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Gesellschaftsrecht

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Gesellschaft mit Organisationsmangel? Was nun?

Datum:
29.09.2023
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Gesellschaftsrecht
Thema:
Organisationsmangel
Stichworte:
Gesellschaft, Handlungsfähigkeit, Konkurs, Liquidation, Misswirtschaft, Organ-Ersatz, Organisationsmangel, Sachwalter-Ernennung, Überschuldungsfeststellung, unterlassene Buchführung
Autor:
RA Urs Bürgi
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

Ein Überblick

Urs Bürgi
Rechtsanwalt und Inhaber des zürch. Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes

Einleitung

In den Medien und im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) ist immer wieder von Gesellschaften mit Organisationsmängeln zu lesen.

Was steckt hinter der Begrifflichkeit «Organisationsmangel»? Welche Optionen haben Aktionäre oder Gläubiger, wenn keine Unternehmensvertreter mehr erreichbar sind? Welche Abläufe hat der Gesetzgeber vorgesehen und welches ist die Ultima ratio für die Gesellschaft?

Definition

Von einem Organisationsmangel wird gesprochen, wenn eines der gesetzlichen Organe fehlt oder nicht richtig zusammengesetzt ist.

Grundlagen

  • ZGB 54
  • OR 731b
  • HRegV 152 ff.

Nach mehreren Gesetzesrevisionen zu dieser Querschnittmaterie besteht mit OR 731b eine Art rechtsformübergreifende Gesetzesnorm zur Abwicklung von Organisationsmängeln.

Verbreitung

Die Eröffnung von sog. «Organisationsmangel-Konkursverfahren» aufgrund von Mängeln in der Organisation belegt in den amtlichen Konkursstatistiken der Schweiz einen grossen Anteil:

2020 waren laut Angaben des Bundesamtes für Statistik (BFS) von insgesamt 14’770 eröffneten Konkursverfahren

  • 1’858 «organisationsmangel-bedingte Liquidationen nach den Vorschriften über den Konkurs».

Hinter dieser statistischen Zahl der «Organisationsmangel-Liquidationen» verbergen sich oftmals wirtschaftlich inexistente Unternehmen, welche nach stiller Liquidation zum leeren Gesellschaftsmantel mutierten und deren Beendigung in formaler Hinsicht durch die Aktionäre ohne kostspielige Unternehmensliquidation via Konkursamt der Handelsregisterlöschung zugeführt werden.

Handlungsfähigkeit der Gesellschaft

Gemäss ZGB 54 ist eine Gesellschaft nur dann handlungsfähig, wenn ihre Organe gesetzes- und statutenkonform besetzt sind.

Organisationsmangel

Ein Organisationsmangel liegt grundsätzlich vor, wenn entweder eines der gesetzlichen Organe fehlt oder dieses nicht richtig zusammengesetzt ist.

Als Organisationsmangel gelten insbesondere:

  1. Fehlen eines vorgeschriebenen Organs der Gesellschaft (zB kein Verwaltungsrat)
  2. Unrichtige Zusammensetzung des vorgeschriebenen Organs der Gesellschaft
  3. Nicht- oder nicht richtige Führung des Aktienbuchs oder des Verzeichnisses über die ihr gemeldeten wirtschaftlich berechtigten Personen.
  4. Ausgabe von Inhaberaktien, ohne dass die Beteiligungspapiere an einer Börse kotiert oder die Inhaberaktien als Bucheffekten ausgestaltet sind.
  5. Einbüssung des Rechtsdomizils am Sitz der Gesellschaft.

Externe Initiative

Liegt bei einer Gesellschaft ein Organisationmangel vor, können beim Richter die Vornahme der  erforderlichen Massnahmen verlangt werden und zwar durch:

  • die Aktionäre;
  • die Gläubiger;
  • denHandelsregisterführer.

Ob und inwieweit sich eine sog. «Organisationsklage» der Gläubiger und / oder Aktionäre rechtfertigt, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen.

Richterliche Massnahmen

Der Richter hat folgende Möglichkeiten:

  1. Fristansetzung zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes an die Gesellschaft unter Androhung ihrer Auflösung;
  2. Ernennung des fehlenden Organs oder Ernennung eines Sachwalters;
  3. Anordnung der Auflösung der Gesellschaft und Anordnung ihrer Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs.

Der Richter hat dabei diejenige Massnahme zu wählen, die am wenigsten in die Gesellschaft eingreift.

Der Leitentscheid BGE 138 III 294 gibt in Erw. 3.1.4 dem Richter eine Guideline:

  • „Der Richter soll die drastische Massnahme der Auflösung gemäss Ziffer 3 erst anordnen, wenn die milderen Massnahmen gemäss Ziffer 1 und Ziffer 2 nicht genügen oder erfolglos geblieben sind. Es gilt mithin wie im Verfahren nach Art. 736 Ziff. 4 OR das Verhältnismässigkeitsprinzip. Die Auflösung nach Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR stellt eine ultima ratio dar, also das letztmögliche Mittel, das erst zur Anwendung gelangt, wenn sich mildere Mittel nicht als sachgerecht bzw. zielführend erweisen.“

Organ-Ersatz oder Sachwalter-Ernennung

Ernennt das Gericht das fehlende Organ oder einen Sachwalter, so bestimmt es folgendes:

  • die Dauer, für welche die Ernennung gültig ist;
  • die Verpflichtung der Gesellschaft
    • zur Kostentragung;
    • zur Leistung eines Kostenvorschusses an die ernannten Personen.

