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Reiserecht / Vertragsrecht

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Hotelzimmer: Von Gästen zurückgelassene Gegenstände und wie Hotels damit umgehen

Datum:
22.02.2024
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Reiserecht, Vertrag / Vertragsrecht
Thema:
Hotelzimmer
Stichworte:
Hotels, Reisen, zurückgelassene Gegenstände
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

u.a. Versuch einer rechtlichen Einordnung

Einleitung

Wir berichteten kürzlich darüber, ob und was Hotelgäste kulanterweise aus dem Hotelzimmer mitnehmen dürfen:

Hotelzimmer: Darf man Gegenstände mitnehmen?

Nun steht das Thema an, was Hotelgäste so alles liegen lassen oder vergessen mitzunehmen.

Zurück gelassene Gegenstände

Hotelgäste vergessen bei ihrer Abreise alles Mögliche in ihren Hotelzimmern:

  • Im Hoteltresor oder auf dem Nachttisch
    • Schlüssel
    • Mobiltelefone
    • Führerscheine
    • Kreditkarten
  • In der Minibar
    • Geschenke für die Daheimgebliebenen
    • Versteckte Gegenstände
  • Offen herumliegende «Fundgegenstände» und kuriose Dinge
    • Gebisse
    • Eheringe (selten zwei Eheringe, meistens nur ein Ehering)
    • Angebrochene Viagra-Schachteln
    • Sexspielzeuge
    • Ladekabel für Mobiltelefone
    • Kleider
    • Schmuck
    • Sonnenbrillen
    • Schuhe
    • Taschen
    • Gelesene Kriminalroman-Bücher
    • usw.

Diese Gegenstände werden international als «Fundgegenstände» und auch so behandelt, abgesehen von der nur abgesprochenen Rückgabe aus Diskretionsgründen (siehe hernach).

Unterschiede nach Hotelarten

Je nach der Hotelart sind es unterschiedliche Gegenstände, die liegenbleiben:

  • Stadthotels / Businesshotels
    • Smartphonekabel
    • Laptopkabel
  • Ferienhotels / Ferienresort
    • T-Shirts
    • Wecker
    • Zahnbürsten
    • Unterhemden
  • Wedding-Hotels
    • (Heirats-)Dokumente, auch schon ein Ehevertrag
    • Hochzeitstorte in Disneyschloss-Optik.

Gründe für das Zurücklassen von Gegenständen

Es lässt sich anhand der Gegenstände und der vorgefundenen Situation nicht immer einwandfrei feststellen, ob es sich um ein bewusstes oder unbewusstes Liegenlassen der Gegenstände handelt.

Gründe für das Zurücklassen gibt es jedenfalls viele:

  • Plötzliche Abreise ohne Kontrollblick in Schränke, Schubladen und durchs Zimmer
  • Taxi trifft früher als angekündigt oder erwartet ein und es gehen in der Eile bereitgelegte Gegenstände vergessen
  • Unvorsicht aus ferienbedingter Entspannung
  • Vorgängige Unordnung, die das Packen und die Kontrolle erschweren
  • Manches wird absichtlich «vergessen» bzw. liegen gelassen, weil es ausgedient hat oder nicht mehr benötigt wird
  • Luxusgäste aus bestimmten Kulturkreisen oder Staaten lassen ihre vor Ort gekaufte Garderobe im Hotelzimmer zurück
  • Vergesslichkeit.

Es gilt als anerkannt, dass Menschen auf Reisen vergesslicher sind.

Erfahrungswerte der Hotellerie

Im Durchschnitt lässt in etwa jeder zwanzigste Hotelgast irgendetwas zurück.

In rund drei Viertel der Fälle melden sich die Eigentümer der vergessenen Gegenstände nicht.

Was geschieht mit den zurückgelassenen Gegenständen?

Das Hotelpersonal hat jeden vergessenen bzw. liegengelassenen Gegenstand zu registrieren und zu archivieren.

Das ungewollt oder gewollt zurückgelassene Objekt wird also verpackt und ins hauseigene Fundbüro gebracht:

  • Das Objekt
    • erhält eine Nummer;
    • wird ins Fundregister eingetragen;
    • wird in ein Regal gestellt, bis sich der Hotelgast meldet.

Rechtliches

Grundlagen und Auslegeordnung

Es stellt sich die Frage, ob die dargestellten Sachverhalte als Anwendungsfälle folgender Subsumptionen gesehen werden können:

