ZGB 494
Das Bundesgericht (BGer) hatte sich im Fall 5A_966/2021 u.a. mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und wenn ja, inwieweit die zweitversterbende Erblasserin trotz erbvertraglicher Bindung über ihren Nachlass verfügen darf; sie setzte mittels Testament neu den Beschwerdeführer (Sohn) auf den Pflichtteil ihrer Erbansprüche.
Auszug aus dem Sachverhalt und der Begründung der Beschwerdeführer (besser bedachte Nachkommen)1. A.A.________, (Beschwerdeführer)2. B.A.________, (Beschwerdeführer)
gegen
C.A.________ (Beschwerdegegner)
Erbteilung.
Argumente der Beschwerdeführer A.A. und B.A.:
6.2 (Abs. 2) «… Mit dem Erbvertrag sei nur eine Gleichbehandlung der Kinder im Grundsatz statuiert worden. E.A.________ sei 2001 gestorben; die Erblasserin habe nicht wieder geheiratet, keine weiteren Nachkommen gezeugt oder zugunsten von Dritten verfügt. Sie habe mit dem späteren Testament lediglich ihre Erfahrungen mit den Kindern während der 44 Jahre seit Abschluss des Erbvertrags zum Ausdruck gebracht und dabei berücksichtigt, was im Leben der Familie in dieser Zeit geschehen sei. Die Pflichtteile der Nachkommen habe sie respektiert, im Rahmen der verfügbaren Quote aber den Sohn A.A.________ meistbegünstigt (45 %), den Erbteil des Sohns B.A.________ geringfügig reduziert (30 %) und den Sohn F.A.________ bzw. dessen Nachkommen auf den Pflichtteil (25 %) gesetzt. …»
Gemäss ZGB 494 kann sich der Erblasser durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen (ZGB 494 Abs. 1).
Dazu ergab sich im Einzelnen:
- Freie Dispositionsberechtigung
- Er kann über sein Vermögen frei verfügen (ZGB 494 Abs. 2)(Erw. 6.3.1.).
- Folgen einer Verletzung der Erbvertragspflichten
- Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen im Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen jedoch der Anfechtung (ZGB 494 Abs. 3)(Erw. 6.3.1).
- In der öffentlichen Urkunde des Erbvertrages gleichzeitig mögliche, jederzeit freiwiderrufbare Erblasser-Anordnungen
- Neben vertraglichen Bestimmungen, die beide Parteien binden, kann das in der Form eines Erbvertrags abgefasste Rechtsgeschäft auch einseitige, testamentarische Klauseln enthalten, die im Sinne von ZGB 509 Abs. 1 frei widerrufen werden können (Erw. 6.3.1).
- Dispositionsbeschränkung im Erbvertrag?
- Spätere Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen können deshalb gestützt auf ZGB 494 Abs. 3nicht angefochten werden, wenn der streitige Teil des Erbvertrags keine vertraglichen Bestimmungen enthält, sondern einseitige, testamentarische Klauseln (…)(Erw. 6.3.1).
- Anmerkung der Redaktion:
- Nach neuem, seit 01.01.2023 anwendbarem Erbrecht enthält ZGB 494 Abs. 3 (siehe Box unten) eine Bestimmung, welche das Dispositionsrecht des Erblassers – einschränkend – regelt.
- Erbvertrag-Auslegungsregeln
- Die obligationenrechtlichen Regeln der Vertragsauslegung gelten auch für Erbverträge (…)(Erw. 6.3.2.).
- Erbvertrag-Auslegung
- Massgebend ist in erster Linie daher der übereinstimmende wirkliche Wille der Parteien, dessen Feststellung eine Tatfrage ist (OR 18 Abs. 1)(…)(Erw. 6.3.2.).
Vorinstanzliche Feststellungen
Die Vorinstanz kam unter Würdigung der Umstände zum Schluss, dass die Vertragsparteien den tatsächlichen Willen hatten, im Erbvertrag eine durch den überlebenden Ehegatten nicht widerrufbare Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Erben vorzusehen.
Ergebnis
Mit der testamentarischen Pflichtteilssetzung eines Kindes verstiess die Erblasserin auch nach Ansicht des Bundesgerichts gegen den Erbvertrag.
Entscheid des Bundesgerichts
Abweisung der von A.A. und B.A. erhobenen Beschwerde in Zivilsachen.
BGer 5A_966/2021 vom 04.08.2022
Weiterführende Informationen
Gesetzesbestimmung nach altem, im Gerichtsentscheid und bis 31.12.2022 anwendbaren Recht
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 aZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen jedoch der Anfechtung.
Gesetzesbestimmung nach neuem, ab 01.01.2023 gültigem Recht
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 ZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, unterliegen jedoch der Anfechtung, soweit sie:
- mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und
- im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.493
493 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 18. Dez. 2020 (Erbrecht), in Kraft seit 1. Jan. 2023 (AS 2021 312; BBl 2018 5813).
Quelle
LawMedia Redaktionsteam