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Max Bill Barhocker: Minimalistische Gestaltung verleiht Urheberrechtsschutz

Datum:
16.08.2017
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Immaterialgüterrecht Schweiz
Stichworte:
Urheberrecht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

HfG-Barhocker – URG 2 Abs. 1 / UWG 2 + aUWG 3 lit. d

Im Rahmen einer Lizenzstreitigkeit hat das Bundesgericht entschieden, dass der von Max Bill gestaltete, sog. „HfG-Barhocker“ urheberrechtlichen Schutz geniesse. Das Handelsgericht des Kantons St. Gallen (Vorinstanz) hatte den Urheberrechtsschutz verneint.

Das Bundesgericht beanstandete, dass die Vorinstanz eine unzulässige mosaikartige Betrachtung angewandt habe, indem sie den vorbekannten Formenschatz elementiert und diese Elemente miteinander verglichen habe, obwohl für den urheberrechtlichen Schutz der künstlerische Eindruck der Formgebung (und nicht die einzelnen Bauelemente) massgebend seien:

  • Gestaltung
  • Linienführung
  • Zusammenwirken aller Elemente

Die Vorinstanz habe zu hohe Anforderungen an die Werk-Individualität gestellt, indem sie der fehlenden deutlichen Unterscheidung zu den bestehenden Stilrichtungen zu grosse Bedeutung beigemessen habe.

Gemäss Bundesgericht ist für den Schutz von Sitzmöbeln erforderlich, dass über eine rein handwerkliche oder industrielle Arbeit hinaus eine individuelle künstlerische Gestaltung erkennbar ist, die sich von den vorbekannten Formen deutlich unterscheidet, was namentlich zutrifft, wenn sich das Möbelstück von bisherigen Stilrichtungen klar abhebt und eine neue Richtung einleitet oder wesentlich mitbestimmt …“.

Im Rahmen der bundesgerichtlichen Prüfung der „Werkeigenschaft“ des Barhockers ergab sich folgendes:

  • Bestimmung der Gestaltung durch den Gebrauchszweck
  • Gestaltungsvielfalt von Hockern aus Trägern
  • Keine Verneinung der Individualität aus dem Umstand, dass keine weitere Formenreduktion mehr denkbar sei
  • Andere Zweckerreichungsmöglichkeiten erfordern keine minimalistische Gestaltung für die Funktionalität

Gemäss Bundesgericht hebe sich der Gesamteindruck des HfG-Barhockers von den im angefochtenen Urteil abgebildeten vorbekannten Formen künstlerisch so ab, dass seine urheberrechtliche Individualität nicht verneint werden könne:

  • nur drei Träger (die optisch selbstverständlich einen anderen Eindruck hervorrufen würden als vier Träger)
  • Träger-Schrägstellung
  • unmittelbare Befestigung etwas innerhalb der unteren Seite der Sitzfläche (in keinem der Vorgängermodelle ähnlich verwirklicht)
  • Verhältnis zwischen den (gestalterisch optimal abgeschrägten) Trägern und der runden (verhältnismässig kleinen) Sitzfläche

Die Gestaltung des HfG-Barhockers präge den Gesamteindruck so, wie es in keinem der vorbekannten Modelle auch nur annähernd angedeutet sei.

„Durch die «minimalistische» Ausgestaltung der für einen Barhocker notwendigen Elemente und ihre aufeinander abgestimmte Proportionierung erweckt der HfG-Barhocker einen Gesamteindruck, der ihn als solchen individualisiert und von den vorbekannten Modellen deutlich abhebt. Der urheberrechtliche Schutz kann diesem Werk angewandter Kunst daher nicht versagt werden. Die Beschwerde ist aus diesem Grunde gutzuheissen und die Klage auch in Bezug auf den HfG-Barhocker gutzuheissen.“

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und hob die Ziffern 2 und 3 sowie 5 und 6 des Urteils des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen vom 30.11.2016 auf.

1.1. Ziffer 2 des vorinstanzlichen Urteils wurde wie folgt neu gefasst:

«Der Beklagten wird unter Androhung der Straffolge von Art. 292 StGB im Zuwiderhandlungsfall gegenüber ihren Organen untersagt, Stühle in der Form des von Max Bill entworfenen ‹HfG-Barhockers› selbst oder durch Dritte herzustellen oder zu vertreiben:

1.2. Ziffer 3 des vorinstanzlichen Urteils wurde wie folgt neu gefasst:

«Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin über die Anzahl aller von ihr seit dem 1. Januar 2012 hergestellten und verkauften ‹Kreuzzargenstühle› gemäss Ziffer 1 und ‹HfG-Barhocker› gemäss Ziffer 2 sowie über alle damit erzielten Umsätze und Gewinne Auskunft zu erteilen.

2.

Die Sache wurde sodann zur Neuverteilung der Kosten des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.

Gerichtskosten …

4.

Prozessentschädigung …

5.

Mitteilungen …

Quelle

BGE 4A_115/2017 vom 12.07.2017

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