RA Urs Bürgi, Inhaber des Zürcher Notarpatentes, und
RA Marc Peyer, Fachanwalt SAV Erbrecht
Einleitung
Wie bereits berichtet tritt am 01.01.2023 die Erbrechtsrevision in Kraft.
Diese Artikelfolge soll auf das gesamte Erbrechts-Reformvorhaben des Bundes und die einzelnen, am 01.01.2023 in Kraft tretenden Änderungen näher eingehen.
Zunächst zur Agenda der Artikelfolge:
ERBRECHTSREVISION – DIE ARTIKELFOLGE
Teil 2 – Gesetzliches Erbrecht: Keine Änderungen
Teil 3 – Eltern-Pflichtteil: Abschaffung
Teil 4 – Nachkommen-Pflichtteil: Reduktion
Teil 5 – Ehegüterrecht + Ehegatten-Erbrecht
Teil 6 – Nutzniessung nach ZGB 473
Teil 7 – Erbvertrag: Bindungswirkung
Teil 8 – Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a): Berücksichtigung im Ehegüter- und Erbrecht
Agenda zu Teil 8
Altes Recht
Einleitung
In dem noch bis 31.12.2022 geltenden Recht ist die ehegüter- und erbrechtliche Behandlung der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) umstritten.
Dazu nachfolgend im Einzelnen.
Abgrenzung
Für die Beurteilung der Vorsorge-Situation wird heute unterschieden in:
- Vorsorgeversicherungen der Versicherer und
- Vorsorgevereinbarungen der Bankstiftungen.
Abgrenzung: Lebensversicherungen
Von der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) abzugrenzen sind die Lebensversicherungen.
Es gilt dabei v.a. unter folgenden zwei Arten zu unterscheiden:
- Reine Todesfallrisikoversicherungen
- Auszahlung erfolgt nur, wenn während der Vertragsdauer der Tod als Versicherungsfall eintritt
- Es gibt keinen Rückkaufswert
- Der Begünstigte hat einen Direktanspruch gegenüber dem Versicherer (VVG 78)
- Berührt weder Nachlassmasse noch Pflichtteilsberechnungsmasse
- Gemischte Lebensversicherungen
- Kombination einer temporären Todesfallversicherung mit einer Erlebensfallversicherung (Sparplan)
- Der Begünstigte hat einen Direktanspruch gegenüber dem Versicherer (VVG 78)
- Ein Teil der Prämien wird für den Versicherungsschutz verwendet, der Rest für das Sparkapital
- somit Vorliegen eines Rückkaufswerts
- Rückkaufswert wird zur Pflichtteilsberechnungsmasse gerechnet (ZGB 476)
- Rückkaufswert unterliegt der Herabsetzung (ZGB 529)
Vorsorgeversicherungen
Für Vorsorgeversicherungen der Säule 3a mit Rückkaufswert ist die Begünstigung (wie bei Lebensversicherungen mit Rückkaufswert) unter Anwendung von ZGB 476 einzubeziehen für:
- die Festlegung der Pflichtteilsberechnungsmasse
- mit dem Rückkaufswert
- im Todeszeitpunkt des Erblassers.
3. Versicherungsansprüche
Art. 476 ZGB
Ist ein auf den Tod des Erblassers gestellter Versicherungsanspruch mit Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen zugunsten eines Dritten begründet oder bei Lebzeiten des Erblassers unentgeltlich auf einen Dritten übertragen worden, so wird der Rückkaufswert des Versicherungsanspruches im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zu dessen Vermögen gerechnet
In Anwendung von Art. 529 kann eine Leistung aus einer Vorsorgeversicherung der Säule 3a mit Rückkaufswert der Herabsetzung unterliegen:
- mit dem Rückkaufswert
- im Todeszeitpunkt des Erblassers.
B. Herabsetzungsklage
I. Voraussetzungen
…
…
4. Versicherungsansprüche
Art. 529 ZGB
Versicherungsansprüche auf den Tod des Erblassers, die durch Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen zugunsten eines Dritten begründet oder bei Lebzeiten des Erblassers unentgeltlich auf einen Dritten übertragen worden sind, unterliegen der Herabsetzung mit ihrem Rückkaufswert.
Vorsorgevereinbarungen
Für Vorsorgevereinbarungen von Bankenstiftungen ist unter dem noch geltenden Recht unklar,
- ob die entsprechenden Leistungen in den Nachlass fallen oder,
- ob sie einzig für die Feststellung der Pflichtteilsberechnungsmasse und damit letztlich für eine allfällige Herabsetzung von Relevanz sind.
Da es sich nicht um Versicherungsleistungen handelt,
- gelangen die versicherungsrechtlichen Bestimmungen des VVG und insbesondere VVG 78 (Direktanspruch des Begünstigten) nicht zur Anwendung;
- sind die erbrechtlichen Bestimmungen von ZGB 476 (Hinzurechnung zur Pflichtteilsberechnungsmasse) und ZGB 529 (Herabsetzung) nicht anwendbar.
