Einleitung
Seit 01.01.2021 sind diverse neue Verkehrsregeln in Kraft getreten, welche die Sicherheit erhöhen und den Verkehrsablauf flüssiger machen sollten. Dazu zählt auch das sog. «Rechtsvorbeifahren».
Wir berichteten:
Agenda
Die gesetzliche Grundlage
Das Rechtsvorbeifahren etc. ist geregelt in:
IV. Regeln für besondere Strassenverhältnisse
Verkehrstrennung
Art. 43 SVG
1 Wege, die sich für den Verkehr mit Motorfahrzeugen oder Fahrrädern nicht eignen oder offensichtlich nicht dafür bestimmt sind, wie Fuss- und Wanderwege, dürfen mit solchen Fahrzeugen nicht befahren werden.
2 Das Trottoir ist den Fussgängern, der Radweg den Radfahrern vorbehalten. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.
3 Auf Strassen, die den Motorfahrzeugen vorbehalten sind, dürfen nur die vom Bundesrat bezeichneten Arten von Motorfahrzeugen verkehren. Der Zutritt ist untersagt, die Zufahrt ausschliesslich an den dafür vorgesehenen Stellen gestattet. Der Bundesrat kann Benützungsvorschriften und besondere Verkehrsregeln erlassen.
Art. 36 VRV Sonderregeln für Autobahnen und Autostrassen
(Art. 43 Abs. 3 SVG)
1 Auf Autobahnen und Autostrassen ist das Abbiegen nur an den dafür gekennzeichneten Stellen gestattet. Wenden und Rückwärtsfahren sind untersagt.
2 Mittelstreifen von Autobahnen dürfen auch auf den vorhandenen Durchfahrten nicht überquert werden.
3 Der Fahrzeugführer darf Pannenstreifen und signalisierte Abstellplätze für Pannenfahrzeuge nur für Nothalte benützen; sonst darf er nur auf signalisierten Parkplätzen halten. Die Fahrzeuginsassen dürfen die Fahrbahn nicht betreten.137
4 Benützer der Autobahnen und Autostrassen haben den Vortritt vor Fahrzeugen auf den Zufahrtsstrecken. Bei stockendem Verkehr ist Artikel 8 Absatz 5 anwendbar.
5 Das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist untersagt. Der Fahrzeugführer darf jedoch mit der gebotenen Vorsicht in folgenden Fällen rechts an andern Fahrzeugen vorbeifahren:
- bei Kolonnenverkehr auf dem linken oder mittleren Fahrstreifen;
- auf Einspurstrecken, sofern für die einzelnen Fahrstreifen unterschiedliche Fahrziele signalisiert sind;
- sofern der links liegende Fahrstreifen mit einer Sicherheitslinie (6.01) oder bei Doppellinien-Markierung (6.04) mit einer linksseitig angebrachten Sicherheitslinie abgegrenzt ist, bis zum Ende der entsprechenden Markierung, insbesondere auf dem Beschleunigungsstreifen von Einfahrten;
- auf dem Verzögerungsstreifen von Ausfahrten.
6 Auf Autobahnen mit mindestens drei Fahrstreifen in der gleichen Richtung darf der äusserste Streifen links nur von Motorfahrzeugen benützt werden, die eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h erreichen dürfen.
7 Fahren auf Autobahnen und Autostrassen mit mindestens zwei Fahrstreifen in eine Richtung die Fahrzeuge mit Schrittgeschwindigkeit oder befinden sie sich im Stillstand, so müssen diese Fahrzeuge für die Durchfahrt von Polizei-, Sanitäts-, Feuerwehr-, Zoll- und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äussersten linken und dem unmittelbar rechts danebenliegenden Fahrstreifen eine freie Gasse bilden.
Die Regel von Rechtsvorbeifahren
- Grundsatz
- Auf den Autobahnen gilt nach wie vor das Rechtsfahrgebot.
