Einleitung
Bei bestimmten Verkehrsdelikten liegt es im Ermessen der Polizei, ob sie Strafanzeige erstattet und damit das führerausweis-bezogene Administrativverfahren auslöst oder, ob sie es einzig bei einer Ordnungsbusse belässt.
Agenda
Ausgangslage
Es liegt ein SVG-Delikt vor, welches für die Art der Strafverfolgung im Ermessen der Polizei liegt.
Rechtliche Grundlagen
Siehe «Erlasse» (Box unten).
Deliktselemente
- Deliktsart / Tatbestandsfälle mit Abgrenzungsschwierigkeiten
- Gegenüber Fussgängern
- Verletzung des Fussgängervortrittsrechts (für Motorfahrzeuglenker: OBV Ziff. 337; für Radfahrer: OBV Ziff. 623).
- Behinderndes Befahren von Längsstreifen für Fussgänger (OBV Ziff. 329;
- Ähnliche OBV-Sachlage bei anderen SVG-Delikten:
- zB Nichtbeachten eines Lichtsignals (OBV Ziff. 309.1);
- zB Fahren mit mangelhafter Bereifung (OBV Ziff. 402.1).
- Gegenüber Fussgängern
- Voraussetzung für OBV-Verfahren / Abgrenzung
- Eine Ordnungsbusse darf nur verhängt werden, wenn mit der Vortrittsverletzung keine Gefährdung für den Fussgänger stattgefunden hat.
- Andernfalls hat es zu einer Strafanzeige zu kommen.
Polizei
Polizei-Entscheid
- Die Polizei entscheidet also darüber,
- ob eine Verkehrsgefährdung vorliegt, die das Ordnungsbussenverfahren ausschliesst oder,
- ob eine Verkehrsgefährdung nicht gegeben ist.
Polizei-Ermessen
- Die Polizei hat in obgenannten Tatbestandsfällen das Ermessen,
- 1) ob sie eine Strafanzeige einreichen will und damit zusätzlich ein Administrativverfahren (Entscheid durch das Strassenverkehrsamt zum Führerausweis) auslösen will oder,
- 2) ob sie es bei einer Ordnungsbusse belassen will.
OBV-Verfahren führt zu keinem Administrativverfahren
Bei Anwendung des Ordnungsbussenverfahrens (OBV) erfolgt in der Regel kein (zusätzliches) Administrativverfahren (Entscheid durch das Strassenverkehrsbehörde zum Führerausweis).
Strafanzeige führt zu Administrativverfahren
Strafverfahren
Es haben a) die Staatanwaltschaft im Strafbefehlsverfahren oder b) der Richter im ordentlichen Strafverfahren darüber zu entscheiden, ob vorliegt:
- strafrechtlich:
- 1) eine einfache Verkehrsregelverletzung oder
- 2) eine grobe Verkehrsregelverletzung.
Administrativerfahren
Die Mitteilung der Strafuntersuchungsbehörden an die Strassenverkehrsbehörde (Strassenverkehrsamt) führt
- administrativrechtlich:
- zu separat und zusätzlich zu erfolgenden (Administrativ-)Massnahmen wie
- zB Verwarnung oder
- zB Führerausweisentzug.
- zu separat und zusätzlich zu erfolgenden (Administrativ-)Massnahmen wie
Praxis der Strafgerichte
Der Ermessensentscheid der Polizei ist von entscheidender Bedeutung,
- weil die Strafgerichte eine Verletzung des Fussgängervortrittsrechts oft als grobe Verkehrsregelverletzung einstufen (vgl. SVG 90 Abs. 2),
- was administrativrechtlich zB zum Entzug des Führerausweises auf die Dauer von mindestens drei Monaten führt (vgl. SVG 16c 1 lit. a und Abs. 2 lit. a).
Fazit
Ob und inwieweit mit den Polizei-Organen für eine Motivierung zur Ordnungsbussen-Erledigung kommuniziert werden kann und soll, ist im individuell konkreten Einzelfall zu entscheiden.
Erlasse
SVG-Bestimmungen
Pflichten gegenüber Fussgängern
Art. 33 SVG
1 Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.
2 Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.
3 An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen.
V. Titel: Strafbestimmungen Verletzung der Verkehrsregeln
Art. 90 SVG
1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
2 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
3 Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.
