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Direktkontaktverbot: Eine allgemein verbindliche Berufspflicht

Datum:
13.05.2022
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Anwälte / Mediatoren
Stichworte:
Berufskollegen, Berufspflicht, Direktkontaktverbot, Gegenpartei
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

BGFA 12 lit. a

Einleitung

Ein sog. „Direktkontakt“ ist gegeben, wenn sich ein Anwalt unter Umgehung des Berufskollegen direkt an die Gegenpartei wendet oder mit ihr über die strittigen Themen verhandelt.

Direktkontakte werden als unkorrekt betrachtet.

Etliche alte kantonale Anwaltsgesetze enthielten ein Verbot von Direktkon­takten, ebenso die Verbandsregeln SSR-SAV.

Das Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA) erwähnt dagegen Direktkontakte nicht.

Das Thema des Direktkontakts ist daher einer näheren Betrachtung zu unterziehen.

Ausgangslage

Es ist die verfassungsrechtlich geschützte Aufgabe des Rechtsanwalts, die Parteiinteressen seines Klienten umfassend und dezidiert zu wahren. Dabei soll seine Funktion nicht unnötig erschwert werden.

Grundsatz: Direktkontaktverbot

Es ist dem Rechtsanwalt untersagt, mit der Gegenpartei, die durch einen Berufskollegen vertreten wird, ohne dessen Einwilligung zu verkehren.

Direktkontakt: Eine Berufsregelverletzung

Eine direkte Kontaktnahme mit der Gegenpartei, die durch einen Anwalt vertreten ist, stellt einen Verstoss gegen die Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Ausübung des Anwaltsberufs dar.

Lehre und Rechtsprechung stützen sich für die Verbotsanrufung und die Sanktionierung auf Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA).

Auf Anzeige hin werden solche Berufsregelverletzungen von den Aufsichtsbehörden geahndet, meistens mit Verwarnung oder Busse, ausser es bestünden Vorstrafen und/oder Uneinsicht.

Direktkontakte sind auch unkollegial.

Gesetzgeber-Intention

Der Gesetzgeber des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA) zielt mit dem Grundsatz, wonach Anwältinnen und Anwälte «ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft» auszuüben haben (BGFA 12 lit. a) trotz Nichterwähnung auch auf das sog. «Direktkontaktverbot».

Mit dem «Sorgfalts- und Gewissenhaftigkeits-Prinzip» setzte er den Fokus auf:

  • Interesse des rechtssuchenden Publikums
  • Geordneten Gang der Rechtspflege
  • Wahrung des Vertrauens in die Anwaltschaft.

Das Verbot der direkten Kontaktnahme dient aber nicht nur dem Anwaltsstand, sondern auch dem Kräftegleichgewicht zwischen den Konfliktparteien:

  • Es soll ein ungebührliches Beeindrucken bzw. eine Beeinflussung der anwaltlich vertretenen Partei durch den unmittelbaren Kontakt mit dem gegnerischen Anwalt ausgeschlossen werden.

Das berufsrechtliche Verbot von Di­rektkontakten schützt also v.a. die Gegenpartei, nicht den Gegenanwalt.

Ziele

Das Ziel dieser Regelung ist es, das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient zu schützen.

Der Gegenanwalt sollte das Vertrauensverhältnis nicht dadurch gefährden dürfen, dass er hinter dem Rücken seines Kollegen mit der Gegenpartei in Verbindung tritt.

Es soll also der Gefahr einer Beeinflussung der Gegenpartei begegnet werden.

Rechtsnatur

Beim Direktkontaktverbot handelt es sich um eine sog. «allgemein verbindliche Berufspflicht».

Ausnahme-Grundsatz: Direktkontakt nur mit Einwilligung des Gegenanwalts

Ein Direktkontakt ist zulässig, wenn ihn der Gegenanwalt erlaubt. Das vom Gegenanwalt erklärte Einverständnis bindet jedoch den von ihm vertrete­nen Klienten.

Meist wird dabei der Gegenstand des Kontakts unter den Anwälten im Voraus definiert. Es geht dabei vielfach um einen Informationsaustausch, für den es den eigenen Anwalt nicht unbedingt benötigt, und nicht um Verhandlungen. Der einwilligende Anwalt wird einen Direktkontakt mit seiner Klientschaft absprechen und genehmigen lassen sowie über die Grenzen des Kontakts informieren. Solche Einwilligungen sind aber nur für stabile und belastbare Klienten geeignet.

