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Markenrecht / Zivilprozessrecht

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Koexistenz verschiedener Kennzeichen

Datum:
04.04.2024
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Markenrecht, Zivilprozessrecht
Thema:
Koexistenz verschiedener Kennzeichen
Stichworte:
Baur au Lac, Handelsgericht, Markenregister
Erlass:
MSchG 3 Abs. 1 lit. c i.V.m. MSchG 52; ZGB 8
Entscheid:
BGer 4A_154/2023 vom 17.07.2023
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

MSchG 3 Abs. 1 lit. c i.V.m. MSchG 52; ZGB 8

Sachverhalt

«A.a. Die A.________ AG (Klägerin, Beschwerdeführerin) mit Sitz in U.________ bezweckt den Betrieb von Hotels und verwandten Betrieben, insbesondere die Führung folgender Betriebe: Hotel X.________, X.________ Wein, Y.________, Traiteurgeschäft Z.________ und Garage X.________. Sie ist Inhaberin der 1994 hinterlegten Schweizer Marke Nr. xxx X.________, die unter anderem für Dienstleistungen der Klassen 41 und 42 eingetragen wurde.

Die B.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) mit Sitz in U.________ bezweckt den Betrieb des Restaurants «Club X.________» sowie des «Club X1.________» in der Villa V.________.

A.b. Die Klägerin hatte bis im Jahr 2006 den «Club X.________» und das gleichnamige Restaurant in der Villa V.________ betrieben. Das Familienvermögen aus den Häusern A.________ und C.________ und damit unter anderem die Aktien der A.________ AG wurden bis zu diesem Zeitpunkt zu je 50 % von den Familien A.________ und C.________ gehalten. Die beiden Familien wollten ihr gemeinsames Vermögen entflechten, weshalb im Jahr 2006 ein Teil der Vermögenswerte der A.________ AG abgespalten und auf die neu gegründete B.________ AG übertragen wurde, die den «Club X.________» samt Restaurant weiterführte.

Die Beklagte hinterlegte am 16. September 2010 die Schweizer Marke Nr. yyy CLUB X.________ für verschiedene Dienstleistungen der Klassen 41 und 43 ohne Rücksprache mit der Klägerin und ohne deren Einverständnis. In der Folge kam es zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Berechtigung an dieser Marke.» (lit. A des Bundesgerichtsurteils).