Sofern und soweit ein wichtiger Grund vorliegt, kann die Gesellschaft vom Gericht die Abberufung von Personen verlangen, die dieses eingesetzt hat.

Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs

Die Auflösung der Gesellschaft aufgrund von Mängeln in der Organisation (OR 731b) ist kein Konkurs im üblichen Sinne, der durch ein Überschuldungsproblem verursacht wurde.

Dieser Sonderfall des «Konkurses» tritt – wie vorstehend ausgeführt – dann ein, wenn eines der gesetzlichen Organe fehlt oder diese nicht richtig zusammengesetzt sind.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht liegt nach einer richterlichen Auflösung und Liquidationsanordnung

  • nicht ein Konkursverfahren im Sinne des SchKG vor,
  • sondern eine «Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs».

Zu Beginn des Verfahrens weicht die «Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs» wesentlich von den «SchKG-Konkurseröffnungstatbeständen» ab. Der gesellschaftsrechtlich motivierte Verfahrensbeginn im Falle von Art. 731b Abs. 1bis Ziff. 3 OR hat auch Folgen im Rahmen der Verfahrens-Abwicklung:

  • Die allgemeine Annahme, wonach das «Liquidationsverfahren infolge eines Organisationsmangels vollständig analog eines Konkursverfahrens gemäss SchKG abgewickelt wird, trifft nicht in allen Teilen zu (vgl. auch OR 731b Abs. 4).
  • In der Praxis wird nur in den seltensten Fällen der fehlenden Überschuldung ein Unterschied zum klassischen Konkursverfahren gemacht.

Die Unterscheidung in der Rechtsnatur der Verfahrenseröffnung und Führung des Verfahrens als «Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs» hat Auswirkungen, und zwar:

  • auf bestimmte Verfahrensregeln (siehe nachfolgend: «Überschuldungsanfechtung»)
  • auf die Strafbarkeit der Organe (siehe nachfolgend: Keine Strafbarkeit wegen Misswirtschaft oder unterlassener Buchführung).

Überschuldungsfeststellung

Die zur Liquidation der Gesellschaft nach den Vorschriften über den Konkurs eingesetzten Liquidatoren haben, sobald sie eine Überschuldung feststellen, das Gericht zu benachrichtigen; es eröffnet den Konkurs (vgl. OR 731b Abs. 4).

Keine Strafbarkeit wegen Misswirtschaft oder unterlassener Buchführung

Die «SchKG-Konkurseröffnung» ist beim Straftatbestand der Misswirtschaft (StGB 165 Ziff. 1) und beim Straftatbestand der Unterlassung der Buchführung (StGB 166) objektive Strafbarkeitsbedingung.

Bei der Auflösung der Gesellschaft nach OR 731b Abs. 1 Ziff. 3 (gültig seit 31.12.2020) handelt es sich mangels Konkursgrund gemäss SchKG nicht um eine Konkurseröffnung im eigentlichen Sinne, sondern um einen richterlichen Auflösungsentscheid und um eine «Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs».

Sie genügt nicht für die Strafbarkeit:

  • Mit anderen Worten fehlt bei einer «Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs» die Möglichkeit zur Bestrafung wegen «Misswirtschaft» oder wegen «Unterlassung der Buchführung».

Vgl. hiezu auch Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Entscheid K 2-2021, vom 06.07.2021

Fazit

Organisationsmängel bei operativen Unternehmen treten meistens bei Uneinigkeiten im Aktionariat, d.h. in sog. «Pattsituationen» (zB zerstrittenes Aktionariat in Zweimann-Gesellschaften, Streit unter den Erben verstorbener Unternehmer, fehlendes Interesse der Aktionäre etc.) auf.

In Sanierungsfällen ist zunehmend anzutreffen, dass für erfolgreiche Departemente eine Auffanggesellschaft gegründet, die verlustreichen Bereiche aber zurückgelassen und das verbliebene Schrumpfunternehmen durch Organverwaisung (VR-DemissionenDomizilverwaisung usw.) dem «Organisationsmangel-Konkurs» zugeführt werden.

Bei erfolglosen Unternehmen wählen die Entscheidungsträger immer mehr den Weg der sog. «stillen Liquidationen», indem sie entweder als Organ demissionieren und/oder die Domizilgebühren nicht mehr bezahlen lassen, damit der Domizilgeber das Domizilmandat kündigt und ein diesbezüglicher Organisationsmangel eintritt. Früher oder später wird nach Benachrichtigung des Richters durch das Handelsregisteramt und aufgrund unbeantwortet bleibender Richter-Aufforderungen zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands dem Unternehmen der «Todesstoss» gegeben. Das Konkursamt hat dann die sog. «Beerdigungsarbeiten» durchzuführen, sofern und soweit nicht das Konkursverfahren mangels Aktiven eingestellt wird. Hat die Gesellschaft Aktiven, die nicht liquid waren, sind wieder die ehemaligen Organe zur Liquidation zuständig. Vermögenslose Rechtseinheiten werden beim Handelsregisteramt gelöscht.

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