VVG 60 Abs. 1bis, am Beispiel von Skiunfällen
Einleitung
Seit der am 01.01.2022 in Kraft getretenen Revision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) steht Geschädigten gestützt auf Art. 60 Abs. 1bis VVG (siehe Box unten) neu ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem (Haftpflicht-)Versicherer des Schädigers zu.
Es stellt sich nun die Frage, ob Geschädigten, die in der Schweiz verunfallen, neu gestützt auf international-rechtliche Erlasse (IPRG) und Abkommen (zB LugÜ, EuGVVO etc.) in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1bis VVG ein Gerichtsstand an ihrem ausländischen (europäischen) Wohnsitz (sog. «Wohnsitzgerichtsstand») – unter Anwendung schweizerischen Rechts – zur Verfügung steht.
Publikation zu Skiunfällen in der Schweiz + Klagen im Ausland
SILVIO RIESEN zeigt in seinem Beitrag «Skiunfälle in der Schweiz, Klagen im Ausland werden zunehmen», in: HAVE 4/2022, S. 372 ff., verschiedene Haftungskonstellationen auf, die sich nach einem Skiunfall stellen können. Dabei geht der Autor auch auf international-rechtliche Fragestellungen ein, wenn Gäste aus dem EU-Raum auf Schweizer Skipisten verunfallen.
Der Autor zeigt die Grundlagen und Voraussetzungen auf, unter welchen möglicherweise den auf Schweizer Skipisten verunfallten, im Ausland wohnhaften Personen an ihrem EU-Wohnsitz ein Gerichtsstand zur Verfügung steht.
Nach seinen Darlegungen am Beispiel eines Skiunfalls mit internationalen Anknüpfungen schliesst er seine Ausführungen mit den Hinweisen:
- Die Frage könne nicht nur auf Schneesportunfälle zutreffen, sondern auf sämtliche Haftpflichtstreitigkeiten mit eurointernationalem Bezug.
- Anwälte und Anwältinnen seien deshalb gut beraten, jeweils exakt zu prüfen, welche Foren zur Verfügung stünden.
Mehr
- Skiunfälle in der Schweiz – Klagen im Ausland werden zunehmen | schadenanwaelte.ch
Literatur
- RIESEN SILVIO, Skiunfälle in der Schweiz – Klagen im Ausland werden zunehmen, in: HAVE 4/2022, S. 372 ff.
- Skiunfälle in der Schweiz – Klagen im Ausland werden zunehmen | schadenanwaelte.ch
Judikatur
- BGE 135 III 185, Erw. 3.3
- EuGH C-281/02 vom 01.03.2005 Owuse, Slg. 2005 I-1383 N 24 ff.
Zur VVG-Revision
Gesetzliches Pfandrecht des geschädigten Dritten
Art. 60 VVG
1 An dem Ersatzanspruche, der dem Versicherungsnehmer aus der Versicherung gegen die Folgen gesetzlicher Haftpflicht zusteht, besitzt der geschädigte Dritte im Umfange seiner Schadenersatzforderung Pfandrecht. Der Versicherer ist berechtigt, die Ersatzleistung direkt an den geschädigten Dritten auszurichten.
1bis Dem geschädigten Dritten oder dessen Rechtsnachfolger steht im Rahmen einer allfällig bestehenden Versicherungsdeckung und unter Vorbehalt der Einwendungen und Einreden, die ihm das Versicherungsunternehmen aufgrund des Gesetzes oder des Vertrags entgegenhalten kann, ein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Versicherungsunternehmen zu.110
2 Das Versicherungsunternehmen ist für jede Handlung, durch die es den Dritten in seinem Rechte verkürzt, verantwortlich.
3 Der geschädigte Dritte kann in Fällen, in denen eine obligatorische Haftpflichtversicherung besteht, vom haftpflichtigen Versicherten oder von der zuständigen Aufsichtsbehörde die Nennung des Versicherungsunternehmens verlangen. Dieses hat Auskunft zu geben über Art und Umfang des Versicherungsschutzes.111
110 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 19. Juni 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2022 (AS 2020 4969; BBl 2017 5089).
111 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 19. Juni 2020, in Kraft seit 1. Jan. 2022 (AS 2020 4969; BBl 2017 5089).