History

  • Handelsgericht des Kantons Zürich (HGZ)
    • «Mit Eingabe vom 14. Dezember 2020 beantragte die Klägerin dem Handelsgericht, es sei die Schweizer Marke Nr. yyy CLUB X.________ innert 10 Tagen ab definitiver Rechtskraft des Entscheids von der Beklagten auf die Klägerin zu übertragen (Klagebegehren Ziff. 1). Eventualiter sei die Nichtigkeit der Marke festzustellen und diese innert 10 Tagen ab definitiver Rechtsöffnung des Entscheids zu löschen (Klagebegehren Ziff. 2).
    • Die Klägerin machte geltend, anlässlich der Neuordnung des Erbes und der Spaltung der A.________ AG sei zwar der Betrieb des Restaurants «Club X.________» samt den zugehörigen Liegenschaften auf die neu gegründete Gesellschaft B.________ AG, d.h. die Beklagte, übertragen worden, nicht aber Rechte an geistigem Eigentum. Die Rechte am Zeichen CLUB X.________ seien bei der Klägerin verblieben. Bei der von der Beklagten eingetragenen Marke Nr. yyy CLUB X.________ handle es sich daher um eine zustimmungslose Agentenmarke im Sinne von Art. 4 MSchG. Sodann behauptete sie gestützt auf Art. 3 MSchG eine Verwechslungsgefahr in Bezug auf die von ihr hinterlegte Schweizer Marke Nr. xxx X.________. Schliesslich berief sie sich auf den wettbewerbsrechtlichen Kennzeichenschutz nach Art. 3 Abs. 1 lit. d UWG und die Generalklausel von Art. 2 UWG.
    • Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, die Parteien hätten mit der Abspaltung bewusst eine Koexistenz der Kennzeichen «X.________» und «Club X.________» beabsichtigt. Das Ziel sei gewesen, dass die beiden Familienstämme A.________ und C.________ anschliessend unabhängig voneinander agieren könnten. Die Rechte am Kennzeichen «Club X.________» seien daher im Zuge der Abspaltung an die Beklagte übertragen worden.
    • Mit Urteil vom 1. Februar 2023 wies das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage ab.
      • Es erwog, da die Rechte am Kennzeichen CLUB X.________ im Zuge der Abspaltung auf die Beklagte übertragen worden seien und die Parteien damit zumindest konkludent eine Koexistenz der Kennzeichen CLUB X.________ und X.________ vereinbart bzw. diese in Kauf genommen hätten, habe die Beklagte bei der Markenanmeldung des Kennzeichens CLUB X.________ nicht als Agentin gehandelt und die Klägerin könne sich nicht gestützt auf Art. 4 MSchG auf eine bessere Berechtigung berufen. Mangels besserer Berechtigung habe die Klägerin bezüglich der Marke CLUB X.________ keinen Übertragungsanspruch im Sinne von Art. 53 MSchG. Aus den gleichen Gründen könne die Klägerin auch keine bessere Berechtigung gestützt auf Art. 3 Abs. 1 lit. c MSchG (Verwechslungsgefahr) geltend machen. Im Sinne einer Eventualbegründung erwog das Handelsgericht, ein allfälliger Übertragungsanspruch wäre nach Art. 53 Abs. 2 MSchG auf jeden Fall bereits verwirkt. Die Klägerin habe demnach weder einen Anspruch auf Übertragung der Marke noch auf Feststellung deren Nichtigkeit. Zudem verwarf es mangels Konkurrenzsituation auch die lauterkeitsrechtliche Argumentation der Klägerin.»
  • Schweizerisches Bundesgericht (BGer)
    • «Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Februar 2023 aufzuheben und die Schweizer Marke Nr. yyy CLUB X.________ innert 10 Tagen ab definitiver Rechtskraft des Entscheids von der Beklagten auf die Klägerin zu übertragen; eventualiter sei die Nichtigkeit der Marke festzustellen und diese innert 10 Tagen ab definitiver Rechtsöffnung des Entscheids zu löschen. Subeventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. …» (lit. B + C des Bundesgerichtsurteils).