- ZGB 476 und ZGB 529 wird von einem Teil der Lehre analog angewandt.
3. Versicherungsansprüche
Art. 476 ZGB
Ist ein auf den Tod des Erblassers gestellter Versicherungsanspruch mit Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen zugunsten eines Dritten begründet oder bei Lebzeiten des Erblassers unentgeltlich auf einen Dritten übertragen worden, so wird der Rückkaufswert des Versicherungsanspruches im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zu dessen Vermögen gerechnet
B. Herabsetzungsklage
I. Voraussetzungen
…
…
4. Versicherungsansprüche
Art. 529 ZGB
Versicherungsansprüche auf den Tod des Erblassers, die durch Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen zugunsten eines Dritten begründet oder bei Lebzeiten des Erblassers unentgeltlich auf einen Dritten übertragen worden sind, unterliegen der Herabsetzung mit ihrem Rückkaufswert.
Neues Recht
Einleitung
Das neue Recht klärt die heute bestehenden Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a).
Neu: Eigener Anspruch der Vorsorge-Begünstigten
Im neuen Recht haben alle aus einer anerkannten Vorsorgeform begünstigten Personen einen eigenen bzw. persönlichen Anspruch auf die ihnen zugewiesene Vorsorgeleistung:
- Die Vorsorgeleistung wird den begünstigten Personen von der Versicherungseinrichtung oder der Bankstiftung direkt ausbezahlt (vgl. nBVG 82 Abs. 4).
Art. 82 nBVG Gleichstellung anderer Vorsorgeformen
1 Arbeitnehmer und Selbstständigerwerbende können Beiträge für weitere, ausschliesslich und unwiderruflich der beruflichen Vorsorge dienende, anerkannte Vorsorgeformen abziehen. Als solche Vorsorgeformen gelten:
a. die gebundene Selbstvorsorge bei Versicherungseinrichtungen;
b. die gebundene Selbstvorsorge bei Bankstiftungen.
2 Der Bundesrat legt in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Abzugsberechtigung für Beiträge nach Absatz 1 fest.
3 Er regelt die Einzelheiten der anerkannten Vorsorgeformen, insbesondere bestimmt er den Kreis und die Reihenfolge der Begünstigten. Er legt fest, inwieweit der Vorsorgenehmer die Reihenfolge der Begünstigten ändern und deren Ansprüche näher bezeichnen kann; die vom Vorsorgenehmer getroffenen Anordnungen bedürfen der Schriftform.
4 Die aus einer anerkannten Vorsorgeform Begünstigten haben einen eigenen Anspruch auf die ihnen daraus zugewiesene Leistung. Die Versicherungseinrichtung oder die Bankstiftung zahlt diese den Begünstigten aus.
Neu: Direktanspruch der Vorsorge-Begünstigten
Mit dem „eigenen Anspruch“ wird im neuen Recht den Vorsorge-Begünstigten ein Direktanspruch gemäss Art. 2 BVV 3 eingeräumt, und zwar für die
- Vorsorgeversicherung (bisher)
- Vorsorgevereinbarung (neu).
Art. 2 BVV 3 Begünstigte Personen
1 Als Begünstigte sind folgende Personen zugelassen:
- im Erlebensfall der Vorsorgenehmer;
- nach dessen Ableben die folgenden Personen in nachstehender Reihenfolge:
- der überlebende Ehegatte oder die überlebende eingetragene Partnerin oder der überlebende eingetragene Partner,
- die direkten Nachkommen sowie die natürlichen Personen, die von der verstorbenen Person in erheblichem Masse unterstützt worden sind, oder die Person, die mit dieser in den letzten fünf Jahren bis zu ihrem Tod ununterbrochen eine Lebensgemeinschaft geführt hat oder die für den Unterhalt eines oder mehrerer gemeinsamer Kinder aufkommen muss,
- die Eltern,
- die Geschwister,
- die übrigen Erben.
2 Der Vorsorgenehmer kann eine oder mehrere begünstigte Personen unter den in Absatz 1 Buchstabe b Ziffer 2 genannten Begünstigten bestimmen und deren Ansprüche näher bezeichnen.
3 Der Vorsorgenehmer hat das Recht, die Reihenfolge der Begünstigten nach Absatz l Buchstabe b Ziffern 3–5 zu ändern und deren Ansprüche näher zu bezeichnen.
Neu: Vorsorgeleistungen nicht im Nachlass
Die Vorsorgeleistungen der Säule 3a sind nach dem Ableben des Vorsorgenehmers neu nicht Gegenstand:
- der güterrechtlichen Auseinandersetzung;
- des Nachlasses;
- einer Erbteilung.
