Allgemein-Steuerliches zum Schulderlass / Forderungsverzicht
Der Einkommenssteuer unterliegen gemäss DBG 16 grundsätzlich alle wiederkehrenden oder einmaligen in- und ausländischen Einkünfte aus Erwerbstätigkeit, Sozial- und anderen Versicherungen, beweglichem Vermögen und weiteren Einkommensquellen (= Einkommensgeneralklausel).
Im Steuerrecht beruht der Einkommensbegriff nach herrschender Lehre und Rechtsprechung auf der Reinvermögenszugangstheorie:
- Als Einkommensgrundlage gilt die Gesamtheit aller Wirtschaftsgüter, die dem Steuerpflichtigen während einer bestimmten Zeit (Steuerperiode) zufliessen und die er ohne Schmälerung (Verzehr) seines Vermögens zur Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse und seiner laufenden Wirtschaft (Zuwendungen, Sparen, Anlage, Deckung von eingetretenen Verlusten) verwenden kann.
Der Forderungsverzicht eines Gläubigers stellt beim Schuldner grundsätzlich eine Einkunft im Sinne von DBG 16 dar.
Der Erlass einer Geschäftsschuld beim (begünstigten) Schuldner (natürliche Person) stellt Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit dar (vgl. DBG 18).Erlass / Forderungsverzicht von Geschäftsschulden
Erlass / Forderungsverzicht von Privatschulden
Allgemeines
Beim Forderungsverzicht von Privatschulden stellt sich die Frage, ob der Reinvermögenszuwachs beim Schuldner ein – im Privatvermögen – entstehender steuerfreier Kapitalgewinn nach DBG 16 Absatz 3 bewirkt.
- Kapitalgewinn?
- Ein Kapitalgewinn ist i.d.R. auf die Veräusserung eines Vermögenswertes zurückzuführen
- Demgegenüber wird beim Forderungsverzicht die Leistung vom Gläubiger und nicht vom Käufer erbracht
- Der Vorgang Forderungsverzichts betrifft mithin die Gläubiger-/Schuldner-Beziehung
- In Anlehnung an das subjektive Herkunftsprinzip liegt daher kein Kapitalgewinn vor
- Immerhin wäre denkbar, dass eine Schuld schenkungshalber erlassen wird (siehe unten), was aber unter unabhängigen Dritten (zB Bank oder Lieferant) nicht zu vermuten ist
- Ein Kapitalgewinn ist i.d.R. auf die Veräusserung eines Vermögenswertes zurückzuführen
- Liegenschaften
- Im Zusammenhang mit Werteinbussen auf Liegenschaften des Privatvermögens stellt ein Forderungsverzicht im Sinne von OR 115 auch keine steuerfreie Schadenersatzleistung dar
- Sanierungsleistungen im Geschäftsvermögen
- In der Praxis bleiben Sanierungsleistungen im Geschäftsvermögen in der Regel «steuerfrei», mit entsprechenden Verlusten verrechnet werden können; fehlen Verluste, sind sog. „Sanierungsgewinne“ oft steuerpflichtig
- Sanierungsleistungen im Privatvermögen
- Im Privatvermögen ist eine «Gesamtbetrachtung» nicht statthaft, weil einerseits Verluste nicht abzugsfähig und andererseits Kapitalgewinne steuerfrei sind
- In einer solchen Betrachtungsweise liegt kein Verstoss gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
Verzichtet ein Gläubiger auf eine Forderung, stellt dieser Vorgang beim Schuldner nach der massgebenden Reinvermögenszugangstheorie (siehe oben) grundsätzlich Einkommen im Sinne von DBG 16 Absatz 1 dar.
Steuerliche Behandlung
- Tatsächlicher Vorteil
- Nur ein tatsächlich zugeflossener Vorteil kann steuerbares Einkommen bilden
- Bemessung
- Der Vorteil bemisst sich dabei nach dem objektiven Wert der erlassenen Forderung im Zeitpunkt des Verzichts und nicht nach der nominellen Höhe der Forderung bzw. der Schuld
- Durch den Erlass einer werthaltigen Forderung vergrössert sich der finanzielle Spielraum des Steuerpflichtigen nur in diesem Ausmass
- Schulderlass ohne Bereicherungswirkung
- Im Mehrumfang des Schulderlasses bleiben dem Schuldner dagegen keine Mittel, die er für seinen täglichen Bedarf oder für Investitionen zur Verfügung hätte, weshalb er insofern nicht als bereichert gelten kann
- Andernfalls müsste zum Beispiel bei jedem Steuererlass konsequenterweise – im Ausmass des erlassenen Steuerbetrags – ein steuerbares Einkommen aufgerechnet werden
Der Forderungserlass stellt somit nur im Umfang der nach der Bonität des Schuldners bemessenen Werthaltigkeit der Forderung im Zeitpunkt des Verzichts beim Schuldner steuerbares Einkommen dar; die Steuerbehörden haben hierbei das pflichtgemässe Ermessen anzuwenden.
Ist ein nahestehender Dritter des Schuldners der Gläubiger, kann der Forderungsverzicht unter Umständen als Schenkung qualifiziert werden.
Forderungsverzicht = Schenkung?
Ist ein Forderungsverzicht als Schenkung zu qualifizieren, untersteht die erlassene Schuld nicht der Einkommenssteuer, sondern der Schenkungsteuer.
Hat der Schenker Wohnsitz im Kanton Zürich, bleibt die Schenkung steuerfrei, sofern und soweit es sich beim beschenkten Schuldner um den Ehegatten oder direkte Nachkommen handelt.
Literatur
- ZWEIFEL MARTIN / HUNZIKER SILVIA, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 3. Aufl. 2017, N. 48d und N. 48e zu Art. 130 DBG
- ALTHAUS-HOURIET ISABELLE, in: Noel/Aubry Girardin [Hrsg.], Commentaire romand zum LIFD, 2. Aufl. 2017, N. 27 zu Art. 130 DBG)
Judikatur
- BGer 2C_346/2020 vom 07.10.2020
- BGE 142 II 197 ff.