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Erbrecht

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Das revidierte Erbrecht: Ein Überblick über die am 01.01.2023 in Kraft tretenden Änderungen (Teil 9)

Datum:
02.12.2022
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Erbrecht
Stichworte:
Erbrechtsrevision, Herabsetzung, Inkrafttreten am 01.01.2023, Nachlass
Autor:
RA Urs Bürgi und RA Marc Peyer
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

Teil 9 – Herabsetzung: Gegenstände + Reihenfolge

von
RA Urs Bürgi, Inhaber des Zürcher Notarpatentes, und
RA Marc Peyer, Fachanwalt SAV Erbrecht

Einleitung

Wie bereits berichtet tritt am 01.01.2023 die Erbrechtsrevision in Kraft.

Diese Artikelfolge soll auf das gesamte Erbrechts-Reformvorhaben des Bundes und die einzelnen, am 01.01.2023 in Kraft tretenden Änderungen näher eingehen.

Zunächst zur Agenda der Artikelfolge:

Agenda zu Teil 9

  • A. Bisheriges Recht
    • Gesetzestext
    • Kontroverse in der Rechtslehre
  • B. Neues Recht
    • (Weitgehende) Klarstellung
    • Neuer Gesetzeswortlaut
    • Bereits neue Kontroverse in der Rechtslehre
  • Weiterführende Informationen

A. Bisheriges Recht

a) Gesetzestext

Das bisherige Recht regelt in ZGB 522 Abs. 1 zur Herabsetzung was folgt:

Zum Gegenstand und zur Reihenfolge der Herabsetzung bestimmt das bisherige Recht in ZGB 532 folgendes:

b) Kontroverse in der Rechtslehre

Der knapp formulierte Wortlaut von ZGB 522 Abs. 1 und ZGB 532 gab in der Vergangenheit Anlass zu diversen Kontroversen in der Lehre in Bezug auf den Gegenstand und die Reihenfolge der Herabsetzung.

  • Entgegen dem Wortlaut von ZGB 522 Abs. 1 und ZGB 532 wurde in der Lehre teilweise die Meinung vertreten, dass nicht nur die Verfügungsbefugnis des Erblassers überschreitende bzw. pflichtteilsverletzende Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden der Herabsetzung unterliegen sollen, sondern auch der Erwerb aus gesetzlichem Erbrecht (sog. Intestaterwerb).
    • Das Bundesgericht äusserte sich dazu bis dato nicht.
  • Das bisherige Recht präzisiert sodann nicht, in welchen Fällen eine Zuwendung unter Lebenden
    • Insbesondere war in der Lehre strittig, ob die mittels eines Ehevertrages zwischen Ehegatten vereinbarte
      • überhälftige Vorschlagszuweisung bei der Errungenschaftsbeteiligung (ZGB 216 Abs. 1), bzw.
      • überhälftige Gesamtgutzuweisung bei der Gütergemeinschaft (ZGB 241 Abs. 2)
    • zu qualifizieren sind:
      • als eine Lebzeitige Zuwendung, oder aber
      • als eine Verfügung von Todes wegen,
    • was entsprechend Auswirkung auf die Herabsetzungsreihenfolge hat.
  • Diese Kontroversen in der Rechtslehre führten zu einer beträchtlichen Rechtsunsicherheit.

B. Neues Recht

a) (Weitgehende) Klarstellung

Nach neuem Recht

  • unterliegen auch Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge (sog. Intestaterwerb) der Herabsetzung, und
    • diese werden sodann als erstes herabgesetzt (vor den Zuwendungen von Todes wegen und vor den Zuwendungen unter Lebenden);
  • werden Zuwendungen aus Ehevertrag (überhälftige Vorschlagzuweisung bzw. Gesamtgutzuweisung) als Zuwendungen unter Lebenden qualifiziert;
  • wird Innerhalb der Zuwendungen unter Lebenden die Herabsetzungsreihenfolge wie folgt präzisiert:
    • zuerst werden Zuwendungen aus Ehevertrag herabgesetzt,
      • d.h. überhälftige Vorschlagszuweisung bei der Errungenschaftsbeteiligung
      • d.h. überhälftige Gesamtgutzuweisung bei der Gütergemeinschaft
    • hernach werden die frei widerruflichen Zuwendungen und Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge und zwar im gleichen Verhältnis herabgesetzt, mithin
      • Begünstigungen nach Art. 76 VVG
      • weitere frei widerrufliche Zuwendungen und Leistungen aus der Säule 3a;
    • hernach werden die weiteren Zuwendungen unter Lebenden, und zwar (wie bis anhin) die späteren vor den früheren, herabgesetzt.
  • erfolgt die Herabsetzung von Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge bei pflichtteilsberechtigten Erben im Verhältnis der Beträge, die ihren Pflichtteil übersteigen.

