Bei ungerechtfertigtem Verstreichen der ordnungsgemässen Fristen für Dublin-Überstellungen kann der Bund die Subventionen für die Kantone streichen.
Sachverhalt
Der Kanton Neuenburg hatte zwei Fälle vor das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) gebracht, bei welchen das SEM festgestellt hatte, dass die sechs- respektive achtzehnmonatige Überstellungsfrist ungenutzt verstrichen war, weshalb ein nationales Verfahren eingeleitet werden musste.
Gemäss SEM beruhte die Nichterfüllung dieser Überstellungen auf keinen objektiven Gründen.
Konkrete Fälle
- Fall 1
- Es handelte sich um einen eritreischen Staatsangehörigen, der nach Italien überstellt werden sollte.
- Der Kanton leitete keine Schritte ein, weil seine Ehefrau, die er in der Schweiz wiedergefunden hatte, in fortgeschrittenem Stadium schwanger war.
- Diese war auch von einem Nichteintretensentscheid mit angeordneter Überstellung betroffen.
- Nach verstrichener Überstellungsfrist und nach Einleiten des nationalen Verfahrens erlangte der Betroffene in der Schweiz Asyl.
- Seine Ehefrau und das gemeinsame Kind kamen in den Genuss des Familiennachzugs.
- Fall 2
- Der Kanton Neuenburg unterliess es, einen türkischen Staatsangehörigen nach Bulgarien zu überstellen, nachdem dieser kurzzeitig aus dem Durchgangszentrum verschwunden war (weshalb die Vollzugsfrist achtzehn Monate dauerte) und zwei Selbstmordversuche begangen hatte.
Das SEM verfügte daher nach Ablauf der ordnungsgemässen Frist die Streichung der Bundessubventionen.
Anfechtung
Die Verfügungen wurden vom Kanton Neuenburg mit dem Argument angefochten, es müsse den Kantonen ein gewisser Handlungsspielraum gewährt werden und sie seien nicht dazu anzuhalten, die vom SEM angeordneten Überstellungen «blind» auszuführen.
Beurteilung durch das BVGer
Das BVGer prüfte, ob der Kanton Neuenburg seine Pflichten beim Vollzug der Überstellungen an Dublin-Staaten verletzt habe:
- Allgemeines
- Das BVGer erwog, dass die Bundesgesetzgeberin hier, im Gegensatz zum ordentlichen Ausländerrecht, den Kantonen keinerlei Spielraum überlasse.
- Weiter bestünde keinesfalls die Möglichkeit, eine Verfügung oder ein rechtskräftiges Urteil ohne jeden Verfahrensrahmen wieder neu aufzurollen.
- Konkrete Fälle
- In beiden Fällen befanden sich die Betroffenen in einem Verfahren, in welchem
- die Bundesbehörde beschwerdefähige Verfügungen erlässt und
- Wiedererwägungsgesuche möglich sind.
- Unter solchen Umständen könnten nur objektive Gründe eine Nichterfüllung rechtfertigen.
- Das BVGer befand in seinen Verfügungen:
- Fall 1
- Der Kanton Neuenburg habe während der sechsmonatigen Überstellungsfrist keine konkreten Massnahmen ergriffen.
- Fall 2
- Der Kanton Neuenburg habe vierzehn Monate verstreichen lassen, ohne dass der Kanton auch nur Massnahmen eingeleitet hätte, um die medizinischen Aspekte des Dossiers zu aktualisieren.
- Weil jegliche objektive Begründung für die Nichterfüllung der Überstellungen fehlten, habe das SEM kein Bundesrecht verletzt, als es die Bundessubventionen für diese zwei Fälle gestrichen habe.
- Fall 1
- In beiden Fällen befanden sich die Betroffenen in einem Verfahren, in welchem
Entscheid
Abweisung beider Beschwerden.
Rechtsmittelfähigkeit
Die Urteile können beim Bundesgericht angefochten werden.
Urteile des Bundesverwaltungsgerichts F-1724/2019 vom 27.06.2022 und F-1752/2019 vom 29.06.2022
Quelle
LawMedia Redaktionsteam