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Eherecht / Eheschliessung / Ehe / Eherecht / Ehescheidung / Familienrecht

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Einheitliche Berechnungsmethode für familienrechtlichen Unterhalt

Datum:
10.03.2021
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Eherecht / Eheschliessung / Ehe
Stichworte:
Familienunterhalt, Kindesunterhalt
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Praxisänderungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht (BGer) hat wichtige Fragen zum Unterhaltsrecht geklärt und hiezu teilweise die bisherige Praxis geändert.

Zur Berechnung sämtlicher Arten von Unterhalt – für Kinder oder Ehegatten – soll künftig nur noch angewandt werden:

  • eine bestimmte Methode.

Zudem hat das Bundesgericht eine Praxisänderung zu folgenden Fragestellungen vorgenommen:

  • Frage, wann einem Ehegatten nach der Trennung oder Scheidung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zuzumuten ist
  • Frage, in welchen Fällen von einer lebensprägenden Ehe auszugehen ist.

Im Einzelnen:

Unterhaltspflicht für Kinder und Ehegatten

  • Allgemeines
    • Die Unterhaltspflicht besteht für Eltern gegenüber ihren gemeinsamen Kindern und bei der Trennung oder Scheidung allenfalls für einen Ehegatten gegenüber dem anderen
  • Praxisänderungen
    • Das BGer hat dazu in 5 Grundsatzurteilen seit November 2020 wichtige Fragen geklärt und mehrere Praxisänderungen eingeleitet

Berechnungsmethode

  • Die Urteile
    • Drei Urteile, nämlich 5A_311/2019, 5A_891/2018, 5A_800/2019 (siehe „Weiterführende Informationen unten), betreffen die Methode zur Berechnung aller Arten des Unterhalts, d.h.
      • Barunterhalt des Kindes inkl. Betreuungsunterhalt
      • ehelicher Unterhalt
      • Scheidungsunterhalt
  • Bisherige Praxis des Methodenpluralismus
    • Bisher überliess das BGer die Wahl der Berechnungsmethode den kantonalen Gerichten (sog. Methodenpluralismus)
    • Dies führte zu einer heterogenen Unterhaltsberechnungs-Praxis in der Schweiz
  • Bisherige Berechnungsmethoden
    • Die unterschiedlichen Berechnungsmethoden
      • variierten
        • zwischen den Kantonen
        • innerhalb eines Kantons
      • vermischten sich teilweise bei der Anwendung
  • Schwierige anwaltliche Beratung
    • Unterschiedliche Berechnungsmethoden machen die anwaltliche Beratung schwierig
  • Beeinträchtigte Rechtssicherheit
    • Die unterschiedlichen Berechnungsmethoden gingen auf Kosten der Rechtssicherheit
  • Unbefriedigende Ergebnisse bei Kantonswechsel
    • Bei einem Kantonswechsel konnten zu unbefriedigende Ergebnisse eintreten
  • Neue Berechnungsmethode
    • Künftig ist die Höhe aller Unterhaltsleistungen anhand der sog. „zweistufigen Methode mit Überschussverteilung“ zu berechnen
      • Dabei werden zunächst ermittelt:
        • Gesamteinkommen der Eltern beziehungsweise der Ehegatten (gegebenenfalls auch der Kinder)
        • Festlegung des Bedarfs von allen Betroffenen
        • Soweit die vorhandenen Mittel die (familienrechtlichen) Existenzminima übersteigen,
          • ist der Überschuss nach der konkreten Situation ermessensweise zu verteilen
        • Bei ungenügenden Mitteln kommt
          • an erster Stelle der Barunterhalt für die minderjährigen Kinder
          • an zweiter Stelle der Betreuungsunterhalt
          • an dritter Stelle ein allfälliger ehelicher oder nachehelicher Unterhaltsanspruch eines Ehegatten
          • zuletzt der Unterhalt für volljährige Kinder
  • Weitere Details zur Anwendung der neuen Berechnungsmethode

