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Verkehrsrecht / Luftfahrtrecht / Schifffahrtsrecht / Arbeitsunfall

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Unfälle jeder Art: Oft eine Verkettung unglücklicher Umstände

Datum:
14.02.2025
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Verkehrsrecht, Arbeitsunfall, Luftfahrtrecht, Schifffahrtsrecht / Seerecht
Thema:
Unfälle jeder Art
Stichworte:
Arbeitsunfall, Flugzeugabsturz, Schiffunfälle, Unfälle, Unfallursachen, Verkehrsunfälle, Verkettung unglücklicher Umstände
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Einleitung

Wenn sich ein Unfall ereignet, wird oft auf das fatale Endergebnis fokussiert. Bei der Unfallursache wird sodann auf menschliches Versagen bzw. Unsorgfalt und / oder technische Fehler eines Gerätes (Auto, Flugzeug, Schiff, Arbeitswerkzeug etc.) geschlossen.

Weil für den Laien oder Medienleser nicht mehr erschliessbar, fehlt die u.E. wichtige sog. «Verkettung unglücklicher Umstände».

Definition «Unfall»

Der «Unfall» ist ein plötzliches, unerwartetes Ereignis, bei dem eine Person unfreiwillig einen Körperschaden erleidet oder zu Tode kommt (= Personalschaden) oder eine Sache unbeabsichtigt teilweise beschädigt oder vollständig zerstört wird (Sachschaden). 

Unfallarten

Die Unfallart beschreibt im Allgemeinen den Ort des Unfallgeschehens oder die vorher ausgeübte Tätigkeit näher.

  • Verkehrsunfälle mit Autos
  • Flugzeugabstürze
  • Schiffsunglücke
  • Arbeitsunfall
  • Sportunfall
  • Alpin-Unfälle / Absturz von Bergsteigern bzw. Seilschaften
  • Schülerunfälle auf dem Schulweg oder auf dem Pausenplatz
  • usw.

Definition «Verkettung unglücklicher Umstände»

Die «Verkettung unglücklicher Umstände» ist das zufällige Zusammentreffen einer Reihe von Umständen und Ereignissen, welche zu einem Unfall führen.

Unfallforschung und Präventionsziele

Bei Unfällen ist man im Nachhinein gescheiter:

  • Ablaufrekapitulation
    • Erzählen und Anordnen der Schritte,
      • welche hätten ausgeführt werden müssen;
      • welche zum Unfall führten;
    • Erkennbarkeit von fehlenden Schritten, falschen Abläufen und Sprüngen im Vorgehen.
  • Unfalleintritt
    • Der Unfall geschieht stets in einem Augenblick vor seiner Erkennung:
      • Der Unfall ist als solcher manchmal nicht beobachtbar.
  • Nachträglichkeit
    • Diese epistemologische Nachträglichkeit des Unfalls speist die Fülle des Wissens über ihn.
  • Zukünftigkeit des Unfalls
    • Die oben erwähnte Nachträglichkeit ist nur die eine Seite des Unfalls; die andere ist seine Zukünftigkeit.
    • Bei jedem Unfall sollen – soweit möglich – Erkenntnisse gewonnen werden, um künftige Unfälle zu vermeiden (Unfallprävention).
    • Aus den Fehlern entstandener Unfälle sind Rückschlüsse zu ziehen, was in den menschlichen Abläufen oder bei den Produkten oder Gegenständen zu verbessern ist.
  • Untersuchung der Unfallursache
    • Es gibt eine Unzahl von Wissensformen und -techniken, um an den Resten, Trümmern, toten Personen und Unfallruinen jenen Augenblick aufzuschlüsseln,  in dem alles geschehen ist bzw. der negative Verlauf seinen Ursprung hatte.
  • Der Unfall als unausweichliche Folge täglicher Abläufe
    • Der  Unfall ist nicht nur das, was immer schon oder immer wieder geschehen ist, sondern auch jenes, was immer wieder sich zu ereignen droht.
    • Der Unfall ist ein Ereignis, welches jedem Ding und jeder Technologie immer schon inhärent war.

Menschen in komplexen und dynamischen Umfeldern

Personen, die in komplexen und dynamischen Umgebungen Verantwortung zu tragen haben, befinden sich in einer Dauerkonfrontation von

  • Fehlermöglichkeiten
    • d.h. Abweichung eines Zustands oder Ereignisses vom Standard, von Regeln oder von einem Ziel
  • Gefahren
    • d.h. Möglichkeiten des Eintritts künftiger Ereignisse, welche nachteilige Auswirkungen in sich bergen (= Komplementärbegriff von Sicherheit)
  • Risiken
    • d.h. Situation, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt.

Die verantwortungsvollen und riskanten Positionen können sein:

  • Piloten eines Flugzeugs
  • Skipper einer Jacht
  • Chirurg an einem Spital
  • LKW-Fahrer
  • Kranführer
  • usw.

