Keine Genehmigung durch Banklagerndpost und keine Freizeichnung durch Banken-AGB
Einleitung
Die vorliegende Streitsache betraf hauptsächlich die Frage der Anwendbarkeit von Zustell- und Genehmigungsfiktionen in Banken-AGB’s im Falle eines nicht in Auftrag gegebenen Aktienverkaufs.
Sachverhalt
Dem Rechtsstreit lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zu Grunde:
- Dr. WY_ sel. war seit 1997 Kunde der Schweizer Bank A_.
- Namenkonto + Wertschriftendepot
- Basis-Treuhandvertrag
- Banklagerndpost
- B_, C_ und D_ (Erben des zwischenzeitlich verstorbenen Dr. WY_ sel.) machten in ihrer Klage gegen die Bank A_ geltend, der Bankkundenberater LU_ sel. (welcher später Suizid beging) habe am 03.2008 ohne Auftrag von Dr. WY_ sel. 3’010 VW-Aktien verkauft.
- ihnen sei ein Schaden in der Form eines entgangenen Gewinns in der Höhe von CHF 3’461’757.95 zzgl. Schadenszins von 5% ab 28.10.2008 entstanden, weil diese Aktien am 28.10.2008 zu einem Börsenhöchstkurs hätten verkauft werden können, sich in diesem Zeitpunkt aber aufgrund des unautorisierten Verkaufs durch den Bankmitarbeiter LU_ sel. nicht mehr im Wertschriftendepot befunden hätten.
Prozessgeschichte
- Das erstinstanzliche Verfahren vor dem Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden, eingeleitet mit Klageschrift im Okt. 2013, endete – nach doppeltem Schriftenwechsel, Novenstellungnahmen, Hauptverhandlung und einem ausgiebigen Beweisverfahren mit div. Zeugeneinvernahmen, Akteneditionen beim Konkursamt, bei der Staatsanwaltschaft und bei der beklagten Bank A_. sowie einer Auskunftseinholung bei der FINMA) – am Sept. 2017 mit einem die Klage vollumfänglich gutgeheissenden Urteil.
- Die im erstinstanzlichen Verfahren unterlegene beklagte Bank A_ erhob gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ans Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Die Berufung wurde – nach formellem einfachen Schriftenwechseln und weiteren Stellungnahmen der Parteien – mit Urteil vom 05.02.2019 vollumfänglich abgewiesen und das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Das Urteil des Obergerichtes des Kantons Appenzell Ausserrhoden erwuchs in
Streitpunkte
Umstritten waren im erst- wie auch im zweitinstanzlichen Verfahren v.a. folgende Punkte:
- Frage des Vorliegens eines Anlageberatungsverhältnisses mit entsprechender Aufklärungspflicht der Bank (Standpunkt Kläger) oder einer reinen Konto-/Depot-Beziehung ohne Aufklärungspflicht (Standpunkt Beklagte).
- Die Qualifikation des Verkaufs der 3‘010 VW-Aktien am 17. März 2008 als Geschäftsanmassung (bösgläubige, unechte Geschäftsführung im Sinne von Art. 423 OR)
- Die Frage einer (1) konkludenten oder (2) stillschweigenden Genehmigung des unautorisierten VW-Aktien-Verkaufs vom 17.03.2008 und des Verkaufs vom 28.10.2008 durch Dr. WY_ sel. und/
oder die Erben B_ und C_ (als Bevollmächtigte von Dr. WY_ sel.), aufgrund (1) späterer Bank-Transaktionen von Dr. WY_ sel., resp. (2) aufgrund der Zustell- und Genehmigungsfiktion in den AGB’s der Beklagten.