Vereinheitlichung bei der Auflösung des gemeinsamen Haushalts

  • Das Urteil
    • Ausgangspunkt für die Vereinheitlichung der Berechnungsmethode bildete der Fall 5A_311/2019, in welchem nach der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes die Obhut über das Kind dem Vater zugesprochen wurde
  • Vater mit Obhutsrecht
    • Ausgangslage
      • Weil der Vater mehr verdiente als die Mutter, kamen die kantonalen Gerichte zum Schluss,
        • dass er auch den gesamten Barunterhalt für das Kind bestreiten müsse;
        • dass er dieses betreue, dürfe keinen Einfluss auf die Verteilung der finanziellen Lasten haben, da eine geldwerte Belohnung für die Übernahme der Erziehung des Kindes keinen Sinn mache, wenn der andere Elternteil ebenfalls wünsche, die Betreuung übernehmen zu dürfen;
        • dass die Kinderbetreuung einen Zuwachs an Lebenserfahrung bedeute, welche es nicht finanziell zu entschädigen gelte
    • Grundsatz
      • Das BGer rief in diesem Zusammenhang den Grundsatz in Erinnerung,
        • wonach Geldunterhalt und Naturalunterhalt (Betreuungsleistung) gleichwertig seien
        • wonach derjenige, welcher seinen Beitrag durch die Betreuung des Kindes leiste, nicht auch noch für dessen Kosten aufzukommen habe
    • Ausnahme
      • Von diesem Grundsatz könne allerdings ermessensweise ganz oder teilweise abgewichen werden, wenn der betreuende Elternteil finanziell deutlich besser gestellt sei

Präzisierung der Grundsätze des Scheidungsrechts

  • Die Urteile
    • In zwei weiteren Urteilen, nämlich 5A_907/2018, 5A_104/2018, hat das BGer verschiedene Grundsätze des Scheidungsrechts präzisiert
  • Aufgabe der sog. „45er-Regel“
    • Das BGer gibt nun die sog. «45er-Regel» auf
      • Die „45er-Regel“ bedeutet, dass einem Ehegatten die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht mehr zuzumuten ist,
        • wenn er während der Ehe nicht berufstätig war und
        • wenn im Zeitpunkt der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts beziehungsweise bei der Scheidung das 45. Altersjahr bereits erreicht hatte
  • Zumutbarkeit einer Erwerbsarbeit
    • Voraussetzung bei der Zumutbarkeit
      • Neu ist stets von der Zumutbarkeit einer Erwerbsarbeit auszugehen, soweit
        • eine solche Möglichkeit tatsächlich besteht und
        • keine Hinderungsgründe vorliegen wie insbesondere die Betreuung kleiner Kinder
    • Relevanz der effektiven Verhältnisse
      • Massgeblich sind
        • die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles und
        • damit unter anderem Kriterien wie
          • das Alter
          • die Gesundheit
          • bisherige Tätigkeiten
          • persönliche Flexibilität
          • die Lage auf dem Arbeitsmarkt
    • Definition der lebensprägenden Ehe
      • Das BGer hat den Begriff der lebensprägenden Ehe, welche im Scheidungsfall einen Anspruch auf Beibehaltung des bisherigen ehelichen Lebensstandards gibt, weiterentwickelt
    • Bisherige Lösung
      • Bislang wurde eine lebensprägende Ehe bereits angenommen nach einer Dauer von 10 Jahren oder – unabhängig davon – bei einem gemeinsamen Kind
    • Vermeidung eines unerwünschten „Kippeffektes“
      • Mit der bisherigen, relativ starren Lösung ging der unerwünschte Kippeffekt einher, dass
        • entweder von einer nur ganz kurzen Unterhaltsrente (bei nicht lebensprägender Ehe);
        • oder aber einer prinzipiell dauerhaften Fortführung der ehelichen Lebenshaltung ausgegangen wurde (bei lebensprägender Ehe)
  • Neue individuelle Prüfung
    • Neu ist eine individuelle Prüfung erforderlich, ob die konkrete Ehe das Leben der Ehegatten entscheidend geprägt hat;
      • im Fall der Bejahung ist die Dauer der Scheidungsrente vor dem Hintergrund der konkreten Umstände des Einzelfalles zeitlich angemessen zu befristen
  • Neue Definition „lebensprägend“
    • Nach der neuen Definition erscheint eine Ehe dann als „lebensprägend“, wenn
      • ein Ehegatte seine ökonomische Selbständigkeit zugunsten der Haushaltsbesorgung und Kinderbetreuung aufgegeben hat;
      • es dem Ehegatten deshalb nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an seiner früheren beruflichen Stellung anzuknüpfen, während der andere Ehegatte sich angesichts der ehelichen Aufgabenteilung auf sein berufliches Fortkommen konzentrieren konnte.
  • Urteil des Bundesgerichts 5A_907/2018 vom 03.11.2020 = BGE 147 III 249 ff.
  • Urteil des Bundesgerichts 5A_311/2019 vom 11.11.2021 = BGE 147 III 265 ff.
  • Urteil des Bundesgerichts 5A_891/2018 vom 02.02.2021 = BGE 147 III 293 ff.
  • Urteil des Bundesgerichts 5A_104/2018 vom 02.02.2021 = BGE 147 III 308 ff.
  • Urteil des Bundesgerichts 5A_800/2019 vom 09.02.2021 = BGE 147 III 301 ff.

Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 09.03.2021, 12.01 Uhr

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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