  • Dereliktion (Art. 729 ZGB)
    • Definition:
      • Die Dereliktion gemäss ZGB 729 zeichnet sich dadurch aus, dass der Eigentümer einer beweglichen Sache seinen Besitz an der Sache aufgibt mit der Absicht, auf sein Eigentum zu verzichten.
    • Voraussetzungen:
      • 1. die äusserlich wahrnehmbare (zB Wegwerfen der Sache) oder erklärte (zB Mitteilung an den unselbständigen, unmittelbaren Besitzer) Aufgabe des Besitzes an der Sache;
      • 2. die ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärung, auf das Eigentum zu verzichten.
    • Ausnahme:
      • Wer zugunsten einer anderen Person auf sein Eigentum verzichtet oder die Sache zuhanden einer anderen Person oder Institution aufgibt, derelinquiert nicht (vgl. BGE 115 IV 104, 106).
    • Folge der Dereliktion:
      • Die Fahrnis wird herrenlos (vgl. ZGB 718).
    • Literatur:
      • Vgl. hiezu RUSCH ARNOLD F. / SCHWANDER IVO, in: BSK ZGB II, Basel 2023, N 2 f. zu Art. 729 ZGB
    • Beispiele:
      • Sachen bewusst zurücklassen
      • Sachen wegwerfen
      • Sachen zur Entsorgung bereitstellen.
    • Schlussfolgerungen:
      • Sofern und soweit ein ausdrücklicher oder stillschweigender Eigentumsverzicht des Hotelgasts vorliegt, besteht eine Dereliktion.
  • Fundes (Art. 720 – 724 ZGB)
    • Definition:
      • Der Tatbestand des Fundes gemäss ZGB 720 Abs. 1 verlangt, dass eine bewegliche Sache verloren gegangen ist; dabei wird vorausgesetzt, dass der Verlust der Sache ohne Wissen und Willen des Eigentümers eingetreten ist und niemand daran Besitz hat.
    • Voraussetzungen:
      • Verlorene Sache
      • Informations- und Nachforschungspflichten des Finders
      • Ablieferungspflicht beim Haus- und Anstaltsfund
      • Der Fundgegenstand ist dem Anstaltsbesitzer, dem Hauseigentümer, dem Mieter oder der mit der Aufsicht betrauten Person abzugeben. Die Hotelangestellten, die einen Gegenstand im Hotelzimmer finden, haben keine Finderstellung und keine Finderrechte, auch kein Anrecht auf einen Finderlohn, und können das Eigentum am Fundgegenstand nicht erlangen (vgl. ZGB722 Abs. 3); sie haben den «Fundgegenstand» dem Hotelbetreiber abzugeben (vgl. BAUMANN LORANT ROMAN, KUKO ZGB, Basel 2018, N 7 Art. 720 ZGB)
    • Ergänzende Normen:
    • Literatur
      • BAUMANN LORANT ROMAN, KUKO ZGB, Basel 2018, N 1 ff. Art. 720 ZGB
    • Schlussfolgerung:
      • Weil das Hotelunternehmen den Besitz an diesen Gegenständen hat, ist es fraglich, ob von Fundgegenständen gesprochen werden kann.
  • Ersitzung (Art. 728 ZGB)
    • Definition:
      • Wer eine fremde bewegliche Sache ununterbrochen und unangefochten während fünf Jahren in gutem Glauben als Eigentum in seinem Besitz hält, wird Eigentümer kraft Ersitzung (ZGB 728 Abs. 1).
    • Voraussetzungen:
      • Ersitzungsobjekt
      • Ersitzungsbesitz
      • Gutgläubigkeit
      • Ablauf der Ersitzungsfrist
        • Allgemein: 5 Jahre (ZGB 728 Abs. 1)
        • Tiere: 2 Monate (ZGB 728 Abs. 11bis )
        • Kulturgüter: 30 Jahre (ZGB728 Abs. 1ter;  KGTG 2 Abs. 1)
    • Detail-Voraussetzungen
      • Gutgläubigkeit
        • Gutgläubigkeit bzw. Bewusstsein des Besitzers bzw. Aufbewahrers, dass
          • er zum Besitz als Eigentümer berechtigt ist und, dass
          • er dadurch keine Rechtsposition einer anderen Person verletzt;
        • Gutgläubigkeit im Zeitpunkt des Besitzerwerbes;
      • In concreto: Fehlender guter Glaube
        • Wer im Rahmen eines Vertragsverhältnisses (Beherbergungsvertrag) eine zurückgelassene Sache aufbewahrt, weiss allerdings im Zeitpunkt des Besitzerwerbes um die Tatsache, dass der Gegenstand einen rechtmässigen Eigentümer hat (Hotelgast).
    • Literatur
      • BAUMANN LORANT ROMAN, KUKO ZGB, Basel 2018, N 1 ff. Art. 728 ZGB
    • Schlussfolgerung:
      • Eine Ersitzung ist daher u.E. ausgeschlossen.

Subsumption

Sofern und soweit der Hotelgast Sachen bewusst zurücklässt, im Hotelzimmer wegwirft und zur Entsorgung zum Rundeimer im Zimmer stellt, liegt eine Dereliktion vor. Liegt indessen kein ausdrücklicher oder stillschweigender Eigentumsverzicht vor, so erfolgt keine Dereliktion.

Da das Hotelunternehmen den Besitz an den zurückgelassenen Gegenständen hat, bleibt es fraglich, ob von Fundgegenständen im Sinne von ZGB 720 ff. gesprochen werden kann.

