Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit RAin MLaw Tiziana Korienek, Bürgi Nägeli Rechtsanwälte) verfasst.
Update 1 vom 29.1.2018: Ergänzung/Aktualisierung des Fazits unter berücksichtigung neu erschienener Entscheide des Obergerichts des Kantons Zürich
Einleitung
Seit der Gesetzesrevision des Zivilgesetzbuches, welche am 01.07.2014 in Kraft getreten ist, stehen die Kinder nach einer Trennung bzw. Scheidung der Eltern sowie von nicht verheirateten Paaren in der Regel unter der gemeinsamen elterlichen Sorge. Die Kinder werden unter der Woche von einem Elternteil betreut (sog. alleinige Obhut) oder beide Elternteile sind in die alltägliche Betreuung der Kinder unter der Woche involviert (sog. geteilte bzw. alternierende Obhut). Seit einer weiteren Gesetzesrevision vom 01.01.2017 kann ein Elternteil beantragen, dass das Gericht die geteilte bzw. alternierende Obhut prüft (vgl. Art. 298ter ZGB). Dies bedeutet aber nicht, dass das Gericht diese geteilte bzw. alternierende Obhut auch anordnen muss.
Die Gesellschaft wird immer mobiler, weshalb es nicht selten vorkommt, dass ein Elternteil mit den Kindern, sei es berufsbedingt oder wegen einer neuen Beziehung, in eine andere Stadt, in einen anderen Kanton oder sogar in ein anderes Land ziehen möchte. Darf ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln? Was sind die Kriterien für die Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung? Was passiert bei fehlender Zustimmung des anderen Elternteils?
Begriff der „elterlichen Sorge“ und der „Obhut“
Die elterliche Sorge (Art. 296 ff. ZGB) ist das Recht und die Pflicht, für das Kind zu entscheiden, wo es noch nicht selbständig kann. Mithin entscheidet der Inhaber der elterlichen Sorge über die Schul- und Berufswahl, über die religiöse Erziehung, über medizinische Eingriffe und vertritt das Kind gegenüber Dritten, etc. Die elterliche Sorge umfasst auch das Recht, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (Art. 301a Abs. 1 ZGB). Wird die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt und möchte ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, bedarf es der Zustimmung des anderen Elternteils.
Die Obhut ist ein Bestandteil der elterlichen Sorge und ist die Befugnis, mit dem Kind zusammen zu wohnen. Mithin sind die Obhut und die elterliche Sorge nicht miteinander gleichzusetzen.
Begriff des „Aufenthaltsorts“
Mit dem Aufenthaltsort ist der faktische Lebensmittelpunkt des Kindes gemeint, d.h. der Ort, an dem es sich überwiegend aufhält und betreut wird. Er setzt eine gewisse soziale Eingliederung in familiärer, schulischer oder beruflicher Hinsicht voraus und ist auf eine gewisse Dauer ausgerichtet. Dazu gehört bspw. nicht der Ferienaufenthalt.
Zustimmungsbedürftiger Umzug
Wenn ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln möchte und beide Eltern die elterliche Sorge gemeinsam ausüben, so bedarf es der Zustimmung des anderen Elternteils oder der Entscheidung des Gerichtes oder der Kindesschutzbehörde, wenn der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt oder der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den anderen Elternteil hat (Art. 301a Abs. 2 ZGB).
Der Inhaber der alleinigen elterlichen Sorge kann über den Wegzug bzw. den Aufenthaltsort des Kindes bestimmen. Der wegzugswillige Elternteil mit dem alleinigen Sorgerecht hat jedoch eine Informationspflicht gegenüber dem anderen Elternteil und muss diesen rechtzeitig darüber in Kenntnis setzen (Art. 301a Abs. 3 ZGB).
