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Bildung / Schulrecht

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Mittagspause für Schüler: 30 Minuten knapp zumutbar

Datum:
06.03.2024
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Bildungsrecht
Thema:
Mittagspause für Schüler
Stichworte:
Bushaltestelle, Mittagspause, Schulweg
Erlass:
BV 19 i.V.m. BV 62 Abs. 2 etc.
Entscheid:
BGer 2C_780/2022 vom 01.06.2023
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

BV 19 i.V.m. BV 62 Abs. 2 etc.

Sachverhalt

«A.  Mit Schreiben vom 26. April 2021 an den Gemeinderat U.________ beantragten die Eltern von D.________ und A.________, B.________ und C.________, den Kindergarten- und Schulweg von der Strasse R.________ über die Strasse S.________ bis hin zur Strasse T.________ sicherzustellen sowie die derzeitige Schulbushaltestelle Strasse R.________ zu erhalten.» (lit. A).

Prozess-History

  • Gemeinderat
    • Der Gemeinderat U.________ wies dieses Gesuch mit Beschluss vom 15. Juni 2021 ab.
  • Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
    • Den gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs wies der Regierungsrat mit Beschluss vom 18. Januar 2022 ab.
  • Obergericht des Kantons Schaffhausen
    • Mit Beschwerde an das Obergericht Schaffhausen beantragten D.________ und A.________, B.________ und C.________ insbesondere die Einrichtung eines behördlichen und auf den Stundenplan abgestimmten Schulbustransports von einem geeigneten Sammelpunkt im Gebiet Strasse R.________ bis zum Kindergarten bzw. zum Schulhaus in V.________ und wieder zurück (vormittags und nachmittags) oder eventuell eines faktisch unentgeltlichen Mittagstischs am jeweiligen Kindergarten- bzw. Schulstandort.
    • Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hiess die Beschwerde am 23. August 2022 teilweise in Bezug auf D.________ gut, hob den Regierungsratsbeschluss insofern auf und wies die Sache diesbezüglich an die Gemeinde U.________ zurück; im Übrigen hat es die Beschwerde abgewiesen (vorinstanzliches Urteil E. 7 und 8 sowie Disp.-Ziff. 1).
    • Die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegte es im Umfang von je Fr. 500.– A.________ und B.________ und im Umfang von Fr. 1’000.– der Gemeinde U.________ (vorinstanzliches Urteil Disp.-Ziff. 3); zudem verpflichtete das Obergericht die Gemeinde U.________, D.________ und C.________ für das Beschwerdeverfahren zu entschädigen (vorinstanzliches Urteil Disp.-Ziff. 4).
  • Bundesgericht
    • Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und eventuell subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragen A.________ (Beschwerdeführer 1), B.________ (Beschwerdeführer 2) und C.________ (Beschwerdeführerin 3), Ziff. 1, Ziff. 3 und Ziff. 4 des Dispositivs des Entscheids des Obergerichts des Kantons Schaffhausen seien im Sinne der Erwägungen aufzuheben, soweit der Rechtsspruch zu Ungunsten der Beschwerdeführer ausgefallen sei. Das Bundesgericht habe im Sinn der Anträge und Erwägungen einen neuen Entscheid in der Sache zu fällen; eventualiter sei die Angelegenheit mit klaren Instruktionen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für die Beschwerdeführer 1, 2 und 3 sei über Mittag, hin und zurück, ein unentgeltlicher Schultransport, eventualiter ein faktisch unentgeltlicher Mittagstisch zum Preis von max. Fr. 5.– je Kind ab dem 6. Altersjahr, einzurichten. Die Gemeinde U.________, eventualiter und/oder der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen habe den Beschwerdeführern für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Regierungsrats vom 18. Januar 2022 eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 7’334.80 zu bezahlen. Die Kosten des vorinstanzlichen Beschwerdeverfahrens in der Höhe von Fr. 2’000.– seien vollumfänglich der Gemeinde U.________, eventualiter und/oder dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen aufzuerlegen.

Erwägungen

Im Wesentlichen und zusammengefasst zog das Bundesgericht folgendes für die Entscheidfindung in Erwägung:

