AIG 63 Abs. 1 lit. c
Einem ausländischen Staatsangehörigen, welcher vor seiner Frühpensionierung Sozialhilfe bezog, wurde die Niederlassungsbewilligung widerrufen, weil er Ergänzungsleistungen erhält.
Das Bundesgericht (BGer) hiess die Beschwerde des Betroffenen gut.
Da
- im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils keine Sozialhilfeabhängigkeit mehr bestand und
- der Bezug von Ergänzungsleistungen kein Widerrufsgrund ist,
blieb die Niederlassungsbewilligung bestehen.
«Ein ausländischer Staatsangehöriger, welcher seit Ende 1993 über eine Niederlassungsbewilligung verfügt, erhält seit dem 1. April 2021 infolge Frühpensionierung eine AHV-Rente und Ergänzungsleistungen. Davor bezog er während einiger Jahre Sozialhilfe. Am 8. April 2020 entzog ihm die Abteilung Migration des Kantons Appenzell Ausserrhoden die Niederlassungsbewilligung. Die gegen diese Verfügung beim Departement Inneres und Sicherheit und beim Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden erhobenen Rechtsmittel wurden abgewiesen. Mit Beschwerde gelangte der ausländische Staatsangehörige an das Bundesgericht. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt das Ende November 2021 ergangene vorinstanzliche Urteil auf. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung muss, im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils, die konkrete Gefahr der Sozialhilfeabhängigkeit noch andauern. Zu diesem Zeitpunkt bezog der Beschwerdeführer jedoch keine Sozialhilfe mehr, sondern seit rund acht Monaten eine AHV-Rente mit Ergänzungsleistungen. Der Widerrufsgrund der Sozialhilfeabhängigkeit im Sinne von Artikel 63 Absatz 1 Buchstabe c Ausländer- und Integrationsgesetz (AlG) bestand demnach zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils nicht mehr. Gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung fallen Ergänzungsleistungen nicht unter den Begriff der Sozialhilfe, auch wenn gewisse Ähnlichkeiten bestehen. Ausserdem hat der Gesetzgeber den Bezug von Ergänzungsleistungen gerade nicht als Widerrufsgrund eingeführt. Folglich lag im konkreten Fall im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils kein Widerrufsgrund vor, die Niederlassungsbewilligung kann nicht entzogen werden und bleibt somit bestehen.»
Quelle: Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 02.02.2023
BGer 2C_60/2022 vom 27.12.2022
Art. 63 AIG Widerruf der Niederlassungsbewilligung
1 Die Niederlassungsbewilligung kann nur widerrufen werden, wenn:
a.117die Voraussetzungen nach Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a oder b erfüllt sind;
b. die Ausländerin oder der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet;
c. die Ausländerin oder der Ausländer oder eine Person, für die sie oder er zu sorgen hat, dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist;
d.118die Ausländerin oder der Ausländer in rechtsmissbräuchlicher Weise versucht hat, das Schweizer Bürgerrecht zu erschleichen, oder ihr oder ihm dieses aufgrund einer rechtskräftigen Verfügung im Rahmen einer Nichtigerklärung gemäss Artikel 36 des Bürgerrechtsgesetzes vom 20. Juni 2014119 entzogen worden ist;
e.120…
2 Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen und durch eine Aufenthaltsbewilligung ersetzt werden, wenn die Integrationskriterien nach Artikel 58a nicht erfüllt sind.121
3 Unzulässig ist ein Widerruf, der nur damit begründet wird, dass ein Delikt begangen wurde, für das ein Strafgericht bereits eine Strafe oder Massnahme verhängt, jedoch von einer Landesverweisung abgesehen hat.122
117 Fassung gemäss Ziff. IV 3 des BG vom 19. Juni 2015 (Änderung des Sanktionenrechts), in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2016 1249; BBl 2012 4721).
118 Eingefügt durch Anhang Ziff. II 1 des Bürgerrechtsgesetzes vom 20. Juni 2014, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2016 2561; BBl 2011 2825).
119 SR 141.0
120 Ursprünglich: Bst. d. Aufgehoben durch Ziff. IV 3 des BG vom 19. Juni 2015 (Änderung des Sanktionenrechts), mit Wirkung seit 1. Jan. 2018 (AS 2016 1249; BBl 2012 4721).
121 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 16. Dez. 2016 (Integration), in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2017 6521, 2018 3171; BBl 2013 2397, 2016 2821).
122 Eingefügt durch Anhang Ziff. 1 des BG vom 20. März 2015 (Umsetzung von Art. 121 Abs. 3–6 BV über die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer), in Kraft seit 1. Okt. 2016 (AS 2016 2329; BBl 2013 5975).
Quelle
LawMedia Redaktionsteam