Die Krankenkassen dürfen im Rahmen ihrer obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) eine Erstanlaufstelle («Gatekeeper») einsetzen,
- wenn die versicherte Person unkoordiniert ärztliche Leistungen in Anspruch nimmt,
- die sich gestützt auf gutachterliche Abklärungen insgesamt als unwirksame und unzweckmässige – und damit auch unwirtschaftliche – Behandlung erweisen.
Die Einsetzung eines «Gatekeepers» ist in diesem Fall vereinbar mit:
- der freien Arztwahl und
- dem System der Pflichtleistungen.
Im Einzelnen:
Sachverhalt
Eine Versicherte nahm hauptsächlich im psychiatrischen Bereich verschiedene, untereinander nicht koordinierte ärztliche Leistungen in Anspruch (sog. «Ärztehopping»).
Mit ihrer Krankenkasse hatte die Versicherte das sog. «Standard-Versicherungsmodell» mit freier Wahl der zugelassenen Leistungserbringer abgeschlossen:
- 2023 traf die Krankenkasse gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten zur Versicherten
- eine Anordnung für die künftige Kostenübernahme im Rahmen der OKP.
- Die Regelung wurde vom Aargauer Versicherungsgericht 2023 so formuliert,
- dass die Krankenkasse nur noch Kosten für Leistungen übernehmen müsse,
- welche von einer bewilligten Erstanlaufstelle (Gatekeeper) selber erbracht oder von dieser mittels Überweisung an Dritte veranlasst werde.
- dass die Krankenkasse nur noch Kosten für Leistungen übernehmen müsse,
- Ausgenommen seien
- Notfälle und
- gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen.
Erwägungen des Bundesgerichts
Gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) übernehme die OKP die Kosten für Leistungen, welche den sog. «WZW-Kriterien» entsprächen:
- wirksam
- zweckmässig
- wirtschaftlich.
Die Versicherer seien verpflichtet zu prüfen,
- ob diese Voraussetzungen erfüllt würden.
Im konkreten Fall sei die Krankenkasse – bestätigt durch die Vorinstanz – gestützt auf das Gutachten zum Schluss gekommen,
- dass die bisherige und unkoordinierte Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen durch die Beschwerdeführerin eine unwirksame und unzweckmässige Behandlungsmethodik darstelle;
- dies bedürfe eines Behandlungsplans durch eine federführende medizinische Institution als «Gatekeeper».
Dieses Vorgehen via «Gatekeeper» sei mit dem Grundsatz der freien Arztwahl und dem System der Pflichtleistungen vereinbar.
Bei den ärztlichen Pflichtleistungen bestehe zwar die gesetzliche Vermutung, dass sie die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die OKP erfüllten:
- Diese Vermutung könne durch den Krankenversicherer indessen umgestossen werden.
- Die freie Arztwahl steht ebenfalls unter dem Vorbehalt der WZW-Kriterien.
- Daran ändere nichts, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine einzelne therapeutische Massnahme handle, sondern um ein gesamtheitliches koordiniertes Vorgehen mittels «Gatekeeping».
Die fragliche Regelung bewirke auch keinen unrechtmässigen Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin.
Zu berücksichtigen sei ferner, dass das Vorgehen der Krankenkasse auch den Interessen der Versicherten selber dienen könne, die so vor medizinisch objektiv unnötigen Behandlungen oder Eingriffen geschützt werde.
Entscheid des Bundesgerichts
- Das Bundesgericht wies die von der Versicherten erhobene Beschwerde ab.
BGer 9C_340/2024 vom 04.10.2024
Quelle
LawMedia Redaktionsteam