3bis Die Mindeststrafe von einem Jahr kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 unterschritten werden, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB vorliegt, insbesondere wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat.
3ter Der Täter kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde.
4 Eine besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt vor, wenn diese überschritten wird um:
a. mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b. mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c. mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d. mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.
5 Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches findet in diesen Fällen keine Anwendung.
Entzug der Ausweise
Art. 16 SVG
1 Ausweise und Bewilligungen sind zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen; sie können entzogen werden, wenn die mit der Erteilung im Einzelfall verbundenen Beschränkungen oder Auflagen missachtet werden.
2 Nach Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften, bei denen das Verfahren nach dem Ordnungsbussengesetz vom 18. März 2016 ausgeschlossen ist, wird der Lernfahr- oder Führerausweis entzogen oder eine Verwarnung ausgesprochen.
3 Bei der Festsetzung der Dauer des Lernfahr- oder Führerausweisentzugs sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen. Die Mindestentzugsdauer darf jedoch nicht unterschritten werden, ausser wenn die Strafe nach Artikel 100 Ziffer 4 dritter Satz gemildert wurde.
4 Der Fahrzeugausweis kann auf angemessene Dauer entzogen werden:
a. wenn Ausweis oder Kontrollschilder missbräuchlich verwendet wurden;
b. solange die Verkehrssteuern oder -gebühren für Fahrzeuge desselben Halters nicht entrichtet sind.
5 Der Fahrzeugausweis wird entzogen, wenn:
a. die gegebenenfalls nach dem Schwerverkehrsabgabegesetz vom 19. Dezember 1997 für das Fahrzeug geschuldete Abgabe oder die geschuldeten Sicherheitsleistungen nicht bezahlt und der Halter erfolglos gemahnt worden ist; oder
b. das Fahrzeug nicht mit dem vorgeschriebenen Erfassungsgerät zur Abgabeerhebung ausgerüstet ist.
Verwarnung oder Führerausweisentzug nach einer leichten Widerhandlung
Art. 16a SVG
1 Eine leichte Widerhandlung begeht, wer:
a. durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft;
b. in angetrunkenem Zustand, jedoch nicht mit einer qualifizierten Atemalkohol- oder Blutalkoholkonzentration (Art. 55 Abs. 6) ein Motorfahrzeug lenkt und dabei keine andere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften begeht;
c. gegen das Verbot verstösst, unter Alkoholeinfluss zu fahren (Art. 31 Abs. 2bis), und dabei keine andere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften begeht.
2 Nach einer leichten Widerhandlung wird der Lernfahr- oder Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis entzogen war oder eine andere Administrativmassnahme verfügt wurde.
3 Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde.
4 In besonders leichten Fällen wird auf jegliche Massnahme verzichtet.
Art. 2 OBV Konkurrenz in den Bereichen Strassenverkehr und Binnenschifffahrt
1 Erfüllt die beschuldigte Person durch eine Widerhandlung gegen Strassenverkehrsvorschriften mehrere Ordnungsbussentatbestände, so werden die Bussen dann nicht zusammengezählt, wenn:
a. mit dem Parkieren oder Halten des Motorfahrzeugs im Halteverbot zusätzlich ein anderer Tatbestand des ruhenden Verkehrs nach Anhang 1 Ziffer 2 erfüllt ist;
b. eine Person für den Sachverhalt zugleich als Fahrzeughalterin und Fahrzeugführerin oder als Fahrzeughalter und Fahrzeugführer nach Anhang 1 Ziffern 4 und 5 verantwortlich ist;
c. zwei oder mehr allgemeine Verkehrsregeln, Signale oder Markierungen missachtet werden, die denselben Schutzzweck haben.
2 Erfüllt die beschuldigte Person durch eine Widerhandlung gegen Binnenschifffahrtsvorschriften mehrere Ordnungsbussentatbestände, so werden die Bussen dann nicht zusammengezählt, wenn zwei oder mehr allgemeine Verkehrsregeln, Signale oder Zeichen missachtet werden, die denselben Schutzzweck haben.
Ordnungsbussenverordnung (OBV)
Quelle: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2019/93/de
Weiterführende Informationen
Fussgänger
Strafverfahren + Administrativerfahren
LAWINFO-Contents
Quelle
LawMedia Redaktionsteam