Gerichtspolizeiliche Disziplinierung schliesst eine zusätzliche RA-Aufsichtsbehörden-Ahndung nicht aus
Die gerichtspolizeiliche Disziplinierung eines Anwalts schliesst die zusätzliche Ahndung seines Fehlverhaltens durch die Aufsichtsbehörde über die Anwälte nicht aus (vgl. Erw. 6.1):
- Art. 12 lit. a BGFA gilt als sog. «Auffangtatbestand» zu den übrigen in diesem Artikel geregelten Berufspflichten der Anwalts (vgl. Erw. 6.2.1).
Bestmögliche Interessenwahrung
- Die Anwälte haben in erster Linie die Interessen ihrer Klientschaft bestmöglich zu vertreten (vgl. Erw. 6.2.2), wobei sie alles zu unterlassen haben, was die Vertrauenswürdigkeit der Anwaltschaft infrage stellt (vgl. Erw. 6.2.3).
Prozessualer Kontext entscheidend
Die Beurteilung kritischer Äusserungen eines Rechtsanwalts gegenüber einer Behörde oder einem Behördenmitglied hängt wesentlich vom prozessualen Kontext ab (vgl. Erw. 6.2.4).
Ausstandsbegehren gegen Strafrichter
Im konkreten Fall hat ein Anwalt
- verlangt
- den Ausstand eines Strafrichters wegen Feindschaft gegenüber seinem Klienten
und
- die Haltung des Richters im Rahmen des Ausstandsgesuchs u.a. bezeichnet als:
- «bösartig»;
- «feindselig»;
- «höhnisch».
Einzelne Äusserungen nicht sanktionswürdig, aber in ihrer Gesamtsumme
Im vorliegenden Kontext erscheinen die einzelnen Äusserungen für sich allein genommen
- zwar noch nicht sanktionswürdig,
- In ihrer Summe erweisen sie sich indessen
- als unnötig polemisch und
- herabsetzend,
- womit sie über das zulässige Mass hinausgehen,
(vgl. Erw. 6.3.2 – Erw. 6.3.4).
Indem sich der Anwalt weiter dem Ausstandsgesuch eines anderen Rechtsvertreters vorbehaltlos angeschlossen hat,
- welches auch
- unsachliche,
- persönlich verletzende Äusserungen gegenüber dem Richter enthielt,
- hat er sich dessen Aussagen
- zweifellos erkennbar zu eigen gemacht und
- diese sind damit nach dem gleichen Massstab zu beurteilen,
- wie wenn er sie selbst getätigt hätte
(vgl. Erw. 6.4.2 f.).
BGer 2C_83/2023 vom 26.03.2024
Art. 12 BGFA Berufsregeln
Für Anwältinnen und Anwälte gelten folgende Berufsregeln:
- Sie üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus.
- Sie üben ihren Beruf unabhängig, in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung aus.
- Sie meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen.
- Sie können Werbung machen, solange diese objektiv bleibt und solange sie dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht.
- Sie dürfen vor Beendigung eines Rechtsstreits mit der Klientin oder dem Klienten keine Vereinbarung über die Beteiligung am Prozessgewinn als Ersatz für das Honorar abschliessen; sie dürfen sich auch nicht dazu verpflichten, im Falle eines ungünstigen Abschlusses des Verfahrens auf das Honorar zu verzichten.
- f. Sie haben eine Berufshaftpflichtversicherung nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, abzuschliessen; die Versicherungssumme muss mindestens eine Million Franken pro Jahr betragen; anstelle der Haftpflichtversicherung können andere, gleichwertige Sicherheiten erbracht werden.
- Sie sind verpflichtet, in dem Kanton, in dessen Register sie eingetragen sind, amtliche Pflichtverteidigungen und im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege Rechtsvertretungen zu übernehmen.
- Sie bewahren die ihnen anvertrauten Vermögenswerte getrennt von ihrem eigenen Vermögen auf.
- Sie klären ihre Klientschaft bei Übernahme des Mandates über die Grundsätze ihrer Rechnungsstellung auf und informieren sie periodisch oder auf Verlangen über die Höhe des geschuldeten Honorars.
- Sie teilen der Aufsichtsbehörde jede Änderung der sie betreffenden Daten im Register mit.
6. Kapitel: Ausstand
Art. 56 StPO Ausstandsgründe
Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
- in der Sache ein persönliches Interesse hat;
- in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen Sache tätig war;
- mit einer Partei, ihrem Rechtsbeistand oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, verheiratet ist, in eingetragener Partnerschaft lebt oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt;
- mit einer Partei in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem dritten Grad verwandt oder verschwägert ist;
- mit dem Rechtsbeistand einer Partei oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem zweiten Grad verwandt oder verschwägert ist;
- aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte.
Quelle
LawMedia Redaktionsteam