Erwägungen
Nachfolgend werden einige Schlüssel-Erwägungen des Obergerichtes des Kantons Appenzell Ausserrhoden zu den vorgenannten Fragestellungen wiedergegeben (Hervorhebungen durch LawMedia AG); zu den detaillierten Ausführungen siehe den Text des 76-seitigen Urteils (Quelle am Schluss angegeben):
- zu a: Anlageberatungsverhältnis oder reine Konto-/Depot-Beziehung
- „Nach Auffassung des Obergerichts sprechen verschiedene Einträge im Client Management System (CMS) für ein Anlagelageberatungsverhältnis und zwar eher für eine umfassende und nicht nur punktuelle Anlageberatung […].“ (Erw. 2.1.6)
- „Ein weiteres gewichtiges Argument dafür, dass in casu keine blosse Konto-/Depot-Beziehung bestand, sondern die Beklagte als Anlageberaterin zu betrachten ist, liegt nach dem Obergericht im besonderen Vertrauensverhältnis, welches zwischen Dr. WY_ sel. und LU_ sel. bestanden hat.“ (Erw. 2.1.6)
- zu b: Unautorisierter Aktienverkauf als Geschäftsanmassung
- Der Verkauf der 3‘010 VW-Aktien am 17. März 2008 stellt eine Geschäftsanmassung, d.h. eine bösgläubige, unechte Geschäftsführung im Sinne von Art. 423 OR dar […]. Allerdings geht es vorliegend nicht um die Zuweisung eines Gewinnes (vgl. Art. 423 Abs. 1 OR), sondern um die Haftung für einen Schaden […]: Oben (E. 2.1.6) wurde dargelegt, dass LU_ sel. keinen Fremdgeschäftsführungswillen gehabt hat resp. bei einem Anlageberatungsverhältnis einen solchen nicht hätte haben dürfen. Durch den eigenmächtigen Verkauf von 3‘010 VW-Aktien hat LU_ sel. sodann in ein absolutes Recht von Dr. WY_ sel. eingegriffen […]. Die Widerrechtlichkeit der Einmischung ergibt sich aus dem Anlageberatungsverhältnis zwischen der Beklagten und Dr. WY_ sel., bei welchem der Entscheid für Transaktionen allein und ausschliesslich beim Kunden liegt […] (Erw. 2.2.9)
- Zu c: Konkludente oder stillschweigende Genehmigung
- „Wie die Vorinstanz zu Recht festhielt […], könnte in den Verfügungen über den Kontosaldo vom […] eine indirekte Genehmigung des Verkaufs von 3‘010 VW-Aktien zudem nur gesehen werden, wenn Dr. WY_ sel. tatsächlich bewusst gewesen wäre, dass die verwendete Liquidität aus dem fraglichen Aktienverkauf stammte, was von der Beklagten aber nicht bewiesen worden und somit rein spekulativ ist. Dr. WY_ sel. lag nämlich weder am […] noch am […] eine Abrechnung über den Verkauf der 3‘010 VW-Aktien vor. Ob er ohne aktuelle Kontoauszüge jederzeit wusste, welchen Stand seine Konti bei der Beklagten aufwiesen, ist somit nicht bewiesen.“ (Erw. 2.2.6)
- „Die Vorinstanz [ist] aufgrund der besonderen Umstände […] zu Recht zum Schluss gelangt, [Dr. WY_ sel.] hätte durch seinen Bankberater LU_ sel. proaktiv über den Verkauf der 3‘010 VW-Aktien am 17. März 2008 informiert werden müssen und die Bank könne sich deshalb nicht auf die Genehmigungsfiktionsklausel bezüglich der Banklagernd-Post […] berufen […].
- „Mit den im BEHG und der BEHV-FINMA statuierten Meldepflichten ist auch die Auffassung der Beklagten widerlegt […], dass die vom Kundenberater zu erwartende Sorgfalt die Dokumentation eines Auftrages nicht erfasst […].“ (Erw. 2.2.7c).
- „Entsprechend hat das Kantonsgericht in der Verletzung der Dokumentationspflicht einen von fünf Gründen erblickt, weshalb die Bank aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben unter den vorliegenden Umständen und des zugrundeliegenden Anlageberatungsverhältnisses nicht vom Genehmigungswillen des Geschädigten ausgehen durfte.“ (Erw. 2.2.7c)
- Zusammenfassend hat das Kantonsgericht festgehalten […], die von LU_ sel. am 17. März 2008 ohne Verkaufsauftrag vorgenommene vertragswidrige Veräusserung von 3’010 VW-Aktien werde nicht mittels der Genehmigungsfiktionsklausel nachträglich geheilt. Der Genehmigungsfiktion werde vorliegend die Anwendung versagt, weil
- keine Kenntnis der vertragswidrigen Transaktion durch Dr. WY_ sel. belegt sei,
- keine rechtsgenügliche Aufklärung über die in den Bankauszügen aufgeführten Transaktionen belegt sei,
- die Beklagte ihre auftragsrechtlichen Dokumentationspflichten krass verletzt habe,
- Dr. WY_ sel. kein rechtzeitiger Widerspruch gegen den unautorisierten Verkauf der 3’010 VW-Aktien objektiv möglich und zumutbar gewesen sei und
- der Kundenberater das enge Vertrauensverhältnis mit dem Bankkunden Dr. WY_ sel. missbraucht habe, weshalb die Bank aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben unter diesen konkreten Umständen und des zugrundeliegenden Anlageberatungsvertrages nicht vom Genehmigungswillen des Geschädigten habe ausgehen dürfen.
Würde vorliegend die Genehmigungsfiktion spielen, würde dies zu einem unbilligen, das Rechtsempfinden verletzenden Ergebnis führen […].
Diese Überlegungen überzeugen und das Obergericht kann sich diesen vollumfänglich anschliessen.“ (Erw. 2.2.7e)
Entscheid
- Abweisung der Berufung
- Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von CHF 3‘461‘757.95 zuzüglich 5 % Zins ab 28.10.2008 an die Kläger
- Bestätigung der erstinstanzlichen Gerichtskosten- und Parteientschädigungsregelung
- Auferlegung der Gerichtskosten des Berufungsverfahrens an die Beklagte
- Zusprechung einer Parteientschädigung für das Berufungsverfahren an die Kläger
Quelle
- Urteil Obergericht Appenzell Ausserrhoden vom 05.02.2019, Verfahrens-Nr. O1Z 18 3 | rechtsprechung.ar.ch