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Vertragsrecht / Verwaltungsrecht / Subventionsrecht

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Subventionierte KiTa: Rechtliche Natur des Kinderbetreuungsvertrages bei behördlich festgelegtem, einkommensabhängigem Tarif

Datum:
22.01.2024
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Vertrag / Vertragsrecht, Subventionsrecht, Verwaltungsrecht
Thema:
Subventionierte Kindertagesstätten (KiTa)
Stichworte:
Einkommen, Kinderbetreuung, Kinderbetreuungsvertrag, Kindertagesstätte, Kita, Subvention
Erlass:
Art. 9 BV; Art. 72 + 82 BGG; Art. 200–203 KV/GE; Art. 4 LPA/GE; Art. 132 Abs. 2 LOJ/GE; LAPR/GE
Entscheid:
BGer 2C_849/2021 vom 17.01.2023   =   Praxis 112 (2023) Nr. 64
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Art. 9 BV; Art. 72 + 82 BGG; Art. 200–203 KV/GE; Art. 4 LPA/GE; Art. 132 Abs. 2 LOJ/GE; LAPR/GE

Sachverhalt

In Genf wohnhafte Eltern schickten ihre Tochter in eine Kindertagesstätte (KiTa), die von einem privaten, aber städtisch subventionierten Verein betrieben wird.

Am 22.01.2022 wurde den Eltern die Höhe der zu bezahlenden Gebühren mitgeteilt. Zuvor hatten sie mit dem Verein einen Betreuungsvertrag und verschiedene Vertragsergänzungen unterzeichnet, um Änderungen ihres Einkommens Rechnung zu tragen.

Prozess-History

  • Auf eine gegen die Gebührenmitteilung erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des Kantons Genf nicht ein, da das Verhältnis zwischen den Eltern und der «KiTa» privatrechtlich sei.
  • Die Eltern erhoben Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht (BGer) hatte sich in diesem französischsprachigen Streitfall BGer 2C_849/2021 mit grundsätzlichen Erwägungen und Auslegungsfragen in der Rechtswege- und materiell-rechtlichen Sache zu befassen:

  • Abgrenzung öffentliches Recht / Zivilrecht für die Rechtswegbeurteilung ans BGer
    • Es fragte sich zuerst, ob es sich um eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss BGG 82 ff. oder um eine solche in zivilrechtlichen Belangen gemäss BGG 72 ff. handle:
      • Da die Verfahrensnatur (öffentlich- oder zivilrechtlich) bereits vor der kantonalen Vorinstanz strittig war und diese ihre sachliche Zuständigkeit verneint hat, bestimmte sich der Rechtsweg vor BGer nach der Natur des kantonalen Verfahrens.
    • Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten der Eltern war daher einzutreten.
  • Abgrenzung der kantonal-rechtlichen Zuständigkeit
    • Die Eltern machten gestützt auf Art. 9 BV eine willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts geltend, d.h. insbesondere der Bestimmungen über die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit (Art. 132 Abs. 2 LOJ/GE [RS/GE E 2 05] i.V.m. Art. 4 LPA/GE [RS/GE E 5 10]).
  • Auslegung für die Zuordnung zum Privatrecht oder zum öffentlichen Recht
    • Auslegungsgrundlagen
      • Sind im gleichen Vertrag Leistungen oder Klauseln enthalten, die sowohl öffentlich- als auch privatrechtlich sind, unterstellt das BGer die Streitigkeit den Rechtsnormen, die je nach der Leistung oder der streitigen Klausel anwendbar sind (vgl. BGE 103 II 314, Erw. 3c).
      • Es war daher zu prüfen,
        • ob mit den charakteristischen Leistungen oder den Vertragsklauseln der strittigen Vertragsergänzung primär öffentliche oder private Interessen verfolgt werden;
        • ob die charakteristischen Leistungen oder die Vertragsklauseln auf die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe abzielen oder nicht.
    • Auslegungskriterien
      • Das BGer stellt bezüglich der Frage, ob eine Streitigkeit öffentlich- oder privatrechtlich ist, auf verschiedene Kriterien ab:
        • Massgeblichkeit des Vertragsgegenstandes
          • Geht es darum, die Rechtsnatur eines Vertrags zu bestimmen, ist primär auf den Vertragsgegenstand abzustellen;
        • Massgeblichkeit der Interessen
          • Zu berücksichtigen ist sodann der Gesichtspunkt, ob es sich um private oder öffentliche Interessen handelt;
        • Massgeblichkeit der Vertragsfunktion
          • Ein weiterer Auslegungsaspekt bildet die Funktion des Vertrages.
    • Irrelevanz der Vertragsparteien und eines Subordinationsverhältnisses
      • Nicht entscheidend ist,
        • wer die Vertragsparteien sind;
        • ob ein Subordinationsverhältnis besteht.
    • KiTa-Verfügbarkeit als kantonale Staatsaufgabe
      • Im Kanton Genf
        • ist es eine Staatsaufgabe, für ein ausreichendes Kindertagesstätten-Angebot zu sorgen;
        • zählt die Durchführung der Kinderbetreuung nicht zur Aufgabe des Staates.
      • Vgl. Art. 200–203 KV/GE; LAPr/GE [RS/GE J 6 28]
    • KiTa-Gebühren im Kanton Genf
      • Die Gebühren für subventionierte Kindertagesstätten in der Stadt Genf werden aber nach städtisch festgelegten, sozialpolitisch motivierten Tarifen festgelegt.
      • Vgl. Art. 13 Abs. 1 des einschlägigen Gemeindereglements [RS/GE LC 21 551]
  • In concreto
    • In casu ging es nicht um Betreuungsbedingungen, sondern einzig um die sich auf kommunales Recht abstützende Gebührenhöhe, weshalb der Streit öffentlich-rechtlicher Natur ist.

Entscheid des Bundesgerichts

  • Gutheissung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Kostenfolgen.

BGer 2C_849/2021 vom 17.01.2023   =   Praxis 112 (2023) Nr. 64

Quelle

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