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Gesundheitsrecht / Sozialversicherungsrecht

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Adipositas: Anpassung der Rechtsprechung zu den IV-Leistungen

Datum:
21.11.2024
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Gesundheitsrecht, Sozialversicherungsrecht
Thema:
Adipositas und Invalidenversicherung (IV)
Stichworte:
Adipositas, Gesundheit, Invalidenversicherung, IV-Leistungen, Rechtsprechung
Entscheid:
BGer 8C_104/2024 vom 22.10.2024
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Das Bundesgericht (BGer) hat seine Rechtsprechung zum Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung bei einer Adipositas (starkes Übergewicht) angepasst.

  • Die grundsätzliche Behandelbarkeit von Adipositas steht daher einem Anspruch auf eine Rente nicht mehr zum vornherein entgegen.
  • Von den von Adipositas betroffenen Personen darf allerdings verlangt werden,
    • dass sie zumutbare Behandlungen zur Behebung der Beeinträchtigung durchführen, zB
      • diätische Therapie oder
      • ein Bewegungsprogramm.

Bisher:

Gemäss bisheriger Rechtsprechung bewirkte eine Adipositas grundsätzlich

  • keine Invalidität, welche zu einer Rentenleistung berechtigt bzw.
  • nur dann zu einem Rentenanspruch berechtigte,
    • wenn die Adipositas körperliche oder geistige Gesundheitsschäden verursachte oder die Folge von solchen Schäden bildete.

Diese Rechtsprechung ging letztlich davon aus, dass das starke Übergewicht willentlich überwindbar sei:

  • Entwickelt hatte sich diese Praxis auf der Grundlage von derjenigen zu Suchterkrankungen.
  • Das BGer passte seine diesbezügliche Rechtsprechung (auch als Folge der Praxisänderung zu leichten oder mittelschweren Depressionen) in der Folge aber an (vgl. BGE 145 V 215).

Neu:

Inskünftig sollte daher in einem strukturierten Beweisverfahren ermittelt werden,

  • inwiefern sich die Beeinträchtigung im Einzelfall auf die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person auswirkt.

Es gibt keinen Grund, die bisherige «Sonderrechtsprechung» zu Adipositas aufrechtzuerhalten:

  • Mitzuberücksichtigen ist dabei aber,
    • dass es bei der Adipositas um folgendes handelt:
      • eine chronische, komplexe somatische (körperliche) Krankheit.
  • Die Rechtsprechung ist deshalb dahingehend zu ändern, dass
    • die grundsätzliche Behandelbarkeit einem IV-Rentenanspruch nicht per se entgegen steht;
    • im Einzelfall danach zu fragen ist, wie sich die Krankheit in Bezug auf die Leistung limitierend auswirkt;
    • selbstverständlich eine Pflicht zur Schadenminderung besteht.

Ein Anspruch auf eine IV-Rente setzt in diesem Sinne voraus, dass die betroffene Person folgendes unternimmt:

  • zumutbare diätische oder medikamentöse Therapien;
  • Verhaltenstherapien;
  • Bewegungsprogramme.

In concreto

Im konkreten Fall hiess das BGer die Beschwerde einer Frau mit einer Adipositas Grad III und einem Bodymassindex von 58 teilweise gut, die erfolglos eine IV- Rente beantragt hatte:

  • Es stand jedenfalls fest, dass es die Beschwerdeführerin nicht per sofort eine 100 %-ige Arbeitsfähigkeit erreichen konnte.

Die IV-Stelle wird neu entscheiden müssen, wobei mit Blick auf die Schadenminderungspflicht auch medizinische Abklärungen zu treffen sein werden.

BGer 8C_104/2024 vom 22.10.2024

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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