DBG 177; DBG 181 Abs. 3; Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK; Art. 14 Abs. 7 UNO Pakt II – Keine Verletzung des Grundsatzes «ne bis idem»
Sachverhalt
Die H. AG, mit Sitz im Kanton Genf, betrieb ein Transportunternehmen insbesondere für Beton. Der Vater des Beschwerdeführers A. (BF) war Alleinaktionär der H. AG und deren Verwaltungsratspräsident (VRP).
Der BF A. war Verwaltungsratssekretär und Geschäftsführer der H. AG.
In den Jahren 2002 bis 2010 mietete die H. AG, vertreten durch den GF A., Baufahrzeuge, die seinem Einzelunternehmen gehörten, unter anderem zu überhöhten Beträgen.
- unterzeichnete als Verwaltungsratssekretär der H. AG von 2008 bis 2010 die Bilanzen sowie die Gewinn- und Verlustrechnungen der Gesellschaft.
Für diese versteckte Gewinnausschüttungen wurde die H. AG wegen Steuerhinterziehungen gebüsst (Entscheid BGer 2C_333/2017 vom 12.04.2018).
In der Folge ermittelten die kantonalen Behörden auch gegen A. (BF) und verurteilten ihn wegen Beihilfe zu der von der H. AG begangenen Steuerhinterziehungen (DBG 177 i.V.m. DBG 181 Abs. 3).
Prozess-History
- Der BF erhob Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht.
- Der BF machte u.a. die Verletzung des Grundsatzes «ne bis in idem» geltend.
- Gemäss dem Grundsatz «ne bis idem» darf niemand zweimal wegen derselben Straftat verurteilt werden.
- Der BF machte u.a. die Verletzung des Grundsatzes «ne bis in idem» geltend.
Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht (BGer) stellte zusammengefasst folgende Erwägungen an:
- Die Busse für die Beteiligung an der Steuerhinterziehung nach DBG 177 (siehe Box unten) habe den Charakter einer strafrechtlichen Sanktion im Sinne von EMRK 6 Abs. 1.
- Der Grundsatz «ne bis in idem» finde daher Anwendung.
- DBG 181 (siehe Box unten) postuliere ausdrücklich, dass im Falle der Verurteilung einer juristischen Person wegen Steuerhinterziehung zusätzlich noch die für sie handelnden Organe oder Vertreter wegen Beteiligung bestraft werden könnten.
- Aus Sicht der BGer ist nicht ersichtlich, inwiefern dieses System das Prinzip ne bis in idem verletzten solle:
- Eine AG und ihre Organmitglieder seien verschiedene Rechtssubjekte, weshalb die hier verhängten Strafen unterschiedliche Personen betreffen würden.
- Aus Sicht der BGer ist nicht ersichtlich, inwiefern dieses System das Prinzip ne bis in idem verletzten solle:
Entscheid des Bundesgerichts
- Abweisung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Kostenfolgen
BGer 2C_872/2021 vom 02.08.2022 = BGE 149 II 74 ff.
Art. 177 DBG Anstiftung, Gehilfenschaft, Mitwirkung
1 Wer vorsätzlich zu einer Steuerhinterziehung anstiftet, Hilfe leistet oder als Vertreter des Steuerpflichtigen eine Steuerhinterziehung bewirkt oder an einer solchen mitwirkt, wird ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit des Steuerpflichtigen mit Busse bestraft und haftet überdies solidarisch für die hinterzogene Steuer.
2 Die Busse beträgt bis zu 10 000 Franken, in schweren Fällen oder bei Rückfall bis zu 50 000 Franken.
3 Zeigt sich eine Person nach Absatz 1 erstmals selbst an und sind die Voraussetzungen nach Artikel 175 Absatz 3 Buchstaben a und b erfüllt, so wird von einer Strafverfolgung abgesehen und die Solidarhaftung entfällt.
Art. 181 DBG Allgemeines
1 Werden mit Wirkung für eine juristische Person Verfahrenspflichten verletzt, Steuern hinterzogen oder Steuern zu hinterziehen versucht, so wird die juristische Person gebüsst.
2 Werden im Geschäftsbereich einer juristischen Person Teilnahmehandlungen (Anstiftung, Gehilfenschaft, Mitwirkung) an Steuerhinterziehungen Dritter begangen, so ist Artikel 177 auf die juristische Person anwendbar.
3 Die Bestrafung der handelnden Organe oder Vertreter nach Artikel 177 bleibt vorbehalten.
4 Bei Körperschaften und Anstalten des ausländischen Rechts und bei ausländischen Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit gelten die Absätze 1–3 sinngemäss.
Protokoll Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Artikel 4 – Recht, wegen derselben Strafsache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden
- Niemand darf wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder bestraft werden.
- Absatz 1 schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.
- Von diesem Artikel darf nicht nach Artikel 15 der Konvention abgewichen werden.
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Abgeschlossen in New York am 16. Dezember 1966
Von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 1991
Schweizerische Beitrittsurkunde hinterlegt am 18. Juni 1992
In Kraft getreten für die Schweiz am 18. September 1992 (Stand am 9. Mai 2022)
…
Art. 14
(1) – (6) …
(7) Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des jeweiligen Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden.
Quelle
LawMedia Redaktionsteam