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Patente / Patentrecht / Patentschutz

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Befangenheitsanschein eines teilamtlichen Bundespatentrichters

Datum:
24.08.2021
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Patente / Patentrecht / Patentschutz
Stichworte:
Bundespatentgericht, Patentanwalt
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

PatG 13; BV 30 Abs. 1; EMRK 6 Ziffer 1; ZPO 47

Einleitung

Haben beteiligte Parteien in einem patentrechtlichen Verwaltungsverfahren keinen Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz, sind sie gestützt auf PatG 13 (siehe Box unten) gehalten, ein Zustellungsdomizil in der Schweiz zu bezeichnen. Diese „Zustelldomizil“-Regelung führt dazu, dass Patentanwaltskanzleien für eine Vielzahl von Patenten als Zustellvertreter beim Institut für geistiges Eigentum (IGE) vorgemerkt sind. In solchen Fällen werden vom nationalen Vertreter einzig die Mitteilungen des IGE entgegengenommen und weitergeleitet; ob es dabei bleibt, ist oft intransparent.

Sachverhalt

In konkreten Sache hatte die B. AG hatte gegen die A. AG eine Patentverletzungsklage vor dem Bundespatentgericht erhoben und die Verletzung von drei europäischen Patenten durch die Einweg-Injektionspens der A. AG geltend gemacht. In diesem Verfahren (O2017_022) agierte Tobias Bremi als Referent. Er ist ein im Teilpensum tätiger hauptamtlicher Richter und gleichzeitig Patentanwalt und Partner in der Kanzlei E. AG (E.). In seinem Fachrichtervotum hatte er den Standpunkt vertreten, dass eines der Patente rechtsbeständig und verletzt sei.

Beim Bundespatentgericht wurde später eine weitere Patentverletzungsklage gegen A. eingereicht. In diesem Verfahren machte eine Drittgesellschaft die Verletzung ihres Patents durch die gleichen Injektionspens der A. geltend. Bundespatentrichter Tobias Bremi war in diesem zweiten Patentverletzungsverfahren (O2020_001) weder als Richter tätig, noch trat die Kanzlei, in welcher er Partner ist, als Rechtsvertreterin einer der Prozessparteien auf. Die Kanzlei E. war aber als Zustelldomizil-Vertreterin von Patenten der Drittgesellschaft beim IGE vorgemerkt.

Prozess-History

  • Die vorstehende Sachlage veranlasste die A. AG, im ersten Patentverletzungsverfahren gegen Richter Tobias Bremi ein Ausstandsgesuch zu stellen.
  • Das Bundespatentgericht wies das Ausstandsgesuch der A. AG ab.
  • Die A. AG gelangte mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.

Erwägungen des Bundesgerichts

Strittig war im bundesgerichtlichen Verfahren 4A_243/2020, ob Richter Tobias Bremi im ersten Patentverletzungsverfahren O2017_022 in den Ausstand zu treten hat. Dabei war von folgenden Tatsachen auszugehen:

  • Tobias Bremi übt zwei Funktionen aus: Einerseits ist er der zweite hauptamtliche Richter (im Teilpensum) am Bundespatentgericht, andererseits ist er Patentanwalt in der Patentanwalts- und Markenrechtskanzlei E.________ AG. In seiner Funktion als Bundespatentrichter ist er im vorliegenden ersten Patentverletzungsverfahren O2017_022 Referent.
  • Im zweiten Patentverletzungsverfahren O2020_001 ist Tobias Bremi weder als Richter beteiligt, noch vertritt seine Kanzlei eine der Prozessparteien als Rechtsvertreter.
  • Gemäss Feststellung der Vorinstanz erschöpft sich die Tätigkeit der Kanzlei E.________ AG für die Klägerin des zweiten Verfahrens O2020_001 in der administrativen Vertretung gegenüber dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE).

Das BGer erwog aufgrund dieser Ausgangslage:

  • Befangenheitsanschein bei objektiver Betrachtung

    • Ob ein Richter in den Ausstand zu treten hat, beurteile sich danach, ob bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen,
      • die den Anschein der Befangenheit oder
      • die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen
    • Keine tatsächliche Befangenheit vorausgesetzt

      • Für eine Richter-Ablehnung werde nicht verlangt, dass er tatsächlich befangen sei; die Befangenheit als innerer Zustand könne denn auch kaum nachgewiesen werden
    • Irrelevanz der tatsächlichen Befangenheit

      • Für die Befangenheit eines Richters komme es nicht darauf an, ob er tatsächlich befangen sei
    • Richterkenntnis des Ausstandsgrundes nicht von Belang

      • Für die Beurteilung des Ausstandsgrundes sei weiter nicht entscheidend,
        • ob der Richter im Zeitpunkt der Stellung des Ausstandsgesuchs dies bereits tatsächlich wusste,
        • ob aufgrund bestehender Gegebenheiten ein bestimmter Ausstandsgrund vorliege oder
        • ob ihn erst eine Partei auf einen solchen aufmerksam gemacht habe

Entscheid

  1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss der Verwaltungskommission des Bundespatentgerichts vom 8. April 2020, O2017_022, wird aufgehoben. Die Sache wird zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
  2. Die Gerichtskosten von Fr. 1’000.– werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
  3. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2’500.– zu entschädigen.
  4. (Mitteilungen)

Quelle

BGer 4A_243/2020 vom 05.11.2020 = BGE 147 III 89 ff.

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