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Verkehrsrecht / Arbeitsrecht

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Arbeits- und Ruhezeit gemäss Chauffeurverordnung (ARV 1): GmbH-Geschäftsführer gilt als «selbständigerwerbend»

Datum:
06.12.2023
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Autorecht, Verkehrsrecht
Thema:
Chauffeurverordnung (ARV 1)
Stichworte:
Chauffeur, Geschäftsführer, Ruhezeiten, selbständigerwerbend
Erlass:
Art. 2 lit. b ARV 1
Entscheid:
BGer 6B_1391/2019
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Art. 2 lit. b ARV 1

Sachverhalt

«Am 19. November 2018 erklärte das Regionalgericht Berner Jura-Seeland A.B.________, A.A.________ und A.C.________ wegen verschiedener Missachtungen der Bestimmungen der Verordnung über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer und -führerinnen vom 19. Juni 1995 (Chauffeurverordnung, ARV 1, SR 822.221) schuldig. Es bestrafte A.B.________ mit einer Busse von Fr. 500.–, A.A.________ und A.C.________ mit einer Busse von je Fr. 200.–. …» (lit. A.).

Prozess-History

  • Kantonale Rechtsmittelinstanz
    • Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte das Urteil der Vorinstanz am 1. November 2019, soweit dieses nicht bereits in Rechtskraft erwachsen war.
  • Bundesgericht
    • A.B.________, A.A.________ und A.C.________ führten Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht.
      • Sie beantragen, sie seien von den Vorwürfen des Nichteinhaltens der Arbeitspausen und des Nichtführens des Arbeitsbuches freizusprechen.
      • A.B.________ beantragte zusätzlich, er sei von den Vorwürfen des Nichtführens der Aufstellungen über die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten und des Nichteinhaltens der Pflichten des Arbeitgebers freizusprechen.
      • Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht äusserte sich einlässlich zur Frage des Rechtsverhältnisses zwischen einer juristischen Person und ihren Organen. Dabei kam es zusammengefasst zu folgenden Schlüssen:

  • Direktoren + Verwaltungsräte
    • Tendenziell würden betrachtet:
      • die Direktoren als Arbeitnehmer;
      • die Verwaltungsräte als Beauftragte, wobei für diese das Bestehen eines mandatsähnlichen Vertrages sui generis angenommen würde.
  • Hauptberufliche Organtätigkeit
    • Übe ein Organ seine Tätigkeit hauptberuflich aus, sei für die Annahme eines Arbeitsvertrages jedenfalls entscheidend,
      • ob es Weisungen erhalte,
        • beispielsweise vom Verwaltungsrat, und
      • ob es sich entsprechend in einem Abhängigkeitsverhältnis befinde.
  • Verhältnis der juristischen Person und des wirtschaftlich beherrschenden Organs
    • Kein Abhängigkeitsverhältnis bestehe, so das Bundesgericht, zwischen einer juristischen Person und dem sie wirtschaftlich beherrschenden Organ:
      • Es bestünde mithin etwa kein Arbeitsvertrag zwischen einer Gesellschaft und deren Anteilsinhaber bzw. dem alleinigen Geschäftsführer.
  • Vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellungen
    • Hauptverantwortlicher Arbeitgeber + Geschäftsführer
      • Die Vorinstanz stellte in tatsächlicher Hinsicht fest, beim «Beschuldigten 1» (recte: A.B.________) handle es sich um den hauptverantwortlichen Arbeitgeber und Geschäftsführer der B.________ GmbH (Urteil, S. 7).
    • Weisungsfreiheit
      • Dass A.B.________ in dieser Stellung Weisungen erhalte oder nicht frei über den Einsatz der Fahrzeuge bestimmen dürfe, war
        • weder anzunehmen,
        • noch dem angefochtenen Entscheid zu entnehmen.
    • Qualifikation «selbständigerwerbend» für GF
      • A.B.________ war demnach als «selbständigerwerbend» im Sinne von Art. 2 lit. b ARV 1 zu qualifizieren.
    • Qualifikation «selbständigerwerbend» für Ehefrau + Sohn
      • Dasselbe galt – nach dem Wortlaut der erwähnten Verordnungsbestimmung – für seine Ehefrau, A.A.________, und seinen Sohn, A.C.________.
    • Keine Beurteilung, ob beschuldigte Personen originär «selbständigerwerbend»
      • Ob diese Personen auch originär als selbständigerwerbend zu betrachten sind, konnte laut Bundesgericht vorliegend offenbleiben.
  • Fazit
    • A.B.________:  selbständigerwerbend
      • A.B.________ unterlag als hauptverantwortlicher Arbeitgeber und Geschäftsführer der B. GmbH keinen Weisungen und konnte frei über den Einsatz der Fahrzeuge verfügen, weshalb er als „selbständigerwerbend“ i.S.v. Art. 2 lit. b ARV 1 galt.
    • Ehefrau A.A.________ und Sohn A.C.________ auch selbständigerwerbend
      • Dasselbe galt — nach dem Wortlaut der hievor erwähnten Bestim­mung — für seine Ehefrau A.A.________ und seinen Sohn A.C.________.

Entscheid des Bundesgerichts

  1. Die Beschwerde wurde gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
  2. Für das bundesgerichtliche Verfahren wurden keine Kosten erhoben (BGG 66 Abs. 1 und 4).
  3. Die Beschwerdeführer wurde der Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung zuerkannt (BGG 68 Abs. 2).

BGer 6B_1391/2019 vom 01.07.2020

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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