b) Neuer Gesetzeswortlaut

c) Bereits neue Kontroverse in der Rechtslehre 

Für pflichtteilsberechtigte Erben wird im neuen Recht zwar klargestellt, dass Erwerbungen der gesetzlichen Erbfolge im Verhältnis der Beträge, die den Pflichtteil übersteigen, herabgesetzt werden (siehe oben lit. b und neuer Art. 523 ZGB).

In welchem Umfang die Erwerbungen der gesetzlichen Erbfolge der pflichtteilsberechtigten Personen herabgesetzt werden können, schweigt sich das neue Recht hingegen aus.

Zu dieser Frage haben sich in der Rechtslehre bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts zwei unterschiedliche Meinungen entwickelt:

  • Nach der einen Lehrmeinung soll der Erwerb gemäss gesetzlicher Erbfolge (Intestaterwerb) nur soweit herabgesetzt werden können, als dieser den Pflichtteil übersteigt (dies unabhängig davon, ob der herabsetzungspflichtige Erbe bereits lebzeitig begünstigt worden ist und damit allenfalls bereits „dem Werte nach“ seinen Pflichtteil erhalten hat).
    • So Alexandra Jungo und Paul-Henri Steinauer
  • Nach einer anderen Lehrmeinung soll zunächst vollständig der Erwerb gemäss gesetzlicher Erbfolge herabgesetzt werden (dies unabhängig davon, ob der pflichtteilsberechtigte Erbe in der Folge seinen Pflichtteil vollumfänglich aus dem Nachlass und nicht nur aus anderweitigen Begünstigungen erhält).
    • So Paul Eitel und Martin Eggel/Nathalie Gerster
  • Weiterführende Literatur hierzu:
    • Jungo Alexandra, Pflichtteile bei voller Vorschlagszuweisung – die Klärung durch die Erbrechtsrevision, in: Breitschmid/Eitel/Jungo (Hrsg.), Der letzte Wille, seine Vollstreckung und seine Vollstrecker, Festschrift für Hans Rainer Künzle, Zürich/Basel/Genf 2021, S. 193 ff.
    • Steinauer Paul-Henri, Acquisitions et libéralités ab intestat, in: Jungo/
      Breitschmid/Schmid (Hrsg.), Erste Silser Erbrechtsgespräche; Gedanken zur Erbrechtsrevision anlässlich des 60. Geburtstags von Paul Eitel, Zürich/Basel/Genf 2018, S. 77 ff.
    • Eitel Paul, Zur Durchführung der Herabsetzung bei ehevertraglichen Totalvorschlagszuweisungen und Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge im neuen Recht, in: Verband Solothurnischer Notare, 100 Jahre Festschrift, S. 97 ff.
    • Eggel Martin/Gerster Nathalie, Revision des Erbrechts – Behandlung der Säule 3a und Änderungen im Herabsetzungsrecht, in: Wolf (Hrsg.), Das neue Erbrecht – insbesondere Rechtsgeschäftsplanung, Fragen aus der notariellen Praxis und internationales Recht, Bern 2022, S. 79 ff.

Somit besteht – bis die Rechtsprechung den Weg weist – weiterhin eine gewisse Rechtsunsicherheit, welche es bei der Vermögens- und Nachlassplanung zu beachten gilt.

RA Urs Bürgi

Urs Bürgi berücksichtigt bei seiner Beratungstätigkeit die betriebswirtschaftlichen Aspekte und strebt pragmatische Lösungen an, um seiner Klientschaft einen Mehrwert zu generieren.

RA Marc Peyer

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