Sinn und Zweck des Zügelartikels (Art. 301a ZGB)
Die Zustimmungsbedürftigkeit ist alleine auf die Veränderung des Aufenthaltsortes des Kindes beschränkt. Damit soll nicht der Umzug eines Elternteils verhindert werden, sondern die Eltern sollen vielmehr dazu bewegt werden, vor einem Umzug die Auswirkungen auf die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu prüfen und allenfalls die bestehende Regelung über die Kinderbelange anzupassen (vgl. BGE 148 III 502 E. 2.4.).
Kriterien der Erteilung und Verweigerung der Zustimmung
Die entscheidende Frage für die Zustimmungsbedürftigkeit ist, ob das Wohl des Kindes besser gewahrt ist, wenn es ist mit dem wegzugswilligen Elternteil wegzieht oder wenn es beim zurückbleibenden Elternteil verbleibt. Folgende Kriterien können für das Zustimmungserfordernis entscheidend sein:
- bisherige Betreuungsmodell
- Wünsche des Kindes
- Vorschläge der Eltern
- persönliche und finanzielle Verhältnisse der Eltern
- Gründe für den Wegzug
- Erziehungskontinuität
- erzieherische Fähigkeiten
- vorbestehende Sorge und Umgangsrechtsregelung
- Vollstreckbarkeit der Vereinbarung
- Sprache, Beschulung
- Alter
- gesundheitliche Bedürfnisse
- Mobilität der Familienmitglieder, etc.
Das bisherige Betreuungsmodell bildet dabei grundsätzlich den Ausgangspunkt der Überlegungen. Wurde ein Kind vom wegzugswilligen Elternteil mehrheitlich betreut, so entspricht es eher dem Wohl des Kindes, wenn es auch weiterhin bei ihm bleibt und folglich mit ihm wegziehen kann. Eine Umteilung des Kindes an den anderen Elternteil wäre ohnehin nur möglich, wenn dieser fähig und auch bereit wäre, das Kind bei sich aufzunehmen und für eine angemessene Betreuung zu sorgen. Auch hier bedarf es einer sorgfältigen Prüfung, ob dies tatsächlich dem Kindeswohl entspricht. Insbesondere bei kleinen Kindern wäre eine Umteilung aufgrund der Betreuungs- und Erziehungskontinuität nicht leichthin vorzunehmen. Anders sieht es hingegen aus bei älteren Kindern, wo die Wohn- und Schulumgebung sowie der Freundeskreis viel wichtiger ist.
Wegzug innerhalb der Schweiz
Möchte ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes innerhalb der Schweiz verändern, bedarf es lediglich der Zustimmung des anderen Elternteils, wenn sich der Umzug auf die Betreuung des Kindes auswirkt (vgl. BGE 142 III 502). Dies ist nicht nur der Fall bei alternierender bzw. geteilter Obhut, sondern auch bei einem blossen Besuchsrecht des nicht wegziehenden Elternteils. Somit sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Je nach konkreter Ausgestaltung der Betreuung des Kindes, des Alters, der konkreten Bedürfnisse, der zeitlichen Flexibilität, etc., ist eine Zustimmung des anderen Elternteils einzuholen oder nicht. Insbesondere bei der alternierenden bzw. geteilten Obhut, wird die Zustimmungsbedürftigkeit des anderen Elternteils rasch notwendig sein. Auch bei alleiniger Obhut wird eine Zustimmung eingeholt werden müssen, wenn an die Betreuung bzw. die Ausübung des Besuchsrechts weitere Pflichten geknüpft sind, wie z.B. das Abholen von der Krippe oder dem Kindergarten.
Wegzug ins Ausland
Bei einem Wegzug mit dem Kind ins Ausland ist die Zustimmung des anderen Elternteils stets erforderlich. Hier spielen weitere Kriterien, wie die fremde Sprache eine Rolle. Folgende mögliche Fragen gilt es zu berücksichtigen: Ist das Kind bspw. zweisprachig aufgewachsen? Handelt es sich um das Heimatland des auswanderungswilligen Elternteils, wo allenfalls die Stabilität der Verhältnisse gewährleistet ist? Leben weitere Familienmitglieder an diesem Ort? Zieht der Elternteil zu seinem neuen Partner in ein sozial und wirtschaftlich abgesichertes Umfeld? Oder geht es ihm bloss um Abenteuerlust oder darum, um Abstand zu gewinnen?