Neu: Berücksichtigung bei der Herabsetzung
Die direkt ins Vermögen des Vorsorge-Begünstigten gelangenden Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) sind der Herabsetzung unterworfen:
- Hinzurechnung für die Berechnung der Pflichtteile zum Vermögen des Erblassers (in der sog. „Pflichtteilsmasse“)
- bei der Versicherungsleistung eines Versicherers (Vorsorgeversicherung)
- mit dem Rückkaufswert im Todeszeitpunkt
- (vgl. nZGB 476 Abs. 1);
- bei der Vorsorgevereinbarung mit einer Bankenstiftung (Säule 3a)
- mit dem entsprechenden Kapitalbetrag
- (vgl. nZGB 476 Abs. 2).
- bei der Versicherungsleistung eines Versicherers (Vorsorgeversicherung)
- Ergebnis
- Es unterliegen somit der Herabsetzung:
- Versicherungsansprüche auf den Tod des Erblassers mit ihrem Rückkaufswert (nZGB 529 Abs. 1);
- Ansprüche aus der Vorsorgevereinbarung bei einer Bankenstiftung (Säule 3a) im Todesfall des Erblassers mit ihrem vollen Wert (nZGB 529 Abs. 2).
- Es unterliegen somit der Herabsetzung:
- Hinweis
- Beim Sparen mittels Vorsorgevereinbarung bei einer Bankenstiftung (Säule 3a) gibt es keinen Rückkaufswert.
3. Versicherung und gebundene Selbstvorsorge
Art. 476 nZGB
1 Ist ein auf den Tod des Erblassers gestellter Versicherungsanspruch, einschliesslich eines solchen Anspruchs aus der gebundenen Selbstvorsorge, mit Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen zugunsten eines Dritten begründet oder bei Lebzeiten des Erblassers unentgeltlich auf einen Dritten übertragen worden, so wird der Rückkaufswert des Versicherungsanspruchs im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zu dessen Vermögen hinzugerechnet.
2 Ebenfalls zum Vermögen des Erblassers hinzugerechnet werden Ansprüche von Begünstigten aus der gebundenen Selbstvorsorge des Erblassers bei einer Bankstiftung.
4. Versicherung und gebundene Selbstvorsorge
Art. 529 nZGB
1 Versicherungsansprüche auf den Tod des Erblassers, einschliesslich solcher Ansprüche aus der gebundenen Selbstvorsorge, die durch Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen zugunsten eines Dritten begründet oder bei Lebzeiten des Erblassers unentgeltlich auf einen Dritten übertragen worden sind, unterliegen der Herabsetzung mit ihrem Rückkaufswert.
2 Ebenfalls der Herabsetzung unterliegen Ansprüche von Begünstigten aus der gebundenen Selbstvorsorge des Erblassers bei einer Bankstiftung.
Neu: Einreihung in der Herabsetzungsreihenfolge
Die Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) werden durch das revidierte Erbrecht bei der Herabsetzung qualifiziert als
- Zuwendungen unter Lebenden.
Dies geht aus der künftigen Gesetzesbestimmung nZGB 532 Abs. 1 Ziffer 3 hervor (siehe Box unten).
Die Reihenfolge in der Herabsetzung (neu) bestimmt sich nach nZGB 532 Abs. 2 Ziffer 2 (siehe nachfolgende Box).
Art. 532 nZGB
1 Der Herabsetzung unterliegen wie folgt der Reihe nach, bis der Pflichtteil hergestellt ist:
- die Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge;
- die Zuwendungen von Todes wegen;
- die Zuwendungen unter Lebenden.
2 Die Zuwendungen unter Lebenden werden wie folgt der Reihe nach herabgesetzt:
- die der Hinzurechnung unterliegenden Zuwendungen aus Ehevertrag oder Vermögensvertrag;
- die frei widerruflichen Zuwendungen und die Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge, im gleichen Verhältnis;
- die weiteren Zuwendungen, und zwar die späteren vor den früheren.
Fazit
Die Klärung der umstrittenen ehegüter- und erbrechtlichen Behandlung der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) schafft die gewünschte Klarheit. Die gleichzeitige Berücksichtigung des Vorsorgesparens bei den Herabsetzungsregeln macht zwar Sinn, wird aber höhere Anforderungen an die Nachlassplanung stellen und zu mehr Herabsetzungsstreitigkeiten unter den Erben führen.
Weiterführende Informationen
- Erbrechtsrevision im ZGB (1. Reformetappe)
- Neue Gesetzesbestimmungen
- Chronologie
- Revision der erbrechtlichen Unternehmensnachfolge (2. Reformetappe)
- Revision der technischer Anliegen (3. Reformetappe)
- Reform des Internationalen Erbrechts (IPRG)