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Zivilprozessrecht

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Kollektiver Rechtsschutz / Gruppenklagen

Datum:
10.07.2013
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Zivilprozessrecht
Stichworte:
kollektiver Rechtsschutz, Sammelklage
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Der Bundesrat hat am 3. Juli 2013 einen Bericht mit dem Titel «Kollektiver Rechtsschutz in der Schweiz – Bestandesaufnahme und Handlungsmöglichkeiten» veröffentlicht. Darin kommt die Regierung zum Schluss, der kollektive Rechtsschutz im schweizerischen Privatrecht sei «verbesserungsfähig»; insbesondere in den Bereichen Konsumentenschutz, Finanz- und Kapitalmarktrecht, Persönlichkeitsschutz, Gleichstellungs- und Datenschutzrecht.

Im Bericht werden verschiedene Massnahmen vorgeschlagen, um den kollektiven Rechtsschutz im Rahmen bestehender Instrumente zu verbessern. Es soll aber auch die Einführung neuer Instrumente geprüft werden, so bestimmte Formen der Gruppenklage.

Bestehende Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes ungenügend

Nach geltendem Recht ist der Zivilprozess in der Schweiz auf die Durchsetzung individueller Ansprüche ausgerichtet. Das bedeutet, dass grundsätzlich jede Person ihre Rechtsansprüche einzeln geltend machen muss. Bei Massen- oder Streuschäden, d.h. wenn viele Personen vom gleichen Problem betroffen sind, macht diese Art des Verfahrens jedoch wenig Sinn. Meist kommt es bei solchen Fällen in der Schweiz gar nicht erst zu einem Prozess, da das Risiko bzw. die Kosten für den einzelnen Kläger viel zu hoch sind.

Der Bundesrat schreibt dazu, das hohe Prozessrisiko für den einzelnen Geschädigten sei der Grund dafür, dass die Geltendmachung von Massenschäden in vielen Fällen faktisch unmöglich sei; ein effektiver Rechtsschutz sowie der Zugang zum Gericht seien oft nicht gegeben. Gleichzeitig hätten sich die bestehenden Instrumente zur kollektiven Rechtsdurchsetzung im Rahmen von koordinierten Einzelverfahren als ungenügend erwiesen:

«Die bestehenden zivilprozessualen Instrumente zur Geltendmachung und Durchsetzung von Massenschäden haben sich als unbefriedigend erwiesen, weil sie überwiegend auf dem System der individuellen Rechtsdurchsetzung mittels Individualprozess beruhen und demgegenüber echte Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung fehlen. Sie vermögen daher keine echte kollektive Rechtsdurchsetzung zu bewirken. Es bestehen daher im geltenden Rechtsschutzsystem Lücken zur effektiven Durchsetzung von Massen- und Streuschäden. Diese zeigen sich gerade im Bereich der sogenannten Anlegerschäden im Kapital- und Finanzmarktrecht, im Bereich des Kartell- und Lauterkeitsrechts, in allgemeinerer Form im Konsumentenrecht, aber auch im Gleichstellungsrecht.»

Kollektiver Rechtsschutz im geltenden Recht

Im geltenden Recht bestehen nur sehr begrenzte Möglichkeiten für kollektiven Rechtsschutz, und dies auch nur in bestimmten Bereichen:

1. Verbandsklage

Vereine und Organisationen können z.B. wegen Persönlichkeitsverletzung mit einer Verbandsklage klagen. Die Urteile in Verbandsklagen haben für die einzelnen Mitglieder jedoch keine Wirkung. Zudem sind Klagen auf finanzielle Leistungen ausgeschlossen.

2. Klagenäufnung / Streitgenossenschaft

Mehrere Kläger oder Beklagte können sich zusammenschliessen, wenn die Streitigkeiten einen genügend grossen Zusammenhang haben. Jeder Streitgenosse handelt selbständig und trägt das finanzielle Risiko des Prozesses individuell; auch über die jeweiligen Ansprüche muss einzeln entschieden werden.

Abklärungen nach dem Fall UBS

Noch 2006 hatte der Bunderat in einem Bericht festgehalten, Sammelklagen seien dem europäischen Rechtsdenken fremd, und lehnte das Instument ab. Im aktuellen Bericht heisst es, zur Verbesserung des effektiven Rechtsschutzes bei Massen- und Streuschäden sollten auch zwei Formen der Gruppenklage geprüft werden. Der Bundesrat schreibt: «Gerade bei Massenschäden, bei denen es um die Erhaltung und Gewährleistung der Effizienz der Verfahren und des Justizwesens geht, stellen Gruppenklagen ein zentrales Element für ein funktionierendes Rechtsschutzsystem dar.» Der Bundesrat schreibt, aus Einzelfällen seien Formen von Gruppenklagen dem schweizerischen Recht bereits bekannt und auch mit diesem vereinbar.

