Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Schweiz in zwei Fällen wegen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren verurteilt:
- Zwei Vätern wurde es in der Schweiz verunmöglicht, gegen die Verlegung des Wohnsitzes ihres Kindes ins Ausland vorzugehen.
- Die jeweils zuständige KESB hatte dem Entscheid die aufschiebende Wirkung entzogen.
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) hatten in beiden Fällen den Wegzug der Mütter mit dem jeweiligen Kind bewilligt, sodass die Umzüge nach den KESB-Entscheiden stattfinden konnten,
- im einen Fall nach Deutschland, wo die Mutter eine Stelle antrat;
- im andern Fall nach Monaco, wo die Mutter zu ihrem neuen Partner zog.
Als die beiden Väter gegen die Verlegung des Wohnsitzes vorgehen wollten,
- lehnten die beiden KESB die Gewährung einer aufschiebenden Wirkung ab;
- erklärten sich die schweizerischen Gerichte für unzuständig;;
- begründeten die Gerichte ihre Urteile damit, dass die gerichtliche Zuständigkeit gemäss dem Haager Kinderschutzübereinkommen durch die Wohnsitzverlegung im Land des neuen Wohnsitzes liege.
Das Bundesgericht (BGer) bestätigte je die neue (Ausland-)Zuständigkeit.
Gemäss EGMR widerspreche das Vorgehen der Schweizer Behörden und Gerichte dem Recht auf ein faires Verfahren:
- In gewissen Fällen könne es zwar zulässig sein, einem Entscheid keine aufschiebende Wirkung zu gewähren, aber nicht in den vorgelegten Streitfällen.
- Mit der Nicht-Gewährung der aufschiebenden Wirkung hätten die Entscheide administrativer Behörden (so wurden die KESB qualifiziert) nicht mehr von einem Schweizer Gericht mit voller Kognitionsbefugnis überprüft werden können.
In Familienrechtsbelangen, wie der vorliegenden, gehe es um Fragen, die einschneidende Folgen für die Betroffenen haben könnten.
Urteile des EGMR Palazzi gegen die Schweiz und Roth gegen die Schweiz vom 08.02.2022
G-Nrn. 44101/18 und 69444/17
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Quelle
LawMedia Redaktionsteam