  • Sachvorbringen der Beschwerdeführer
    • Die Beschwerdeführer bringen vor, durch die kurzen Mittagspausen würden folgende verfassungsmässigen Ansprüche verletzt:
      • Anspruch auf einen zumutbaren Schulweg als Teilaspekt von BV 19;
      • Anspruch auf Grundschulunterricht.
    • Die Mittagspause müsse mindestens 40 Minuten betragen.
    • Die Länge des Schulwegs wurde nicht gerügt.
  • Gewährleistung des unentgeltlichen Grundschulunterrichts in Schaffhausen
    • BV 19 i.V.m. BV 62 Abs. 2 gewährleisten als Grundrecht einen Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht (..).
    • Der Unterricht muss grundsätzlich am Wohnort der Schüler erteilt werden:
      • die räumliche Distanz zwischen Wohn- und Schulort darf den Zweck der ausreichenden Grundschulausbildung nicht gefährden.
      • Aus der in BV 19 garantierten Unentgeltlichkeit ergibt sich daher auch ein Anspruch auf Übernahme der Transportkosten, wenn der Schulweg wegen übermässiger Länge oder Gefährlichkeit dem Kind nicht zugemutet werden kann (…). Der Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht wird auch in Art. 15 Abs. 2 KV SH (SR 131.223) und Art. 10 des Schulgesetzes des Kantons Schaffhausen vom 27. April 1981 (SchulG; SHR 410.100) statuiert.
  • Bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Mittagspause bei Schülern
    • Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zulässig befunden:
      • eine Mittagspause von 40 Minuten
      • bei einem Schulweg von 40 Minuten
      • für eine 7.5 Jahre alte Schülerin,
        • wobei
          • die Dauer des Schulwegs mit 40 Minuten an der oberen Grenze des Zumutbaren, aber knapp zulässigen liege;
          • dasselbe gelte für die Mittagspause von 40 Minuten gelte (Urteil 2C_191/2019 vom 11. Juni 2019 E. 3.2 mit Hinweisen).
    • Weiter wurde vom Bundesgericht bei der Wegdauer als zumutbar eingestuft:
      • 36 Minuten (Hinweg)
      • 24 Minuten (Rückweg)
      • eine Mittagspause von 45 Minuten (Urteil 2C_1143/2018 vom 30. April 2019 E. 2.4.4).
    • Als zulässig erachtet wurde für einen Primarschüler der zweiten Klasse:
      • auch eine Mittagspause zu Hause von etwas mehr als 40 Minuten,
        • bei der ein Teil des Schulwegs als Erholungszeit angerechnet werden konnte (Erholungszeit insgesamt 60 Minuten; Urteil 2C_838/2017 vom 22. Februar 2018 E. 4.3).
  • Schulweg
    • Im konkreten Fall stellt der Schulweg nach den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen überwiegend erhöhte Anforderungen an die Konzentration, weshalb seine Dauer nicht zur Erholungszeit gerechnet werden kann:
      • Umgekehrt wird aber die Mittags- bzw. Erholungszeit durch Tätigkeiten wie Toilettengänge sowie An- und Auskleiden nicht zusätzlich verkürzt.
      • Diese gehören entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer zur Mittagspause.
    • Demnach bleibt den Beschwerdeführern 1-3 gemäss den verbindlichen Sachverhaltsfestellungen der Vorinstanz eine Mittagspause von unter 40 Minuten, und zwar
      • 35 Minuten für den Beschwerdeführer 1;
      • 37 Minuten für den Beschwerdeführer 2;
      • 30 Minuten für die Beschwerdeführerin 3.
  • Erholungszeit
    • Allgemein
      • Nachfolgend ist für die Beschwerdeführer 1-3 zu prüfen,
        • ob ihre Erholungszeit ausreichend ist.
      • Die Fixierung einer abstrakten Limite (von mindestens 40 Minuten) Mittagspause
        • erscheint dabei nicht angezeigt.
    • Beschwerdeführerin 1 + 2
      • Beschwerdeführer 2
        • Der Beschwerdeführer 2 war zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils bereits
          • 9.5 Jahre alt und
          • es verbleiben ihm zu Hause beinahe 40 Minuten.
        • Weiter darf bei der Zumutbarkeit berücksichtigt werden,
          • dass der 9,5 Jahre alte Beschwerdeführer 2
            • den Schulweg unbestrittenermassen nicht jeden Tag absolviert und
            • an gewissen Tagen frei hat,
              • weshalb die Mittagspause daher nicht jeden Tag 37 Minuten beträgt;
            • zur Fortbewegung ein Kickboard oder Ähnliches zu verwenden kann,
              • wodurch der Schulweg verkürzt und die Mittagspause verlängert würde;
            • nicht gesundheitlich angeschlagen ist.
      • Beschwerdeführer 1
        • Dieselben Überlegungen gelten für den Beschwerdeführer 1,
          • der im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils 8.5 Jahre alt war und
          • zu Hause 35 Minuten zur Verfügung hat.
      • Zwischenergebnis
        • Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erscheint für die Beschwerdeführer 1 und 2 eine Mittagspause von 35 bzw. 37 Minuten als zumutbar.
    • Beschwerdeführerin 3
      • Heikler ist die Situation der Beschwerdeführerin 3.
      • Sie ist mit 6.5 Jahren (im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils) nicht nur jünger als die Beschwerdeführer 1 und 2,
        • sondern ihre Mittagspause fällt mit 30 Minuten nochmals kürzer aus,
        • weshalb eine solch kurze Erholungszeit sicherlich nicht ideal ist,
          • aber insofern zu relativieren ist, als die Beschwerdeführerin 3 jedenfalls im Kindergarten (Schuljahr 2021/2022) nur einmal pro Woche den Nachmittagsunterricht besuchte;
        • mit ihrem Übertritt in die 1. Klasse (Schuljahr 2022/2023) zweimal pro Woche am Nachmittag zur Schule geht.
      • Unter Berücksichtigung dieser Umstände sowie der besonderen Situation der Fremdbetreuung,
        • kann die 30-minütige Mittagspause für die Beschwerdeführerin 3 gerade noch als zumutbar erachtet werden.
  • Fazit
    • Gemäss BGer
      • liegt keine Verletzung des Rechts auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht vor (BV19 );
      • sind die Mittagspausen für die Beschwerdeführer 1-3 zumutbar.
    • Aufgrund des Gesagten
      • erweist sich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist;
      • ist auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten;
      • wird der Antrag, die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens neu zu verlegen sowie die Parteientschädigung neu zu berechnen, damit gegenstandslos.

Entscheid des Bundesgerichts

  1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.
  2. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
  3. Die Gerichtskosten von Fr. 2’000.– werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftung auferlegt.
  4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen mitgeteilt.

BGer 2C_780/2022 vom 01.06.2023

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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