Wie der TagesAnzeiger schreibt, könnte der Meinungsumschwungs mit der Rettung der UBS im Zuge der Immobilienkrise 2008 zusammenhängen: Obwohl die Bank wegen der Investments im US-Immobilienmarkt mit einem milliardenschweren staatlichen Hilfspaket gerettet werden musste, blieben Klagen gegen die verantwortlichen Manager aus. Wegen der hohen Kosten und der ungewissen Erfolgsaussichten wollten weder Aktionäre und Gläubiger noch der Schweizer Staat das Prozessrisiko in Kauf nehmen. Der Bundesrat hielt damals fest, die geltende Rechtslage sei unbefriedigend und müsse geprüft werden.

Vorgeschlagene Massnahmen zur Verbesserung

Bei den bestehenden Instrumenten des schweizerischen Rechts schlägt der Bundesrat zur Verbesserung folgende Punkte vor:

  • Prozesskostenregelung an die spezifischen Gegenbeheiten bei der Durchsetzung von Massenschäden anpassen
  • Prozessfinanzierung verstärkt fördern
  • Anwendungsbereich der Verbandsklage erweitern:
    • Sachlicher Anwendungsbereich über Persönlichkeitsverletzungen auf sämtliche Rechtsgebiete erweitern
    • Funktionaler Anwendungsbereich auf die Geltendmachung von Gewinnabschöpfungs- / Gewinnherausgabeansprüchen erweitern, ev. auch allgemein auf die Geltendmachung reparatorischer Ansprüche
  • Bestimmungen zur aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsklage anpassen:
    • Bei Abweisung gesellschaftsrechtlicher Klagen soll das Gericht die Prozesskosten nach Ermessen auf die Gesellschaft und die klagende Partei verteilen
    • Vorabbefriedigungsrecht für klagende Aktionäre hinsichtlich des diesen entstandenen mittelbaren Schadens

In Bezug auf die Einführung neuer Instrument schlägt der Bundesrat folgende Massnahmen zur Prüfung vor:

  • Einführung eines Muster- oder Testverfahrens zur Geldendmachung von Massenschäden, bei welchem dem Ergebnis für gleichartige Verfahren eine verbindliche Wirkung zukäme
  • Zwei Formen der Gruppenklage:
    • Allgemeine repräsentative Gruppenklage auf Basis eines opt-in-Modells: Gruppenklage mit einer aktiv und ausdrücklich erklärten Teilnahme (Beitrittserklärung) aller Mitglieder zur kollektiven Abwicklung von vergleichsweisen Erledigungen von Massen- oder auch Streuschäden. Solche Gruppenklagen würden auf maximal ein kantonales Gericht konzentriert werden, um das Massenverfahren effizient und kompetent abzuwickeln und Missbräuche auszuschliessen.
    • Besonderes Gruppenvergleichsverfahrens nach niederländischem Vorbild: Vergleichsverfahren zwischen einem oder mehreren (mutmasslich) haftenden Schädigern und einem Verein oder einer Stiftung, die im gemeinsamen Interesse sämtlicher Geschädigter handelt. Ein vorgängig zwischen den Parteien geschlossener Vergleich kann kann bei einem zentralen Berufungsgericht zur Verbindlichkeitserklärung eingereicht werden. Das Gericht prüft Verfahren, materielle Angemessenheit, formelle Fairness, Verfahrensmässigkeit und Effizienz. Erklärt das Gericht den Vergleich für verbindlich, können die Geschädigten innerhalb einer Frist mit schriftlicher Austrittserklärung aus dem Verfahren austreten (opt-out); ansonsten wird der Vergleich für sie verbindlich.

Klar abgelehnt werden im bundesrätlichen Bericht die amerikanischen Modelle der «class action» und opt-out-Gruppenklagen. Dabei handelt es sich um repräsentative Klagen eines Klägers, der als Repräsentant für eine nach bestimmten Merkmalen indentifizierte Gruppe (class) einen Prozess führt, und dabei gegenüber der beklagten Partei alle Ansprüche der class geltend macht. Das Ergebnis eines solchen Verfahrens ist für alle Mitglieder der class verbindlich, ohne dass diese formal am Prozess beteiligt sind – es sei den, diese erklären ausdrücklich ihren Austritt (opt-out), sofern dies zulässig ist. Auch Strafzahlungen in Millionenhöhe sind für die Schweiz kein Thema, ebensowenig umfassende Herausgaberechte, die dem Kläger tiefe Einblicke in das beklagte Unternehmen erlauben.

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