Besteht begründete Besorgnis einer Überschuldung, muss der Verwaltungsrat gemäss aOR 725 II eine Zwischenbilanz erstellen und diese einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorlegen (vgl. Erw. 2.4.2.1.1).
Eine Pflichtverletzung liegt vor,
- wenn der Verwaltungsrat es unterlässt,
- eine gesetzlich verlangte Rückstellung zu bilden (vgl. Erw. 2.4.2.1.2).
In Bezug auf Geschäftsentscheide haben sich Gerichte bei der nachträglichen Beurteilung Zurückhaltung aufzuerlegen,
- sofern diese Entscheide in einem einwandfreien,
- auf einer angemessenen Informationsbasis beruhenden und
- von Interessenkonflikten freien Entscheidprozess zustande gekommen sind
- (Business Judgment Rule)
(vgl. Erw. 2.4.2.1.3).
Bei der im vorliegenden Fall interessierenden Überprüfung der Einhaltung von Rechnungslegungsvorschriften
- rechtfertigt sich die Anwendung der Business Judgment Rule jedoch nicht (vgl. Erw. 2.4.2.1.3).
Zwar verfügt die Unternehmensleitung beim Entscheid darüber, ob und in welcher Höhe Rückstellungen getätigt werden müssen,
- über einen gewissen Ermessensspielraum, sie hat ihr Ermessen aber stets pflichtgemäss nach kaufmännischen Grundsätzen auszuüben (vgl. Erw. 2.4,2.2).
Rückstellungsvoraussetzungen:
- Eine Rückstellung in der Bilanz kann bereits bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 50 % oder darunter angebracht sein (vgl. Erw. 2.4.2.2).
Ergebnis
Sobald ein ernst zu nehmendes Prozessrisiko entsteht,
- muss der Verwaltungsrat (VR) in seiner Verantwortung für die finanzielle Führung
- eine Beurteilung des voraussehbaren Verfahrensausgangs vornehmen und
- gegebenenfalls eine angemessene Rückstellung bilden
- (vgl. Erw. 2.4.2.2.3).
Handelsgericht des Kantons Zürich
HGer ZH HG220023-O vom 03.10.2024
2. Unübertragbare Aufgaben
Art. 716a585 OR
1 Der Verwaltungsrat hat folgende unübertragbare und unentziehbare Aufgaben:
- die Oberleitung der Gesellschaft und die Erteilung der nötigen Weisungen;
- die Festlegung der Organisation;
- die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung, sofern diese für die Führung der Gesellschaft notwendig ist;
- die Ernennung und Abberufung der mit der Geschäftsführung und der Vertretung betrauten Personen;
- die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen, namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen;
- die Erstellung des Geschäftsberichtes586 sowie die Vorbereitung der Generalversammlung und die Ausführung ihrer Beschlüsse;
7.587 die Einreichung eines Gesuchs um Nachlassstundung und die Benachrichtigung des Gerichts im Falle der Überschuldung;
8.588 bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind: die Erstellung des Vergütungsberichts.
2 Der Verwaltungsrat kann die Vorbereitung und die Ausführung seiner Beschlüsse oder die Überwachung von Geschäften Ausschüssen oder einzelnen Mitgliedern zuweisen. Er hat für eine angemessene Berichterstattung an seine Mitglieder zu sorgen.
585 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 4. Okt. 1991, in Kraft seit 1. Juli 1992 (AS 1992 733; BBl 1983 II 745).
586 Berichtigt von der Redaktionskommission der BVers [Art. 33 GVG – AS 1974 1051].
587 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 19. Juni 2020 (Aktienrecht), in Kraft seit 1. Jan. 2023 (AS 2020 4005; 2022 109; BBl 2017 399).
588 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 19. Juni 2020 (Aktienrecht), in Kraft seit 1. Jan. 2023 (AS 2020 4005; 2022 109; BBl 2017 399).
aArt. 725 Abs. 2
…
Art. 717591 OR
1 Die Mitglieder des Verwaltungsrates sowie Dritte, die mit der Geschäftsführung befasst sind, müssen ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt erfüllen und die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren.
2 Sie haben die Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln.
591 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 4. Okt. 1991, in Kraft seit 1. Juli 1992 (AS 1992 733; BBl 1983 II 745).
III. Haftung für Verwaltung, Geschäftsführung und Liquidation
Art. 754643 OR
1 Die Mitglieder des Verwaltungsrates und alle mit der Geschäftsführung oder mit der Liquidation befassten Personen sind sowohl der Gesellschaft als den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen.
2 Wer die Erfüllung einer Aufgabe befugterweise einem anderen Organ überträgt, haftet für den von diesem verursachten Schaden, sofern er nicht nachweist, dass er bei der Auswahl, Unterrichtung und Überwachung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat.
643 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 4. Okt. 1991, in Kraft seit 1. Juli 1992 (AS 1992 733; BBl 1983 II 745).
Weiterführende Informationen
Rechnungslegungsvorschriften
Business Judgement Rule
Höhe der Rückstellungen / Stille Reserven
Bildung von Rückstellungen / Bewertungen
Quelle
LawMedia Redaktionsteam