Hinsichtlich des Einkopierens des eigenen Klienten in die e-mail-Korrespondenz mit dem Gegenanwalt und der dabei entstehenden Risiken einer Direktkontakt-Erlaubnis sei verwiesen auf:

Ausnahmen

Nach Auffassung des Bundesgerichts sind Ausnahmen möglich, wenn sich eine direkte Kontaktnahme mit der Gegenpartei aufdrängt (vgl. BGer 2P.156/2006, 2A.355/2006, Erw. 4.2).

Als klassische Voraussetzungen gelten:

  • Dringlichkeit mit Gefährdung der Position der Gegenpartei und Nichterreichbarkeit des Gegenanwalts

    • So ist ein Direktkontakt bei Dringlichkeit nicht nur zulässig, sondern unvermeidlich, wenn der Gegenanwalt nicht innert nützlicher Frist erreicht werden kann.
    • Der das Direktkontaktverbot missachtende Anwalt hat den Gegenanwalt über seine direkte Kontaktnahme unverzüglich zu informieren.

SCHILLER KASPAR, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich 2009, S. 370, Rz 1503, präzisiert:

  • „Allenfalls unkorrekt, aber keine gravierende Sorgfaltswidrigkeit ist dagegen ein Direktkontakt, bei der eine Gefährdung der Position der Ge­genpartei von vornherein ausgeschlossen ist, wie z.B. die Zustellung eines Briefs direkt an die Gegenpartei mit gleichzeitiger Kopie an deren Anwalt. Ein solches Vorgehen mag die Verbandsregeln verletzen, nicht aber die Sorgfaltspflicht nach BGFA.“

Eine direkte Kontaktnahme sollte jedenfalls ein Einzelfall bilden und die «Ultima ratio» bleiben, damit die Grundlage für eine «weitere Zusammenarbeit» unter den Parteivertretern im Hinblick auf eine Lösungsfindung und die Streitbeilegung intakt bleibt.

Verletzung von Treu und Glauben

„Eine berufsrechtlich relevante, schwere Verletzung von Treu und Glauben ist der Direktkontakt insbesondere dann, wenn der Anwalt die Unerfahren­heit der Gegenpartei ausnützt, z.B. wenn die Gegenpartei zu Zugeständnis­sen verleitet werden soll, die sie bei anwaltlicher Vertretung nicht gemacht hätte.“ (SCHILLER KASPAR, a.a.O., Rz 1503, S. 370).

Verhandlungsverbot

Ohne das Einverständnis des Gegenanwalts darf jedenfalls über strittige Themen nicht direkt verhandelt werden.

Auch kein Direktkontakt aus Bequemlichkeitsgründen

Das Verbot der direkten Kontaktnahme ist ein absolutes und kann nicht aus Bequemlichkeit umgangen werden:

  • zB Begehren um Ausstellung eines Lohnausweises für den Klienten.
  • zB direkte Kontaktierung von Mitarbeitern der Gegenpartei.

Vgl. hiezu auch zav INFO, Ausgabe 1/22, S. 5

Transparenzpflicht und Gegenanwalt-Information

Ist die Gegenpartei sich der Problematik des Direktkontakts nicht offensichtlich bewusst ist, muss sie darauf aufmerksam gemacht werden:

  • Es empfiehlt sich, Transpa­renz zu schaffen und jeden Anschein einer Beeinflussung der unvertretenen Gegenpartei zu vermeiden.

Der Gegenanwalt ist deshalb sobald als möglich über die Konstellation zu informieren.

Fazit

Angesichts der Ziele des Gesetzgebers, der Qualifikation als Berufs- und Standesregelverletzung und des Risikos einer Sanktionierung sollten Anwältinnen und Anwälte das Direktkontaktverbot strikte beachten.

Literatur

  • FELLMANN WALTER, Kommentar zum Anwaltsgesetz, Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA), Art. 12 / II. Art. 12 lit. a: Sorgfältige Berufsausübung / E.F., Rz 51, S. 198 f.
  • WEGMANN PAUL, Handbuch Berufspflichten, S. 176 ff.
  • FELLMANN WALTER / SIDLER OLIVER , Standesregeln des Luzerner Anwaltsverbands, Bern 1996, Art. 41 N 2
  • FELLMANN WALTER, in: Fellmann/Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich / Basel / Genf 2005, Art. 12 N 51a
  • SCHILLER KASPAR, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich 2009, S. 370 ff., Rz 1501 ff.
  • BRUNNER ALEXANDER / HENN MATTHIAS-CHRISTOPH / KRIESI KATHRIN, Anwaltsrecht, litera B, Zürich / Basel / Genf 2015, S. 115 f.

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