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Sozialhilferecht / Verkehrsrecht

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Achtung: IV-Antrag kann zu Fahrausweis-Verlust führen

Datum:
31.10.2024
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht, Verkehrsrecht
Thema:
Fahrausweisverlust durch IV-Antrag
Stichworte:
Fahrausweisverlust, Führerausweis, Führerausweisentzug, Führerschein, IV-Antrag, IV-Gesuch, IV-Rente
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Einleitung 

Wer den Antrag auf eine IV-Rente stellt, muss im schlimmsten Fall gewärtigen, dass er die beantragte Rente nicht erhält, aber möglicherweise den Führerausweis verliert. Dazu im Einzelnen:

Ausgangslage

Aufgrund des Massnahmenpakets «Via sicura» wurde ein Melderecht der IV-Stellen – mit Wirkung ab 01.01.2020 – eingeführt.

Gesetzliche Grundlage

  • IVG 66c
  • SVG 15d Abs. 1 lit. d

Praxis

Melderecht

  • Melderecht, keine Meldepflicht
    • IV-Stellen dürfen Strassenverkehrsämtern Ihre Zweifel an der Fahrtauglichkeit eines Versicherten melden (vgl. IVG 66c i.V.m. SVG 15d Abs. 1 lit. d), wobei das Melderecht i.d.R. nur im Zusammenhang mit Rentenleistungsanträgen genutzt wird.
    • Eine Meldepflicht besteht nicht.
  • Datenbekanntgabe
    • Die IV-Stelle ist berechtigt, im Rahmen ihrer Meldung an die kantonale Strassenverkehrsbehörde die für die Beurteilung der Fahreignung und der Fahrkompetenz erforderlichen Daten bekannt zu geben (IVG 66c Abs. 3), wie
      • Arztberichte
      • Abklärungen der IV-Stelle.
  • Information an die versicherte Person
    • Die IV-Stelle hat die versicherte Person über die Meldung ans Strassenverkehrsamt aktiv zu informieren (vgl. IVG 66c Abs. 2):
      • Bekanntzugebende Daten;
      • Zweck der Bekanntgabe;
      • Datenempfänger.
    • Die Information an die versicherte Person hat i.d.R. vor der «Meldung» zu erfolgen.
  • Meldung v.a. aus psychischen, aber auch aus körperlichen Gründen
    • Eine Meldung hat vor allem bei einer Invalidität aus psychischen Gründen zu erfolgen.
      • In solchen Fällen ist abzuklären, ob sich die psychische Erkrankung mit dem sicheren Führen von Motorfahrzeugen vereinbaren lässt:
        • allfällige negative Auswirkungen der Invalidität auf die Fahreignung der Person.
    • Eine Meldung kann auch bezüglich körperlich behinderter Personen erfolgen.
      • Körperlicher Beeinträchtigung kann oft Rechnung getragen werden, durch
        • technische Lösungen (Fahrzeugumbau);
        • Beschränkungen der Fahrberechtigung.
  • Informationsrecht der IV-Stelle
    • Damit die IV-Stelle die Fahrberechtigung einer Person in Erfahrung bringen kann, hat ihr das Strassenverkehrsamt auf Ersuchen Auskunft zu erteilen (vgl. SVG 15d Abs. 4).

Vorsorglicher Führerausweisentzug

  • Erstattet die IV-Stelle eine Meldung an das Strassenverkehrsamt, muss dem Betroffenen vorsorglich der Führerausweis ent­zogen werden.
  • Ob die Zweifel ernsthaft und/oder begründet sind, ist irrelevant:
    • Das Bundesgericht (BGer) erachtet eine Meldung der IV-Stelle als genügenden Grund für einen vorsorglichen Führerausweisentzug.

Fahreignungsuntersuchung

  • Kompetenz + Verantwortung bei der Strassenverkehrsbehörde
    • Das zuständige Strassenverkehrsamt veranlasst eine verkehrsmedizinische Untersuchung, ggf. eine verkehrspsychologische Abklärung, welche auf Kosten der versicherten Person erfolgt (vgl. BGer 1C_405/2022 vom 05.12.2022).
  • Koordination
    • Die Strassenverkehrsbehörde kann ihre Abklärungen mit der IV-Stelle koordinieren.
  • Prüfungsfokus
    • Im Unterschied zum IV-Verfahren ist aber nicht die Invaliditäts-Frage zu prüfen, sondern die Auswirkungen der (gemeldeten) gesundheitlichen Beeinträchtigung auf die Fahreignung.
  • Meldung der IV-Stelle trotz ihrer IV-Verneinung
    • Sollte die IV-Stelle die Invalidität verneinen, ist es denkbar, dass der betroffenen Person die Fahreignung abgesprochen werden muss.

Erstellte Fahrfähigkeit

  • Wiedererteilung
    • Ist die betroffene Person trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen fahrfähig, wird ihr der Führerausweis wieder erteilt.
  • Kosten zu Lasten des Betroffenen
    • Aufgrund von ATSG 78 (Gesetzeswortlaut siehe unten) hat die IV-Stelle dem Betroffenen die von ihr verursachten Kosten nicht zu ersetzen.

Fahrunfähigkeit

  • Erweist sich eine Fahrunfähigkeit des Betroffenen, wird ihm der Führerausweis definitiv entzogen.

Führerausweisentzug führt nicht zur Gewährung von IV-Leistungen

  • Der IV-meldungsbedingte Entzug des Führerausweises hat keinen Einfluss auf die Zusprechung von Versicherungsleistungen oder einer Invalidenrente.

Getrennte Verfahrenszuständigkeiten können zu paradoxer Situation führen

  • Es kann folgende paradoxe Situation entstehen:
    • Verkehrsmediziner
      • Qualifikation des Betroffenen als fahrunfähig.
    • IV-Vertrauensarzt
      • Qualifikation des Betroffenen als arbeitsfähig.
  • Es stellt sich dann die Frage, weshalb die medizinische Beurteilung zu einem solchen Widerspruch führen kann:
    • Fahrunfähigkeit: ja.
    • Arbeitsunfähigkeit: nein.
  • Vgl. auch  BGer 1C_405/2022 vom 05.12.2022, Erw. 5.4.2., Abs. 2

Hinweis der IV-Stelle

  • Laut Medienberichten gibt es IV-Stellen, die die Antragsteller einer Invalidenrente darauf hinweisen, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Meldung an das Strassenverkehrsamt zur Folge haben können, falls am IV-Antrag festgehalten werde.

Rechtsprechung

Einen Überblick über den Verlauf einer Meldung der IV-Stelle an die Strassenverkehrsbehörde und über den Eintritt einer paradoxen Situation bildet das Bundesgerichtsurteil BGer 1C_405/2022 vom 05.12.2022:

BGer 1C_405/2022 vom 05.12.2022

Quelle: bger.ch

Fazit

Es ist IV-Antragstellern zu empfehlen, vor der Stellung eines IV-Gesuches eine Gesamtview ihrer Verhältnisse vorzunehmen, auch in Bezug auf die Fahrerlaubnis, und – vorgängig – alle Vor- und Nachteile abzuwägen.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

Bildquelle: aargauerzeitung.ch

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