Für den Einsatz der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) bedürfe es laut Bundesgericht einer ausreichend detaillierten Gesetzesregelung. Für die im Kanton Thurgau praktizierte AFV fehlte es an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage. Das Bundesgericht hiess daher die Beschwerde eines Autolenkers, welcher trotz Entzug des Führerausweises einen Personenwagen gefahren war, gut, hob das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau auf und wies die Sache zu neuem Entscheid an dieses zurück.
Bei der AFV würden mittels Kamera erfasst:
- Kontrollschild
- Zeitpunkt
- Standort
- Fahrtrichtung
- Fahrzeuginsassen
Die Identität des Halters würde dann in Erfahrung gebracht. Über diese Erhebung und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Informationen hinaus würden die Daten anschliessend mit anderen Datensammlungen zusammengeführt und automatisch abgeglichen. Dies ermögliche eine serielle und simultane Verarbeitung komplexer Datensätze innert Sekundenbruchteilen. Namentlich die Kombination mit anderweitig erhobenen Daten könne Grundlage für Persönlichkeits- und Bewegungsprofile bilden. Die AFV könne abschreckende Wirkung zeigen und mit einem Gefühl der Überwachung einhergehen, das die Selbstbestimmung wesentlich hemmen kann (sog. «chilling effect»). Die AFV bewirke somit einen schweren Eingriff ins Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BV 13 Abs. 2). Solche schweren Grundrechtseingriffe bedürften einer klaren und ausdrücklichen Grundlage in einem formellen Gesetz.
Das Thurgauer Polizeigesetz bilde entgegen der Auffassung des Obergerichts keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für den Einsatz der AFV. Für die Strassenverkehrsteilnehmer sei nicht vorhersehbar, welche Informationen gesammelt, aufbewahrt und mit anderen Datenbanken verknüpft beziehungsweise abgeglichen würden. Nicht ausreichend geregelt sei zudem die Aufbewahrung und Vernichtung der gesammelten Daten. Dem Thurgauer Polizeigesetz lasse sich keine Löschungspflicht für trefferlose Daten entnehmen.
Mangels einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage seien die Aufzeichnungen der AFV im konkreten Fall rechtswidrig erhoben worden und ihre Verwertung als Beweis wäre im Sinne von StPO 141 nur zulässig, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten gehen würde. Das Fahren ohne Berechtigung falle nicht unter diese Straftaten-Kategorie.
Urteil des Bundesgerichts vom 07.10.2019 (6B_908/2018)
Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 23.10.2019, 12.01 Uhr
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Quelle
LawMedia Redaktionsteam
Bild: © ASTRA Infrastrukturfiliale Winterthur