Rechte des wegzugswilligen Elternteils
Bei der Beurteilung des Zustimmungserfordernisses ist stets die Niederlassungs- bzw. die Bewegungsfreiheit sowie die persönliche Freiheit des wegzugswilligen Elternteils zu respektieren. Mithin kann der Staat grundsätzlich nicht in die Lebensplanung der Eltern eingreifen und die Motive des wegzugswilligen Elternteils spielen grundsätzlich keine Rolle. Massgebend ist alleine das Kindeswohl. Dies bedeutet, dass dem Elternteil der Wegzug nicht verboten werden kann. Die Frage ist hingegen, ob der Elternteil berechtigt wird, das Kind ins Ausland mitzunehmen. Es kann jedoch nie ein Elternteil verpflichtet werden in der Schweiz zu bleiben, um das Kind hier zu betreuen.
Durchsetzung und Sanktionen
Der sogenannte Zügelartikel (Art. 301a ZGB) sieht keine explizite Möglichkeit vor, ein allfälliges Umzugsverbot durchzusetzen. Liegt jedoch eine Kindeswohlgefährdung vor, können folgende Kindesschutzmassnahmen angeordnet werden:
- Verbot des Umzuges als Weisung (Art. 307 Abs. 3 ZGB)
- Hinterlegung des Reisepasses des Kindes
- Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts gegenüber einem Elternteil (Art. 310 Abs. 1 ZGB)
Die Kindesschutzmassnahmen können zudem mit der Androhung einer Ungehorsamstrafe nach Art. 292 StGB verbunden werden. Wenn ein Elternteil ins Ausland zieht, besteht unter Umständen die Möglichkeit, gestützt auf das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HEntfÜ) die Rückführung des Kindes in die Schweiz zu verlangen.
Fazit
In der Regel ist dem wegzugswilligen Elternteil, welcher bisher die Kinder betreut hat und dies auch weiterhin tun will, der Wechsel des Aufenthaltsortes des Kindes zu bewilligen, solange der andere Elternteil nicht die alleinige oder geteilte Obhut beantragt hat.
Das Obergericht des Kantons Zürich verlangt jedoch eine strenge und genaue Abklärungen der Voraussetzungen, insbesondere müssen die Parteien sowie allenfalls die Kinder angehört werden und bei vorsorglichen Massnahmen (Regelung für die Dauer des Verfahrens) im Rahmen eines Scheidungsverfahrens muss Dringlichkeit gegeben sein.
Quelle
LawMedia-Redaktionsteam / 20.10.2017
Art. 296 ZGB Grundsätze
1 Die elterliche Sorge dient dem Wohl des Kindes.
2 Die Kinder stehen, solange sie minderjährig sind, unter der gemeinsamen elterlichen Sorge von Vater und Mutter.
3 Minderjährigen Eltern sowie Eltern unter umfassender Beistandschaft steht keine elterliche Sorge zu. Werden die Eltern volljährig, so kommt ihnen die elterliche Sorge zu. Wird die umfassende Beistandschaft aufgehoben, so entscheidet die Kindesschutzbehörde entsprechend dem Kindeswohl über die Zuteilung der elterlichen Sorge.
Art. 301a ZGB Inhalt / Im Allgemeinen
1 Die Eltern leiten im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen.
1bis Der Elternteil, der das Kind betreut, kann allein entscheiden, wenn:
1. die Angelegenheit alltäglich oder dringlich ist;
2. der andere Elternteil nicht mit vernünftigem Aufwand zu erreichen ist.2
2 Das Kind schuldet den Eltern Gehorsam; die Eltern gewähren dem Kind die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und nehmen in wichtigen Angelegenheiten, soweit tunlich, auf seine Meinung Rücksicht.