- Ausnahme
- Wenn sich auf dem linken (oder bei dreispurigen Autobahnen auf dem linken und/oder mittleren) Fahrstreifen eine Kolonne gebildet hat,
- dürfen Lenker auf der rechten Spur neu, d.h. seit 01.01.2021, mit der nötigen Vorsicht vorbeifahren,
- auch wenn sich rechts noch keine Kolonne gebildet hat.
- dürfen Lenker auf der rechten Spur neu, d.h. seit 01.01.2021, mit der nötigen Vorsicht vorbeifahren,
- Wenn sich auf dem linken (oder bei dreispurigen Autobahnen auf dem linken und/oder mittleren) Fahrstreifen eine Kolonne gebildet hat,
- Verbot
- Das Rechtsüberholen (Ausschwenken auf den rechten Fahrstreifen und Wiedereinschwenken nach links) ist hingegen weiterhin verboten und
- wird mit einer Ordnungsbusse geahndet.
- Das Rechtsüberholen (Ausschwenken auf den rechten Fahrstreifen und Wiedereinschwenken nach links) ist hingegen weiterhin verboten und
Das Verbot des Rechtsüberholens
Das «Rechtsvorbeifahren» und dann links wieder in die Überholspur einschwenken,
- gilt als «Rechtsüberholen»;
- ist verboten (vgl. VRV 36 Abs. 5 Satz 1;
- wird geahndet (Busse und Führerausweisentzug).
Das YouTube-Video
Das Bundesamt für Strassen ASTRA hat die erlaubten und unerlaubten Vorgänge in einem Video festgehalten:
Rechtsvorbeifahren
Auf den Autobahnen gilt nach wie vor das Rechtsfahrgebot. Wenn sich auf dem linken (oder bei dreispurigen Autobahnen auf dem linken und/oder mittleren) Fahrstreifen eine Kolonne gebildet hat, dürfen die Verkehrsteilnehmenden auf der rechten Spur neu mit der nötigen Vorsicht vorbeifahren, auch wenn sich rechts noch keine Kolonne gebildet hat. Das Rechtsüberholen (Ausschwenken auf den rechten Fahrstreifen und Wiedereinschwenken nach links) ist hingegen weiterhin verboten und wird mit einer Ordnungsbusse geahndet.
Quelle: Neue Verkehrsregeln ab 2021 | astra.admin.ch
Die differenzierende Rechtsprechung zum Rechtsüberholen
Das Bundesgericht (BGer) hatte am 03.11.2022 in der Sache 1C_626/2021 einen strittigen Fall (Rechtsüberholen oder Rechtsvorbeifahren? Führerausweisentzug?) zu entscheiden.
Das BGer betonte in seinen Erwägungen, dass die neue Regelung besonders einzusetzen sei:
- nur unter enger Auslegung
- nur unter zurückhaltender Anwendung.
Erforderlich sei, dass
- im Einzelfall
- unter Berücksichtigung der gesamten konkreten Verhältnisse
- ein einfaches Rechtsüberholen
- ohne erschwerende Umstände vorliege.
- ein einfaches Rechtsüberholen
- unter Berücksichtigung der gesamten konkreten Verhältnisse
Für eine Beurteilung müssten daher die gesamten konkreten Verhältnisse berücksichtigt werden,
- ob das Überholmanöver eine erhöhte abstrakte Gefährdung darstellte.
In concreto erfolgte das Überholmanöver
- am Tag,
- bei trockener Strasse,
- guten Sichtverhältnissen und
- schwachem Verkehr.
Das BGer kam zum Schluss, dass
- es keine erschwerenden Hinweise gegeben habe,
- das Überholmanöver daher unter den neuen Ordnungsbussentatbestand von Anhang 1 Ziff. 314.3 OBV falle und
- somit unter neuem Recht nicht mehr als grobe Verkehrsverletzung im Sinne von SVG 90 Abs. 2 zu beurteilen sei.
Die Beschwerde des Autolenkers wurde daher gutgeheissen und das angefochtene vorinstanzliche Urteil aufgehoben.
Ergebnis:
- Das Rechtsüberholen auf der Autobahn oder auf der Autostrasse durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen hat gemäss BGer nicht mehr in jedem Fall ein Führerausweisentzug zur Folge.
