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Personenrecht / Betreibung

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Wegzug des Betreibungsschuldners ohne Adressangabe: Wie weiter?

Datum:
17.05.2023
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Personenrecht / Vereinsrecht / Stiftungsrecht / Trusts, Betreibungsrecht
Thema:
Wegzug ohne Adressangabe
Stichworte:
Adressangabe, Betreibung, Betreibungsschuldner, Wegzug, Wegzug ohne Adressangabe, Wohnsitz
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

SchKG 46 ff.

Einleitung

Viele Gläubiger tun sich schwer mit der zivil- und zwangsvollstreckungs-rechtlichen Verfolgung ihrer Schuldner. Die Schuldner weichen der Rechtsverfolgung der Gläubiger vor oder während der Betreibung durch Wohnsitzwechsel aus. Dabei geben sie bei der Einwohnerkontrolle meistens ihren neuen Wohnsitz nicht an, sondern reisen «ohne Adressangabe» ab.

Agenda

  • Einleitung
  • Da bin ich mal weg …
  • Ältere Rechtsprechung des Bundesgerichts
  • Neuere, differenzierendere Rechtsprechung des Bundesgerichts
  • Fazit
  • Weiterführende Informationen

Da bin ich mal weg …

Gibt ein Betreibungsschuldner seinen Wohnsitz in der Schweiz ohne Bekanntgabe seiner neuen Anschrift auf, stellt sich für das Betreibungsamt und den Betreibungsgläubiger die Frage, wie weiter zu verfahren ist.

Meistens liegt der Tatbestand vor, dass sich der Schuldner ins Ausland begibt, ohne einen (bekannten) neuen Wohnsitz oder Aufenthalt zu begründen.

Ältere Rechtsprechung des Bundesgerichts

Gemäss BGE 120 III 110 muss der Schuldner an seinem letzten Wohnsitz in der Schweiz betrieben werden:

  • Für die Pfändung darf sich das zuständige Betreibungsamt in einem solchen Fall nicht mit der Feststellung begnügen, dass die Pfändung nicht durchgeführt worden sei.
  • Das zuständige Betreibungsamt muss vielmehr
    • gemäss den SchKG 89 ff. vorgehen und
    • eine Pfändungsurkunde im Sinne der SchKG 112 bis 115 erstellen (Erw. 2 und 3).

Aus den – ohne Gewähr – vom Französischen ins Deutsche übersetzten Erwägungen des BGE 120 III 110:

Ist der Aufenthaltsort des Schuldners unbekannt, muss auch in diesem Fall eine Betreibung gegen ihn in der Schweiz möglich sein, und sie findet am Ort seines letzten Wohnsitzes in der Schweiz statt:

  • Wenn der Schuldner, der in der Schweiz einen Wohnsitz begründet hatte, sich vorübergehend nicht mehr in der Schweiz aufhält, ohne seinen neuen Aufenthaltsort bekannt gegeben zu haben, kann dem Gläubiger nicht die Verpflichtung auferlegt werden, selbst festzustellen, ob der Schuldner tatsächlich einen neuen Wohnsitz begründet hatte, sich vorübergehend nicht mehr in der Schweiz aufhält, ohne seinen neuen Aufenthaltsort bekannt zu geben, kann der Gläubiger nicht verpflichtet werden, selbst festzustellen, ob der Schuldner tatsächlich im Ausland einen neuen Wohnsitz begründet hat und wo sich dieser befindet.
  • Es ist Sache des Schuldners, den Beweis für die Existenz seines neuen Wohnsitzes zu erbringen.
  • Folglich muss das Amt einem Betreibungsbegehren Folge leisten, wenn keine Umstände vorliegen, die die Beständigkeit des schweizerischen Wohnsitzes ausschliessen.
  • Im Übrigen gilt der Grundsatz von Art. 54 SchKG (der Konkurs eines Schuldners, der sich seinen Verpflichtungen durch Flucht entzogen hat, wird am Ort seines letzten Wohnsitzes eröffnet) auch in Bezug auf einen abwesenden Schuldner, dessen neuer Wohnsitz unbekannt ist, selbst wenn dieser Schuldner nicht der Konkursbetreibung unterliegt (JÄGER, a.a.O., zu Art. 54 SchKG).

Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator

Die bundesgerichtlichen Ausführungen erwecken den Eindruck, dass die Ausführungen nicht nur eine angehobene Betreibung, sondern auch für den Gläubiger vor Betreibungsanhebung gelten sollen.

Der Betreibungsgläubiger darf nicht der mit der Pfändung verbundenen Wirkungen beraubt werden, d.h. folgender Möglichkeiten:

  • Einreichung einer Widerrufsklage (vgl. SchKG 285 Abs. 2 Ziff. 1)
  • Erwirkung eines Arrests (vgl. SchKG 271 Abs. 1 Ziff. 5)
  • Wiedereinleitung einer Betreibung ohne vorgängigen Zahlungsbefehl (vgl. SchKG 149 Abs. 3).

Neuere, differenzierendere Rechtsprechung des Bundesgerichts

BGer 5A_580/2016 vom 30.11.2016

In diesem Beschwerdeverfahren ging es um die Rückweisung eines Betreibungsbegehrens in Bezug auf den Betreibungsort, v.a. wegen des unbekannten Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsorts des Schuldners.

Das BGer bestätigte die Ansicht des Betreibungsamtes, wonach die erforderlichen Nachforschungen durch Gläubiger zu erfolgen hätten:

  • Es sei Sache des Gläubigers dem Betreibungsamt die nötigen Angaben zum Wohnsitz des Schuldners oder sonstigen zuständigkeitsbegründenden Tatsachen zu machen (SchKG 67 Abs. 1 Ziff. 1; …).
  • Es sei nicht Aufgabe des Betreibungsamts, den Wohnsitz des Schuldners zu ermitteln; es habe aber die Angaben des Gläubigers zu überprüfen, da seine Zuständigkeit davon abhänge r(…).
  • Der Gläubiger habe darzulegen, weshalb der frühere Wohnsitz des Schuldners trotz seines Wegzugs weiterhin Betreibungsort sein soll:
    • Nachweis des Verlaufs aller zumutbaren Bemühungen zum Auffinden des aktuellen Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts.
    • Die öffentliche Bekanntmachung sei ultima ratio und dürfe erst erfolgen, wenn der Gläubiger und das Betreibungsamt ergebnislos alle zumutbaren Nachforschungen nach einer Zustelladresse unternommen hätten (…).

Das BGer gelangte nach dem Gesagten zum Schluss,

  • dass es somit in erster Linie dem Gläubiger obliege, die erforderlichen Nachforschungen zur Bestimmung des Betreibungsorts vorzunehmen;
  • dass die Rolle des Betreibungsamts darin liege, die Angaben des Gläubigers zu überprüfen.

Wir berichteten:

https://law.ch/lawnews/2017/02/schuldneradressen-erforschung-glaeubiger-obliegenheit-und-betreibungsamt-mitwirkung/

Weiterführende Informationen

  • Urteil Obergericht des Kantons Bern vom 30.03.2022 (ZK 22 95) (Der Schuldner, der seinen Wohnsitz aufgibt, ohne einen neuen Wohnort oder Aufenthalt anzugeben und dessen Wohnsitz oder Aufenthaltsort demnach unbekannt sind, kann am letzten Wohnsitz betrieben werden; folglich kann an diesem Ort auch ein Arrestbegehren gestellt werden)

Fazit

Der (Betreibungs-)Gläubiger hat also den Wohnort des (Betreibungs-)Schuldners zu erforschen und das Betreibungsamt nur, aber immerhin, zu prüfen und weitere Erkenntnisse beizutragen.

Wesentlich ist aber,

  • dass der Nachweis des Verlaufs aller zumutbaren Bemühungen zum Auffinden des aktuellen Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts dem Betreibungsgläubiger obliegt;
  • dass die öffentliche Bekanntmachung die ultima ratio darstellt und erst erfolgen darf, wenn der Gläubiger und das Betreibungsamt ergebnislos alle zumutbaren Nachforschungen nach einer Zustelladresse unternommen haben.

Nur ein aktives Mahnwesen mit wiederholten Aufforderungen an den Schuldner ermöglichen es, dessen Umzugs- bzw. Wohnsitzverlauf zeitnah zu verfolgen.

Betreibungen aufs blosse Geratewohl hin verursachen in der Regel Rückweisungen und Kosten, wie oben dargestellt; sie bringen den Gläubiger bei der Weiterverfolgung seiner Ansprüche nicht weiter.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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