Neigung, Ursachen beim menschlichen Versagen zu suchen

Es besteht die Gefahr, dass die involvierten Personen mit verantwortungsvollem Job bei einem schädlichen Ereignis verantwortlich gemacht werden:

  • Piloten, Skipper, Chirurgen, usw.

Die Fokussierung auf individuelles Fehlverhalten bringt mit sich, dass der Blick auf die Umstände, unter denen gearbeitet wird und unter denen es zu diesem fatalen Ereignis gekommen ist, verloren gehen.

Zwei Eigenheiten menschlicher Fehler

Zusammengefasst werden zwei wesentliche Eigenheiten des menschlichen Versagens übersehen:

  • Oft kein Zufall
    • Die Fehler ereignen sich nicht zufällig, sondern folgen bestimmten Mustern:
      • Unter ähnlichen Umständen kommt es zu ähnlichen Fehlern, und zwar unabhängig davon, welche Personen involviert sind.
  • Es kann auch die Besten treffen
    • Es muss nicht sein, dass die Unfälle nur die «schlechtesten der Schlechten» trifft:
      • Es können die Besten einer Berufsdisziplin sein, denen die schlimmsten Fehler passieren.

Beispiel einer Unfalluntersuchung mit Verkettung unglücklicher Umstände

Im nachfolgenden Schlussbericht über den bekannten Flugzeugabsturz der ALITALIA-Maschine am «Stadlerberg» in Weiach ZH wurde anerkanntermassen eine Verknüpfung verschiedener unglücklicher Umstände festgestellt (siehe nachfolgenden Auszug zu den Ursachen: «3.2 Ursachen»).

Ein defekter Höhenmeter und der Käpten («PIC», Pilot-in-Command), der wegen seiner hierarchischen Stellung, die vom Copiloten («COPI») festgestellte Flughöhen-Unterschreibung nicht glauben wollte (sog. «unzweckmässige Zusammenarbeit»), waren nebst den weiteren erwähnten Unzulänglichkeiten die Verkettungsursache des tragischen tödlichen Flugunfalls.

Schlussbericht der Eidgenössischen Flugunfall-Untersuchungskommission

über den Unfall des Flugzeuges DC-9-32, ALITALIA, Flugnr. AZ 404, I-ATJA am Stadlerberg, Weiach/ZH, vom 14. November 1990

  • AUSZUG   –

«SCHLUSSFOLGERUNGEN

3.1 Befunde

– Flugzeugzelle und Triebwerke waren in Ordnung und arbeiteten beim Flug normal. Masse und Schwerpunkt befanden sich innerhalb der zulässigen Grenzen.

– Der beim Anflug aufgeschaltete NAV-Empfänger Nr. 1 (Typ King KNR 6030) lieferte offenbar kein Ausgangssignal. Alle 4 NAV-Anzeigegeräte gaben eine «on glide» Anzeige wieder, ohne dass ein Flagalarm erschien.

– Die Möglichkeit solcher Fehlanzeigen bei den verwendeten NAV-Geräten ist seit 1984 bekannt.

Die ALITALIA war vom Flugzeughersteller über diese Fehlermöglichkeit in den Jahren 1984 und 1985 orientiert worden. Der Besatzung von AZ 404 war sie nicht bekannt.

– Die im Flugzeug verwendeten barometrischen Höhenmesser waren sog. «Drum pointer altimeter». Bei diesen ist die Gefahr von Fehlablesungen besonders gross.

– Die Besatzung von AZ 404 war im Besitz der notwendigen Lizenzen.

– Die Piloten waren gesundheitlich nicht beeinträchtigt. Der in der Leiche des COPI gefundene minimale Alkoholgehalt ist mit grosser Wahrscheinlichkeit auf mikrobielle Prozesse nach dem Tod auf der Unfallstelle zurückzuführen.

– Der COPI war der fliegende Pilot.

– Vor dem Interzeptieren der ILS 14 schaltete die Besatzung auf RADIO 1 (NAV Nr. 1).

– Der Final approach point ILS 14 befindet sich bei 8 NM vor der Pistenschwelle (DME ILS) in 4000 ft (QNH).

– Das Flugzeug durchflog bei ca. 11,5 NM die freigegebene Höhe von 4000 ft (QNH) beim Interzeptieren des LOC.

– Das Flugzeug folgte genau dem LOC der ILS 14, sank aber konstant ca. 1300 ft unterhalb des GP bis zur Unfallstelle ab.

– Die Besatzung liess das Flugzeug vor Erreichen des Outer Markers unter die Outer Marker-Überflughöhe von 1248 ft/QFE absinken.

– Es erfolgte während des ganzen Fluges keine GPWS-Warnung im Cockpit.