Vgl. hiezu auch unsere Gerichtsentscheid-Erläuterung:
V. Titel: Strafbestimmungen
Verletzung der Verkehrsregeln
Art. 90 SVG
1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
2 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
3 Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.
4 Absatz 3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird um:
- mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
- mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
- mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
- mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.
5 Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches210 findet in diesen Fällen keine Anwendung.
2. Zeitlicher Geltungsbereich
Art. 2 StGB
1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2 Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
Entzug der Ausweise
Art. 16 SVG
1 Ausweise und Bewilligungen sind zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen; sie können entzogen werden, wenn die mit der Erteilung im Einzelfall verbundenen Beschränkungen oder Auflagen missachtet werden.
2 Nach Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften, bei denen das Verfahren nach dem Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 1970 ausgeschlossen ist, wird der Lernfahr- oder Führerausweis entzogen oder eine Verwarnung ausgesprochen.
3 Bei der Festsetzung der Dauer des Lernfahr- oder Führerausweisentzugs sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen. Die Mindestentzugsdauer darf jedoch nicht unterschritten werden, ausser wenn die Strafe nach Artikel 100 Ziffer 4 dritter Satz gemildert wurde.
4 Der Fahrzeugausweis kann auf angemessene Dauer entzogen werden:
- wenn Ausweis oder Kontrollschilder missbräuchlich verwendet wurden;
- solange die Verkehrssteuern oder -gebühren für Fahrzeuge desselben Halters nicht entrichtet sind.
5 Der Fahrzeugausweis wird entzogen, wenn:
- die gegebenenfalls nach dem Schwerverkehrsabgabegesetz vom 19. Dezember 199759 für das Fahrzeug geschuldete Abgabe oder die geschuldeten Sicherheitsleistungen nicht bezahlt und der Halter erfolglos gemahnt worden ist; oder
- das Fahrzeug nicht mit dem vorgeschriebenen Erfassungsgerät zur Abgabeerhebung ausgerüstet ist.
Ferner:
Anhang 1 Ziffer 314.3 OBV
Vorsichts- und Legalitätsprinzip
Das Vorsichtsprinzip und das Legalitätsprinzip gebieten es also, beim „Rechtsvorbeifahren“
- das Tempo zur Vorsicht anzupassen und
- nicht anschliessend links wieder in die Überholspur einzulenken.
Trotz des differenzierenden Bundesgerichtsurteils sollten Autolenker nicht (permanent) die Grenze von „Rechtsvorbeifahren“ zu „Rechtsüberholen“ ausloten und daran denken, dass die Polizei auch in Zivilfahrzeugen unterwegs ist.
Die erste Beantwortung der Auslegungssache erfolgt nicht erst beim Richter, sondern zuvor bei der Polizei.
Fazit
Gemäss Verordnung ist also in folgenden Fällen ein «Rechtsvorbeifahren» ausdrücklich erlaubt:
- Bei Kolonnenverkehr auf dem linken oder dem mittleren Fahrbahnstreifen einer Autobahn;
- bei Einspurstrecken, sofern für die einzelnen Fahrstreifen unterschiedliche Fahrziele signalisiert sind;
- falls der links liegende Fahrbahnstreifen mit mindestens einer Sicherheitslinie bzw. einer Doppellinien-Markierung abgegrenzt ist;
- bei Verzögerungsstreifen vor Ausfahrten.
Ob ein Führerausweisentzug wegen «Rechtsüberholens» erfolgen soll, ist – wie dargestellt – aufgrund der individuell-konkreten Verhältnisse anlässlich des Überholvorgangs abzuklären.
Es ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung aufgrund dieses Entscheids und des Verkehrsverhaltens der Lenker auf den Autobahnen noch weiter wird differenzieren oder einschränken müssen.
Weiterführende Informationen
Bildquelle: Darf ich auf der Autobahn rechtsüberholen? Und was, wenn ich nur rechtsvorbeifahre? | bfu.ch
Quelle
LawMedia Redaktionsteam