MWSTG 22, 28 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 82 Abs. 1 lit. f
Sachverhalt
Eine zuvor in der Industrie tätige Aktiengesellschaft (AG) schloss ihre Fabrik und vermietete das Fabrikgrundstück anschliessend für Zwischennutzungen.
Im Hinblick auf die Vermietungsleistung optierte die AG (vgl. MWSTG 22 Abs. 1).
2018 verkaufte sie das Grundstück an eine andere Gesellschaft, die das Fabrikgebäude rückbaute, eine Wohnüberbauung erstellte und diese zu vermieten beabsichtigte. Die Kaufvertragsparteien optierten für die Versteuerung der Handänderung. Für die zukünftige Wohnungsvermietung ist die Option dagegen ausgeschlossen (vgl. MWSTG 22 Abs. 2 lit. b; siehe Box unten).
Prozess-History
- ESTV (Hauptabt. MWST)
- Mit Feststellungsverfügung gemäss MWSTG 82 Abs. 1 lit. f entschied die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), dass die Käuferin für die Rückbaukosten keine Vorsteuern abziehen dürfe.
- BVGer
- Die Käuferin wandte sich hiergegen an das Bundesverwaltungsgericht (BVGer).
- Das BVGer gab der Käuferin Recht und gestattete den Vorsteuerabzug.
- BGer
- Die ESTV erhob Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und argumentierte unter Hinweis auf MWSTG 28 Abs. 1, Mehrwertsteuerpflichtige könnten im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich laufend die von ihnen wirtschaftlich getragenen Vorsteuern abziehen.
Erwägungen des Bundesgerichts
Grundsätzlich kein Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht bei Leistungen, welche für die Erbringung von mehrwertsteuerfreien Leistungen verwendet werden,
- für deren Versteuerung nicht optiert wurde oder
- nicht optiert werden kann.
Vgl. MWSTG 29 Abs. 1
Zur Frage der Rückbaukosten konnte sich das BGer auf das Präjudiz von BGer 2C_166/2016 vom 27.10.2017 berufen und erwägen:
- Soweit die vorsteuerbelasteten Rückbaukosten von der bisherigen Grundeigentümerin (Veräussererin) veranlasst wurden,
- orientierte sich die Vorsteuerberichtigung an der bisherigeren Gebäude-Verwendung.
- Für den neuen Grundeigentümer (Erwerber) bildete der Rückbau demgegenüber Teil der Roherschliessung des Grundstücks
- im Hinblick auf die künftige unternehmerische Nutzung (Erstellung nicht-optierter Wohnflächen) ohne Vorsteuerabzugsberechtigung.
Diese Rechtsprechung war aus einem weiteren Grund zu bestätigen:
- Die nur temporäre (optierte) Zwischenvermietung genügte nicht, um den Rückbau als Phase «Abbruch/Verkauf» zu qualifizieren.
- Die zeitlich limitierte Zwischenvermietung des Fabrikareals stellte aus Sicht der bisherigen Grundeigentümerin noch keine eigenständige Phase «Betrieb» dar, sondern nur eine rein akzessorische Nebentätigkeit.
Entscheid des Bundesgerichts
- Gutheissung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten der ESTV, unter Kostenfolgen;
- Rückweisung an die Vorinstanz zur Neuverlegung der vorinstanzlichen Kosten und Entschädigungen.
BGer 2C_876/2020 vom 13.09.2022
Art. 22 MWSTG Option für die Versteuerung der von der Steuer ausgenommenen Leistungen
1 Die steuerpflichtige Person kann unter Vorbehalt von Absatz 2 jede von der Steuer ausgenommene Leistung durch offenen Ausweis der Steuer oder durch Deklaration in der Abrechnung versteuern (Option).
2 Die Option ist ausgeschlossen für:
- Leistungen nach Artikel 21 Absatz 2 Ziffern 18, 19 und 23;
- Leistungen nach Artikel 21 Absatz 2 Ziffern 20 und 21, wenn der Gegenstand vom Empfänger oder von der Empfängerin ausschliesslich für Wohnzwecke genutzt wird oder genutzt werden soll.
Art. 29 MWSTG Ausschluss des Anspruchs auf Vorsteuerabzug
1 Kein Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht bei Leistungen und bei der Einfuhr von Gegenständen, die für die Erbringung von Leistungen, die von der Steuer ausgenommen sind und für deren Versteuerung nicht optiert wurde, verwendet werden.
1bis Der Vorsteuerabzug für Leistungen, die im Ausland erbracht wurden, ist im selben Umfang möglich, wie wenn sie im Inland erbracht worden wären und nach Artikel 22 für deren Versteuerung hätte optiert werden können.
2 Ungeachtet von Absatz 1 besteht ein Anspruch auf Vorsteuerabzug im Rahmen der zum Vorsteuerabzug berechtigenden unternehmerischen Tätigkeit für das Erwerben, Halten und Veräussern von Beteiligungen sowie für Umstrukturierungen im Sinne von Artikel 19 oder 61 des BG vom 14. Dezember 199067 über die direkte Bundessteuer (DBG).
3 Beteiligungen sind Anteile am Kapital anderer Unternehmen, die mit der Absicht dauernder Anlage gehalten werden und einen massgeblichen Einfluss vermitteln. Anteile von mindestens 10 Prozent am Kapital gelten als Beteiligung.
4 Holdinggesellschaften können zur Ermittlung der abziehbaren Vorsteuer auf die zum Vorsteuerabzug berechtigende unternehmerische Tätigkeit der von ihnen gehaltenen Unternehmen abstellen.
Weiterführende Informationen
Quelle
LawMedia Redaktionsteam