– Der Anflugverkehrsleiter war im Besitz der notwendigen Lizenzen.

Die Anflugverkehrsleitstelle ist mit Sekundärradar mit Höhenangaben digital in hecta-ft sowie Geschwindigkeit des Flugzeuges über Grund ausgerüstet.

– Der Anflugverkehrsleiter hat der Besatzung von AZ 404 keine Positionsangabe und keine Distanz zum Aufsetzpunkt der Piste 14 mitgeteilt.

– Der Anflugverkehrsleiter bemerkte die Höhenunterschreitung des Flugzeuges nie. – Wetter im Unfallgebiet: Wind SW/5 – 10, Sicht um 8 km, leichter Regen, bedeckt, Wolkenbasis auf verschiedenen Höhen, lokal auf 1800 – 2000 ft AGL.

– Wetter auf dem Flughafen Zürich (ATIS 1850) : Zürich Information ECHO, landing rwy 14, take-off rwy 28, Met report Zürich 1850, 240 degrees 4 kt, final rwy 14 and 16 250 degrees 7 kt, lift-off rwy 16 240 degrees 4 kt, visibility 10 km, mist, 2/8 1500 ft, 5/8 3000 ft, 7/8 4000 ft, temperature 9 dew point 8, QNH 1019, nosig, transition level 50, Zürich information ECHO.

– Nach Angaben anderer Piloten konnte die Anflug- und Pistenbefeuerung während des Anfluges auf der ILS gesehen werden.

– Auf dem Unfallflugweg kann die Piste bis 7 NM DME ILS gesehen werden, dann wird sie vom Stadlerberg verdeckt (nachts als «schwarzes Loch»).

– Der Stadlerberg ist nicht mit einer Hindernisbefeuerung ausgerüstet.

– Die Piste 14 ist nicht mit einer Präzisionsanflugwinkelbefeuerung (PAPI) ausgerüstet.

Beim Anfliegen der AZ 404 auf die ILS 14 verlangte der Anflugverkehrsleiter die Meldung «established» nicht. AZ 404 erstattete von sich aus ebenfalls keine Meldung.

– Der vom COPI kurz vor dem Unfall eingeleitete «go-around» wurde vom PIC sofort abgebrochen.

– Die Arbeit der Piloten im Cockpit entsprach nicht durchwegs den operationellen Vorschriften der ALITALIA.

– Die Vorschriften der Swisscontrol betr. die Übergangsphase vom «Radar Vectoring» zum «Pilot interpreted approach» sind nicht eindeutig und lassen verschiedene Auslegungen zu. Sie entsprechen im wesentlichen denjenigen der ICAO.

3.2 Ursachen

Der Unfall ist zurückzuführen auf:

– Fehlanzeige des VHF-NAV-Gerätes Nr. 1 im Flugzeug.

– Wahrscheinliche Fehlablesung des Höhenmessers seitens des PIC.

– Fehlende GPWS-Warnung im Cockpit.

– Unkenntnis der Piloten über die Möglichkeit einer Fehlanzeige der verwendeten NAV-Anlage bei Fehlen eines Flag-Alarms.

– Mangelhafte Fehleranalyse durch die Piloten.

– Nichteinhalten grundlegender Verfahrensregeln beim Anflug durch die Piloten.

– Unzweckmässige Zusammenarbeit zwischen den Piloten im Anflug.

– Abbruch des vom COPI eingeleiteten Durchstartverfahrens durch den PIC.

– Nichtbeachten des Verlassens der freigegebenen Höhe von 4000 ft QNH vor dem FAP seitens des Flugverkehrsleiters.»

Quelle: https://www.sust.admin.ch/inhalte/AV-berichte/1457l.pdf (S. 49 ff.)

Gelbe Markierung durch die Red.

Die Verkettung von Umständen und die Gefahrenvorkehr

Es wird immer unglückliche Verkettungen geben.

Es muss aber das Ziel sein, bei allen Abläufen möglichst ein Null-Risiko zu erzielen (Gefahrenvorkehr).

Fazit

Für die Vermeidung von Unfällen sollte jeder Personen-Bereich fachmännisch sorgfältig in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden und alle technischen Elemente des Gerätes, Produktes oder Fahrzeuges periodisch gut gewartet und funktionierend sein, so dass in der Kette aller Abläufe keine Störungen eintreten oder Funktionsausfälle entstehen.

Eine Anforderung an die Qualität und Funktionalität muss postuliert werden, auch wenn es unerwartete und unvorhersehbare oder überraschende Fehler gibt.

Möglichst wenige unerwartete Fehlverläufe führen seltener zu «Verkettungen unglücklicher Umstände». Deshalb müssen höchste Anforderungen an die Sicherstellung geordneter Abläufe und deren Kontrolle gestellt werden.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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