Anwendung der Bedarfsrechnung für Ergänzungsleistungen
Das Schweizerische Bundesgericht äussert sich in einem neuen Entscheid
- zum Verhältnis der Pflicht
- zum Vorbezug von Freizügigkeitsguthaben der beruflichen Vorsorge und
- dem Anspruch auf Sozialhilfeleistungen.
- Sozialhilfebeziehende können nicht verpflichtet werden,
- sich Freizügigkeitsguthaben mit 60 Jahren vorzeitig auszahlen zu lassen,
- wenn dieses beim Erreichen der Altersgrenze von 63 Jahren zum Vorbezug der AHV-Rente bereits aufgebraucht wäre.
- sich Freizügigkeitsguthaben mit 60 Jahren vorzeitig auszahlen zu lassen,
- Die Höhe des Mittelverbrauchs misst sich dabei
- an der Bedarfsberechnung für Ergänzungsleistungen.
«Ein heute 64 Jahre alter Mann bezog ab 2013 Leistungen der Sozialhilfe. Die Sozialhilfebehörde seiner Wohngemeinde stellte die Sozialhilfeleistungen 2022 ein und forderte 78’000 Franken zurück. Sie begründete dies damit, dass der Betroffene ihr ge – genüber sein Freizügigkeitskonto verschwiegen habe. Dieses Guthaben hätte er mit 60 Jahren per April 2019 beziehen können; in diesem Fall wäre er nicht mehr von Sozialhilfe abhängig gewesen. Der Regierungsrat und anschliessend das Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigten den Entscheid.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Betroffenen gut. Vorliegend geht es um die Frage, ob der Beschwerdeführer zu Unrecht Leistungen der Sozialhilfe bezogen hat, weil er verpflichtet gewesen wäre, sein Freizügigkeitskapital im frühestmöglichen Zeitpunkt (per April 2019, fünf Jahre vor Erreichen des Rentenalters) zu beziehen. Die Sozialhilfe wird vom Subsidiaritätsprinzip beherrscht; Unterstützungen werden demnach nur gewährt, soweit die bedürftige Person sich nicht selber helfen kann oder wenn Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist. Gemäss den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) geht der Schutz der Mittel aus der beruflichen Vorsorge (Vorsorgeschutz) dem Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich bis zum Bezug einer AHV-Rente vor. Zwar kann eine Pflicht zum Bezug von Vorsorgeguthaben mit 60 Jahren nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Es wäre jedoch mit dem vorsorgerechtlichen Zweck dieser Mittel nicht vereinbar, wenn das ausbezahlte Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt des AHV-Bezugs bereits vollständig aufgebraucht wäre. Eine Verpflichtung zum vorzeitigen Bezug von Freizügigkeitsguthaben muss des – halb zumindest dann als unverhältnismässig gelten, wenn ein neuerlicher Rückfall in die Sozialhilfe droht, bevor das Alter von 63 Jahren für einen Vorbezug der AHV-Rente erreicht ist. Beim mutmasslichen Verbrauch des Freizügigkeitskapitals ist vom Bedarf gemäss der Berechnung für Ergänzungsleistungen auszugehen, der höher liegt als der sozialhilferechtliche Bedarf. Im konkreten Fall ergibt sich, dass das Freizügigkeitsguthaben des Betroffenen von rund 100’000 Franken (nach Steuern) bei einem Bezug mit 60 Jahren und jährlichen Ausgaben von rund 40’000 Franken nicht bis zum Vorbezug der AHV-Rente mit 63 Jahren gereicht hätte. Die Sozialhilfebehörde wäre damit nicht berechtigt gewesen, den Betroffenen zum Vorbezug seines Freizügigkeitsguthabens zu verpflichten. Er hat deshalb die Sozialhilfeleistungen ab 2019 rechtmässig bezogen. Für eine Rückforderung bleibt kein Raum.»
Quelle: Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 05.03.2024
BGer 8C_333/2023 vom 01.02.2024
Quelle
LawMedia Redaktionsteam