Eine Ersitzung gemäss ZGB 728 dürfte nicht vorliegen. Es ist jeweils auch zu prüfen, ob nicht die weniger weitgehenden Voraussetzungen der genannten Erwerbsarten über ZGB 714 Abs. 2 erfüllt sind, wie

  • ZGB 922 ff. (Erwerb vom Nichtberechtigten und Schutz nach den Besitzesregeln)
  • ZGB 933 (anvertraute Sachen)
  • ZGB 934 (abhanden gekommene Sachen)
  • ZGB 935 (Geld, Inhaberpapiere).

Stillschweigendes Zurücklassen verlangt nach einer Situations-Auslegung

Eine abstrakte rechtliche Einordnung ist u.E. nicht möglich. Vielmehr kommt es für die Einschätzung «Vergessen» oder «absichtlich liegengelassen» auf die individuell-konkrete Situation an:

  • Art des Gegenstands (zB Schmuck vs. Zeitschrift)
  • Grösse des Gegenstands (zB Ring vs. Kleidersack)
  • Zustand des Gegenstands (zB gelesener Roman vs. neues Kleid mit Preisetikette)
  • Wert des Gegenstands (zB CHF 10‘000 vs. CHF 10)
  • Lage des Gegenstands (Vergessenslage (zB Schubladenschrank) oder neben Rundeimer, in dem das Objekt nicht platz hatte (Entsorgungsmotiv-Annahme) > Konkludenz)
  • etc.

Aufbewahrungsdauer

ohne AGB

Die Aufbewahrungsdauer im Hotelzimmer zurückgelassener Gegenstände wird vorsichtshalber länger als die 5-jährige Ersitzungsfrist dauern müssen.

Kantonale und kommunale Erlasse können Regeln zur Behandlung von «Fundgegenständen» aufstellen.

mit AGB

Oft enthalten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Regeln zu den eingebrachten und zurückgelassenen Gegenständen; viele Hotelunternehmen behandeln in ihren AGB das Thema der zurückgebliebenen Gegenstände aber gar nicht.

Aus den nachfolgenden Auszügen aus Hotel-AGB’s, die Behandlungs- und Aufbewahrungsregeln zu zurückgelassenen Gegenständen (meist als «Fundgegenstände» bezeichnet) enthalten, wird ersichtlich, dass keine einheitliche Handhabung besteht.

Keine ungebetene Nachsendung, aus Diskretionsgründen

Die Hotels veranlassen keine Nachsendungen vergessener Gegenstände an Hotelgäste, wenn diese nicht explizit darum gebeten haben:

  • Dies ist der Modus Operandi; „Diskretion ist extrem wichtig in der Hotellerie“.
  • Gründe dafür gibt es mehrere – einer davon ist etwas pikant:
    • Die Hotelpost könnte eine (heimliche) Affäre auffliegen lassen.
    • Nicht immer ist der Grund für einen Hotelaufenthalt eine Reise, von der alle wissen dürfen.

In der Regel wird der Hotelgast danach gefragt, ob und gegebenenfalls wie eine etwaige Nachsendung von statten gehen soll; ohne Absprache wrid nichts expediert.

Tipps, wie man nichts mehr vergisst

Noch einige Tipps zur Minimierung des Risikos, etwas im Hotelzimmer zu vergessen:

  • Bei kürzeren Hotelaufenthalten
    • Möglichst wenig auspacken (geöffneter Koffer als Aufbewahrungsmittel.
  • Bei längeren Hotelaufenthalten
    • Auspacken ja, aber Gegenstände in möglichst wenig Schränke und Schubladen verteilen.
    • Orte im Hotelzimmer, an denen vergessene Gegenstände vom Hotelpersonal gefunden werden:
      • vierte Schublade von links
      • unter dem Sofa
      • neben der Fensterbank
  • Hotel-Notizblock als to do-Liste
    • Hotel-Notizblöcke eignen sich für die Aufzeichnung von Hinweisen an sich selbst: Aufschrieb, wo bestimmte Gegenstände im Hotelzimmer aufbewahrt werden, v.a. wenn es sich um nicht alltägliche handelt
  • Safe-Einlage
    • Ein Muss: Kontrollblick in den Tresor
  • (Weisse) Bettdecken ausschütteln und zurückschlagen
    • Weisse Gegenstände wie weisse T-Shirts, weisse Netzkabel und dergleichen fallen in weissen Bettdecken oder auf Bettlaken nicht auf:
      • Daher: Decken ausschütteln und zurückschlagen.
  • «Scanblick» + Kontrolle von Schränken und Schubladen
    • «Scanblick» durch das Zimmer
    • Überlegung, wo beim Zimmerbezug was hingetan wurde
    • Vor dem Verlassen des Hotelzimmers systematisches Absuchen.

Fazit

Die Tipps helfen sicherlich weiter, das Vergessens-Risiko herabzusetzen.

In jedem Hotelzimmer hat es Abfalleimer, in die man Sachen, die man nicht mehr benötigt und daher zurücklässt, klärend wegwerfen kann.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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