BGFA 12 lit. a – Disziplinarverfahren gegen Anwälte
Der Beschwerdeführer RA A.
- hatte unzulässigerweise in einem Erbteilungsverfahren mit der anwaltlich vertretenen Gegenpartei Kontakt aufgenommen und
- sich dabei in unnötig verletzender Weise geäussert.
Die Äusserungen der Gegenpartei, auf welche der Beschwerdeführer A. reagiert hatte, wurden immerhin als «indirekte Provokation» gewertet.
Im Einzelnen:
Provokation durch die Gegenpartei
Aus einem Briefwechsel zwischen den Parteien erfuhr Rechtsanwalt A. von seiner Klientin C., dass ihn eine der Gegenparteien, E., als sehr fragwürdigen Anwalt qualifizierte, der offenbar nicht die Interessen seiner Klientin vertrete sowie Kläger und Beklagte in ein kostspieliges Gerichtsverfahren drängen wolle, von dem letztlich A. profitiere.
Im Direktkontakt-Schreiben des Rechtsanwalts A. an die Gegenpartei E. waren markige Äusserungen enthalten:
- «… so ein sackfreches und heimtückisches Schreiben wie von Ihnen …» und
- «… sollten Sie nochmals Ihr Maul im gleichen Sinne aufreissen …».
Direktkontakt mit der Gegenpartei
Der Direktkontakt von RA A. mit einer anwaltlich vertretenen Gegenpartei verstösst gegen die Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Ausübung des Anwaltsberufs gemäss BGFA 12 lit. a.
Mitteilung von RA A. an den Berufskollegen H.
Rechtsanwalt A. informierte gleichentags Gegenanwalt H. mit separatem Schreiben über sein Vorgehen.
Prozess-History
- Anzeige an die Aufsichtsbehörde (RA-AB)
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- RA H. erstattete gegen RA A am 21.03.2022 Anzeige bei der Anwaltskammer St. Gallen.
- Entscheid der RA-AB
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- Die RA-AB stellte mit Entscheid vom 04.07.2022 einen mehrfachen Verstoss gegen die Berufsregeln fest und büsste RA A. mit CHF 800.–.
- Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen
- Gegen den Entscheid der RA-AB erhob A. Beschwerde an das Verwaltungsgericht St. Gallen.
Erwägungen des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen
Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigte im Wesentlichen den vorinstanzlichen Entscheid:
- Zum Direktkontakt
- Vor dem oberwähnten Hintergrund kam auch das VerwGer SG zum Schluss, dass die direkte Kontaktaufnahme des Beschwerdeführers mit der Gegenpartei unzulässig war.
- Zum «geharnischten Schreiben»
- Das VerwGer SG wies zunächst daraufhin, dass die besondere Stellung des Anwalts bestimmte Pflichten mit sich bringe.
- Der Beschwerdeführer habe immer, wenn er in seiner Funktion als Anwalt auftrete, sorgfältig und gewissenhaft zu handeln (BGFA 12 lit. a).
- Als Rechtsanwalt auf diesen Brief – der nicht an ihn adressiert gewesen sei – mit einem (gemäss seinen eigenen Worten) «geharnischten Schreiben», das ausfällige, nicht sachbezogene Äusserungen enthalte, direkt an die Gegenpartei zu reagieren, diente weder der Sache noch einer gehörigen Interessenwahrung seiner Mandantin. Mit der von ihm gewählten Ausdrucksweise habe der Beschwerdeführer zusätzlich eine Eskalation des Streits riskiert. (vgl. Erw. 3.3).
- Die Rügen von RA A. hat das VerwGer SG im Übrigen verworfen.
- Das VerwGer SG wies zunächst daraufhin, dass die besondere Stellung des Anwalts bestimmte Pflichten mit sich bringe.
Der Beschwerde von RA A. war daher kein Erfolg beschieden.
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen
- Abweisung der Beschwerde.
VerwGer SG B 2022/137 vom 06.12.2022
(rechtkräftig)
Art. 12 BGFA Berufsregeln
Für Anwältinnen und Anwälte gelten folgende Berufsregeln:
- Sie üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus.
- Sie üben ihren Beruf unabhängig, in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung aus.
- Sie meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen.
- Sie können Werbung machen, solange diese objektiv bleibt und solange sie dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht.
- Sie dürfen vor Beendigung eines Rechtsstreits mit der Klientin oder dem Klienten keine Vereinbarung über die Beteiligung am Prozessgewinn als Ersatz für das Honorar abschliessen; sie dürfen sich auch nicht dazu verpflichten, im Falle eines ungünstigen Abschlusses des Verfahrens auf das Honorar zu verzichten.
- Sie haben eine Berufshaftpflichtversicherung nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, abzuschliessen; die Versicherungssumme muss mindestens eine Million Franken pro Jahr betragen; anstelle der Haftpflichtversicherung können andere, gleichwertige Sicherheiten erbracht werden.
- Sie sind verpflichtet, in dem Kanton, in dessen Register sie eingetragen sind, amtliche Pflichtverteidigungen und im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege Rechtsvertretungen zu übernehmen.
- Sie bewahren die ihnen anvertrauten Vermögenswerte getrennt von ihrem eigenen Vermögen auf.
- Sie klären ihre Klientschaft bei Übernahme des Mandates über die Grundsätze ihrer Rechnungsstellung auf und informieren sie periodisch oder auf Verlangen über die Höhe des geschuldeten Honorars.
- Sie teilen der Aufsichtsbehörde jede Änderung der sie betreffenden Daten im Register mit.
Weiterführende Informationen
Tipp der LawMedia-Redaktion
Bei Provokationen sollte man das weitere Vorgehen nie sofort entscheiden, sondern ein- oder zweimal überschlafen.
Quelle
LawMedia Redaktionsteam