Erwägungen des Bundesgerichts

  • Eintretensumfang
    • Das Bundesgericht tritt insoweit auf die Beschwerde ein, als sie sich gegen die Abweisung des Eventualbegehrens auf Feststellung der Nichtigkeit richtet (E. 1.4).
  • Rügen der A. AG
    • Die A. AG rügt namentlich eine Verletzung von ZGB 8, OR 18 und MSchG 52
  • Vorinstanzliche Begründung
    • Das BGer rekapitulierte die vorinstanzliche Begründung wie folgt:
      • Im Rahmen einer Unternehmensabspaltung seien die Rechte am Kennzeichen «CLUB X» 2006 auf die B. AG übertragen worden.
      • Mit diesem Vorgehen hätten die Parteien
        • akzeptiert,
          • eine Koexistenz der Kennzeichen
            • «X» und
            • «CLUB X»;
        • gewusst und gewollt,
          • dass die Kennzeichen «X» und «CLUB X» nebeneinander bestünden;
        • eine Verwechslungsgefahr zumindest implizit in Kauf genommen.
  • Verwechslungsgefahr?
    • Gesamteindruck
      • Das BGer erwog, dass zwischen den Marken «X» und «CLUB X» dem Gesamteindrucke nach eine Verwechslungsgefahr bestehe.
    • Löschungsrecht bezüglich später eingetragene Marke
      • Angesichts dieser Verwechslungsgefahr sei die A. AG grundsätzlich berechtigt, die Löschung der später eingetragenen Marke «CLUB X» zu verlangen.
    • Ermächtigung zum Führen des verwechselbaren Zeichens
      • Aufgrund der markenrechtlichen Verwechslungslage hätte die B. AG beweisen müssen, dass sie trotzdessen – infolge einer entsprechenden Rechtseinräumung – zur Eintragung des verwechselbaren Zeichens «CLUB X» im Markenregister berechtigt gewesen sei.
    • Keine Geltendmachung einer Ermächtigung
      • Im angefochtenen Entscheid wurde nicht konkretisiert,
        • welche Rechte an dem im Vermögensspaltungs-Zeitpunkt noch nicht registrierten Kennzeichen «CLUB X» auf die B. AG übertragen worden sein sollen.
  • Abwehr der Marken-Eintragung, nicht der Kennzeichen-Nutzung
    • Die A. AG wehrte sich nicht gegen die Nutzung des Zeichens «CLUB X» durch die B. AG, sondern gegen dessen Marken-Eintragung.
  • Unterlassene Schaffung einer geschützten Rechtsposition bei der Vermögensentflechtung
    • Für das BGer war es nicht einleuchtend,
      • weshalb eine allfällige Übertragung von Rechten am damals noch nicht markenrechtlich registrierten Zeichen «CLUB X» eine Hinterlegungs-Berechtigung zur Markeneintragung des Zeichens beinhaltet hätte und,
      • weshalb nicht eine über die übertragenen Rechte hinausgehende absolut geschützte Rechtsposition veranlasst wurde.
  • Vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung
    • Das HGZ hatte in tatsächlicher Hinsicht einzig festgestellt, dass die «konkludente Vereinbarung einer Koexistenz» in der aktuellen Situation «plausibel» sei.
  • Ergebnis
    • Das BGer kam daher zum Schluss,
      • dass das HGZ ein falsches Beweismass angewandt habe,
        • indem es anstatt des strikten Beweises die blosse Plausibilität habe genügen lassen;
      • dass aus dem Umstand,
        • weil das nicht registrierte Zeichen «CLUB X» sowohl vor als auch nach der Vermögensspaltung neben der eingetragenen Marke «X» bestanden habe,
          • nach Treu und Glauben nicht auf eine vertragliche Berechtigung der B. AG geschlossen werden könne,
            • das Zeichen «CLUB X» dürfe trotz Verwechslungsgefahr als Marke eintragen werden.
      • dass keine vertragliche Berechtigung der B. AG erstellt sei, das Zeichen «CLUB X» als Marke im Markenregister einzutragen,
        • weshalb die B. AG aufgrund von ZGB 8 die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen habe;
        • weshalb der A. AG gestützt auf MSchG 3 Abs. 1 lit. c i.V.m. MSchG 52 ein Anspruch auf Löschung der später eingetragenen, verwechselbaren Marke «CLUB X» zustehe.

Fazit

Das BGer änderte den angefochtenen HGZ-Entscheid bezüglich zweier wesentlicher Punkte:

  • Es differenzierte zwischen
    • dem Nutzungsrecht am Zeichen «CLUB X» und
    • dem Eintragungsrecht ins Markenregister.
  • Es stellte klar,
    • dass die B. AG die Folgen der Beweislosigkeit trägt, namentlich
      • wegen der Verwechslungsgefahr der streitgegenständlichen Marke,
      • nicht wegen Parteiwillen-Auslegung der Vorinstanz.

Entsprechend hatte das BGer die Beschwerde gutzuheissen, soweit es darauf eintrat, und musste die Schweizer Marke Nr. yyy «CLUB X» für nichtig erklären.

Entscheid des Bundesgerichts

«1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Februar 2023 wird aufgehoben und die Schweizer Marke Nr. yyy CLUB X.________ wird für nichtig erklärt. Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE) wird angewiesen, die Marke im Markenregister zu löschen.
Im Übrigen wird die Sache zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5’000.– werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6’000.– zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Handelsgericht des Kantons Zürich und dem IGE schriftlich mitgeteilt.»

BGer 4A_154/2023 vom 17.07.2023

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

Bildquelle: Roland zh, upload on 20. September 2009, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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