3 Das Kind darf ohne Einwilligung der Eltern die häusliche Gemeinschaft nicht verlassen; es darf ihnen auch nicht widerrechtlich entzogen werden.
4 Die Eltern geben dem Kind den Vornamen.
Art. 301a Inhalt / Bestimmung des Aufenthaltsortes
1 Die elterliche Sorge schliesst das Recht ein, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
2 Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts oder der Kindesschutzbehörde, wenn:
a. der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt; oder
b. der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der
elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat.
3 Übt ein Elternteil die elterliche Sorge allein aus und will er den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so muss er den anderen Elternteil rechtzeitig darüber informieren.
4 Dieselbe Informationspflicht hat ein Elternteil, der seinen eigenen Wohnsitz wechseln will.
5 Soweit dies erforderlich ist, verständigen sich die Eltern unter Wahrung des Kindeswohls über eine Anpassung der Regelung der elterlichen Sorge, der Obhut, des persönlichen Verkehrs und des Unterhaltsbeitrages. Können sie sich nicht einigen, entscheidet das Gericht oder die Kindesschutzbehörde.
Art. 302 Inhalt / Erziehung
1 Die Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen.
2 Sie haben dem Kind, insbesondere auch dem körperlich oder geistig gebrechlichen, eine angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen soweit möglich entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung zu verschaffen.
3 Zu diesem Zweck sollen sie in geeigneter Weise mit der Schule und, wo es die Umstände erfordern, mit der öffentlichen und gemeinnützigen Jugendhilfe zusammenarbeiten.
Art. 303 Inhalt / Religiöse Erziehung
1 Über die religiöse Erziehung verfügen die Eltern.
2 Ein Vertrag, der diese Befugnis beschränkt, ist ungültig.
3 Hat ein Kind das 16. Altersjahr zurückgelegt, so entscheidet es selbständig über sein religiöses Bekenntnis.
Art. 304 Inhalt / Vertretung / Dritten gegenüber / Im Allgemeinen
1 Die Eltern haben von Gesetzes wegen die Vertretung des Kindes gegenüber Drittpersonen im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Sorge.
2 Sind beide Eltern Inhaber der elterlichen Sorge, so dürfen gutgläubige Drittpersonen voraussetzen, dass jeder Elternteil im Einvernehmen mit dem andern handelt.
3 Die Eltern dürfen in Vertretung des Kindes keine Bürgschaften eingehen, keine Stiftungen errichten und keine Schenkungen vornehmen, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke.
Art. 305 Inhalt / Vertretung / Dritten gegenüber / Rechtsstellung des Kindes
1 Das urteilsfähige Kind unter elterlicher Sorge kann im Rahmen des Personenrechts durch eigenes Handeln Rechte und Pflichten begründen und höchstpersönliche Rechte ausüben.3
2 Für Verpflichtungen des Kindes haftet sein Vermögen ohne Rücksicht auf die elterlichen Vermögensrechte.
Art. 306 Inhalt / Vertretung / 2. Innerhalb der Gemeinschaft
1 Urteilsfähige Kinder, die unter elterlicher Sorge stehen, können mit Zustimmung der Eltern für die Gemeinschaft handeln, verpflichten damit aber nicht sich selbst, sondern die Eltern.
2 Sind die Eltern am Handeln verhindert oder haben sie in einer Angelegenheit Interessen, die denen des Kindes widersprechen, so ernennt die Kindesschutzbehörde einen Beistand oder regelt diese Angelegenheit selber.
3 Bei Interessenkollision entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse der Eltern in der entsprechenden Angelegenheit.
Weiterführende Informationen / Linktipps
BGE 142 III 481 | bger.ch
BGE 142 III 502 | bger.ch
BGE 142 III 498 | bger.ch
Umsetzung gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall | kokes.ch
Art. 296 | admin.ch