsgesetzgebung (vgl. ZGB SchlT 54) bestimmt.
      • Die zuständige Behörde wird nur auf Begehren mindestens eines Erben hin tätig und damit nicht von Amtes wegen.

Wert?

Die Erben nehmen je nach Interessenlage, Motive, Strategie und Taktik der Geltendmachung ihres Zuteilungsrechtes unterschiedliche Wertungen in der wirtschaftlichen Bedeutung von Familienschriften und Erinnerungstücken vor:

  • Bei intakten Beziehungsverhältnissen der Erben können Zuweisung und Bewertung meist ohne Probleme erledigt werden.
  • Bei streitenden Erben werden nicht selten auch die Erinnerungsstücke mit in den Konflikt über Zuteilung und Wert miteinbezogen.

Betrachtung von aussen

Für den Aussenstehenden scheinen die Erinnerungsstücke oft unbedeutend, insbesondere im Vergleich zum materiellen Vermögen, wie Liegenschaften, Wertpapier-Portfolio usw.

Betrachtung von innen

Von innen, d.h. aus der Perspektive des Erblassers oder der Erben, sind Gegenstände von Affektionswert und zB Werkentwürfe alles andere als banal.

Wer Erbstreitigkeiten analysiert, stellt hinter den Motiven einiges fest:

  • Soziale (Familien-)Strukturen
  • Kulturelle Normen + Ethik
  • Ethnische Orientierungen von Familien
  • Kulturanalyse
    • Neid
    • Konkurrenz
    • Stolz
    • Scham
  • Emotionspraxis
  • Profitabilitätsdenken

Die entscheidende Frage ist:

„Wer kriegt was?»

Faktoren für die Lösungssuche und Lösungsfindung sind:

  • Artikulation
    • Zugehörigkeiten
    • Ausgrenzungen
    • Werte
  • Innerfamiliäre Logiken bzw. (Hack-)Ordnung
  • Gesellschaftliche Verhältnisse
  • Präferierung des Stammhalters
  • Das Prinzip „Das Gut fliesst wie das Blut.“
  • Nachkommen, die weiterhin bei den Eltern wohnen, um sich in der Vermögensnachfolge vorteilhafter positionieren zu können

Weitere Faktoren sind:

  • eigene Anerkennung
  • Abrechnung, weil man sich als Nachkomme zeitlebens von den Eltern und Geschwistern benachteiligt fühlte
  • Erzielung von Genugtuung
  • Gelegenheit, dass der eigene Entscheid lösungsnotwendig ist und die Miterben beim „Nein-Sagen“ machtlos sind und den Richter anrufen müssen.
  • Pflegedienstleistungen der direkten Nachkommen, um sich zu legitimieren

Die Analyse der Behandlung von Erinnerungsstücken kann offenlegen:

  • Eine ökonomisch verengte Perspektive
  • Eine rationalis­tische Perspektive.

Beispiel für Entscheidungskriterien

Bewahrung zum Beispiel der väterlichen Armbanduhr mit gemischten Gefühlen, weil der Vater zwar nie da, aber so erfolgreich war.

So lässt sich zum Beispiel ein Nachlasskonflikt unter Umständen erst lösen, wenn verhandelt ist, wer Vaters Rolex-Uhr erhält.

Vernunfthandeln?

Oft folgen Erben und Vermächtnisnehmer nicht den Massstäben der Vernunft. Sie sind aufgrund ihrer familieninternen (Lebens-)Erfahrungen ohnmächtig und/oder wütend, und zwar so, dass sie zerstörerisch handeln, selbst wenn ihr Verhalten gesellschaftlichen Normen zuwiderläuft.

Diese Verhaltens-Normen müssen immer wieder ausgehandelt werden — in der Gesellschaft und in der Familie. Ob dies gelingt, ist einzelfallabhängig.

Fazit

Auch im Bereiche der Erinnerungsstücke steht das Erbrecht auf dem Boden primär der Erbeneinigung und sekundär der Entscheidung der zuständigen Behörde oder des Teilungsrichters.

Die Bewertung der Erinnerungsstücke ist bedeutend schwieriger, weil ein indikativer Marktwert fehlt.

Im Verkaufsfalle bestimmen Angebot und Nachfrage sowie der Vertragsabschluss den Verkehrswert.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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