LAWNEWS

Mietrecht

QR Code

Gerüst als Mietmangel

Datum:
01.12.2023
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Mietrecht / Miete / Mietvertrag
Erlass:
OR 259d
Entscheid:
ACJC/1112/2022
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

OR 259d

Ein Baugerüst für Renovationsarbeiten stellt einen Mietmangel dar, welcher zu einer Mietzinsherabsetzung um 18 % bzw. 10 % führt.

Sachverhalt

Im Jahr 2001 sind die Mieter in eine 5.5-Zimmerwohnung im 4. Stock einer Liegenschaft in Genf eingezogen. Von Oktober 2017 bis Juni 2020 wurde für Renovationsarbeiten ein Gerüst aufgestellt. Durch das Gerüst resultierten nachfolgende Beeinträchtigungen im Gebrauch der Mietsache:

  • Blockierung der Fensterläden in geschlossener Position
  • Balkonnutzung nicht mehr möglich
  • Jalousien-Öffnung nicht mehr möglich
  • Gefühl der Unsicherheit in der Mietwohnung aufgrund diverser auf dem Gerüst herumlaufenden Arbeiter:innen
  • Tageweiser Nichtbetrieb des Aufzugs
  • Einige Wasserausfälle

Prozess-History

  • Erste Instanz
    (Mietgericht Genf / Tribunal des baux et loyers Genève)

    • Auf Klage der Mieter reduzierte das Mietgericht des Kantons Genf mit Urteil vom 16.09.2021 den Mietzins wie folgt:
      • um 10 % vom 31.10.2017 bis 30.11.2017
      • um 18 % vom 01.12.2027 bis 31.05.2019 und erneut
      • um 10 % vom 01.06.2019 bis 30.06.2020.
    • Gegen dieses erstinstanzliche Urteil erhoben die Mieter Berufung mit dem Antrag, der Mietzins sei über die gesamte Zeitdauer der Renovationsarbeiten (01.10.2017 bis 30.06.2020) um 35 % zu reduzieren.
    • Der Vermieter erhob Anschlussberufung mit dem Antrag, es sei überhaupt keine Mietzinsreduktion zu gewähren.
  • Zweite Instanz
    (Kantonsgericht Genf / Cour de justice Genève – Chambre des baux et loyers)

    • Das Genfer Kantonsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil und hielt fest, dass die Vorinstanz die Quoten der gewährten Mietzinsreduktionen korrekt festgelegt habe.
    • Das zweitinstanzliche Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Erwägungen des Kantonsgerichts Genf / Cour de justice Genève – Chambre des baux et loyers

  • Voraussetzungen für eine Mietzinsreduktion:
    • Vorliegen eines Mangels der Mietsache
    • Kenntnis des Mangels seitens Vermieterschaft
      • ein Verschulden der Vermieterschaft an der Mangelhaftigkeit der Mietsache ist nicht notwendig
      • Kenntnis der Vermieterschaft kann sowohl auf entsprechender Anzeige der Mieterschaft beruhen, als auch auf seiner eigenen Wahrnehmung oder jener einer Hilfsperson
  • Mängelarten
    • Leichter Mangel:
      Der Mangel muss vom Mieter:in behoben werden.
    • Mittelschwerer Mangel:
      Der Mangel vermindert den Gebrauchszweck der Mietsache, ohne ihn auszuschliessen oder erheblich zu beeinträchtigen. Der Gebrauch der Mietsache bleibt möglich und ist zumutbar.
    • Schwerer Mangel:
      Der Mangel schliesst den vorausgesetzten Gebrauchszweck der Mietsache aus oder beeinträchtigt diesen erheblich. Ein Mangel liegt u.a. vor, wenn vitale Interessen wie bspw. die Gesundheit der Mieter:in dadurch gefährdet wird oder wenn wichtige Räume über einen längeren Zeitraum nicht genutzt werden können. Der Gebrauch der Mietsache ist unzumutbar.
  • Bemessung der Reduktion
    • Die Mietzinsreduktion, die der Mieter nach Art. 259d OR verlangen kann, muss verhältnismässig zum Mietmangel sein.
    • Zur Bemessung der Höhe der Mietzinsreduktion findet die relative Methode Anwendung. Die Herabsetzung wird demnach durch einen Vergleich des objektiven Wertes der mangelhaften Sache mit dem objektiven Wert der mängelfreien Sache bestimmt (vgl. BGE 130 III 504 E. 4.1).
    • Erweist sich die Berechnung als schwierig (insb. wenn die Beeinträchtigungen von unterschiedlicher Intensität sind und über einen längeren Zeitraum andauern), ist eine Festsetzung der Mietzinsreduktion nach Billigkeit zulässig. Der Richter:in hat  sich dann an die allgemeine Lebenserfahrung, den gesunden Menschenverstand und die Rechtsprechung zu halten. Hierbei spielen die Besonderheiten des Einzelfalls, wie bspw. der Verwendungszweck des Mietobjektes, eine wichtige Rolle (vgl. Urteile des BGer 4A_490/2010 vom 25.01.2011, E. 2.1 und 4C.219/2005 E. 2.4).

Entscheid des Kantonsgerichts Genf / Cour de justice Genève – Chambre des baux et loyers

  • Prozessual
    • Eintreten auf die Berufung der Mieter gegen das erstinstanzliche Urteil.
    • Eintreten auf die Anschlussberufung des Vermieters gegen das erstinstanzliche Urteil.
  • Materiell
    • Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils zugunsten der Mieter.
    • Feststellung der Kostenlosigkeit des mietgerichtlichen Verfahrens im Kanton Genf.
    • Abweisung aller weiteren Anträge der Parteien.
  • Quelle
    • Cour de justice du canton de Genève, Chambre des baux et loyers, du 29.08.2022, ACJC/1112/2022 (Originaltext Französisch)

Link zum Urteil des Kantonsgerichts Genf: ACJC/1112/2022 du 29.08.2022 sur JTBL/749/2021 ( OBL ) | justice.ge.ch

Vorbehalt / Disclaimer

Diese allgemeine Information erfolgt ohne jede Gewähr und ersetzt eine Individualberatung im konkreten Einzelfall nicht. Jede Handlung, die der Leser bzw. Nutzer aufgrund der vorstehenden allgemeinen Information vornimmt, geschieht von ihm ausschliesslich in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko.

Urheber- und Verlagsrechte

Alle in dieser Web-Information veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheide und Leitsätze, soweit sie von den Autoren oder den Redaktoren erarbeitet oder redigiert worden sind. Der Rechtschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Web-Information darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – sämtliche technische und digitale Verfahren – reproduziert werden.