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Arbeitsrecht / Vertragsrecht

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Überstunden: Was muss der Arbeitgeber entschädigen?

Datum:
30.05.2011
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht
Stichworte:
Überstunden, Überzeit
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Überstunden-Leistungspflicht

Überstunden können in bestimmten Fällen vom Arbeitgeber verlangt werden – bezahlt werden müssen sie dagegen nicht immer. Grundsätzlich müssen Überstunden zwar per Gesetz entweder durch Freizeit gleicher Dauer kompensiert oder mit einem Lohnzuschlag von 25% entschädigt werden. Gleichzeitig erlaubt es das Arbeitsrecht jedoch, im Arbeitsvertrag schriftlich zu vereinbaren, dass Überstunden weder kompensiert noch entschädigt werden.

Für Arbeitnehmer besteht dann die Pflicht, Überstunden zu leisten, wenn es betriebsnotwendig und für ihn zumutbar ist:

Betriebsnotwendigkeit besteht in nicht vorhersehbaren Ausnahmefällen (wie z.B. bei Ausfällen anderer Mitarbeiter oder bei durch Störungen verursachte Arbeitsrückstände) oder bei vorübergehend erhöhter Betriebsintensität. Nicht betriebsnotwendig ist Mehrarbeit dann, wenn sie z.B. durch eine bessere Organisation oder den Beizug vorhandener Hilfskräfte vermieden werden könnte.

Ob die Leistung Mehrarbeit für den Arbeitnehmer zumutbar ist, hängt von der Anzahl und dem Zeitpunkt der Überstunden ab. Weitere Kriterien sind persönliche Faktoren wie die familiäre Situation eines Mitarbeiters oder sein Gesundheitszustand. Zuletzt ist auch zu beachten, ob die Überstunden entschädigt werden oder nicht. Die Zumutbarkeit muss also im Einzelfall geprüft werden.

Verweigert ein Arbeitnehmer zu Unrecht (d.h. trotz Notwendigkeit, Leistungsfähigkeit und Zumutbarkeit) die Überstunden-Leistung, so begeht er eine Pflichtverletzung bzw. Vertragsbruch: Dies kann zur Kündigung oder zu Schadenersatz führen. Ausserdem kann die Arbeitslosenkassen in einem solchen Fall die Taggelder streichen. Für Arbeitnehmer ist es also heikel, angeordnete Überstunden zu verweigern.

Überstunden ohne Weisung des Arbeitgebers

Bei Mehrarbeit ohne Weisung des Arbeitgebers, muss zwischen

  • nicht angeordneten, aber genehmigten Überstunden (auch stillschweigend) und
  • nicht angeordneten und nicht genehmigten Überstunden unterschieden werden.

Nicht angeordnete Überstunden sind dann zu entschädigen, wenn diese Arbeit nachträglich genehmigt wird und/oder der Arbeitgeber von der Überstundenarbeit Kenntnis hat und diese zulässt und/oder wenn der Arbeitgeber solche Arbeit entgegennimmt.

Ansonsten sind ohne Anordnung geleistete Überstunden dagegen nur abzugelten, wenn sie notwendig waren und/oder sie vom Arbeitnehmer nach Treu und Glauben als notwendig betrachtet werden durften. Das heisst, wer für nicht angeordnete Überstunden entschädigt werden möchte, muss einerseits die Leistung der Überstunden und andererseits deren objektive Notwendigkeit beweisen können. Dabei besteht für den Arbeitnehmer eine Meldepflicht: Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer die Leistung nicht angeordneter Überstunden zu melden, wenn der Arbeitgeber angesichts der Umstände die Notwendigkeit von Überstunden nicht erkennen muss und keine Möglichkeit hat nachzuprüfen, ob der Arbeitnehmer Überstunden leistet oder nicht.

Arbeitgeber tun also gut daran, ihre Überstunden aufzuschreiben und vom Vorgesetzen visieren zu lassen. Sind die Überstunden nicht aufgezeichnet, sollte ein Arbeitnehmer im Streitfall Zeugen für die Überstundenarbeit suchen.

Bundesgerichtsurteil BGE 4A_42/2011: Meldepflicht von Überstunden

Das Bundesgericht hat in einem Urteil vom 15. Juli 2011 die gängige Rechtsprechung bestätigt, nach der die Überstunden eines Arbeitnehmers dann als bewiesen gelten, wenn der Arbeitgeber von der Notwendigkeit der Mehrarbeit Kenntnis hatte bzw. davon wissen musste (BGE 129 III 171 Erwägungen 2.2; 116 II 69 E. 4b S. 71; 86 II 155 E. 2 S. 157 mit Hinweis).

Im vorliegenden Urteil bestritt die beklagte Arbeitgeberin, dass gegenüber der Arbeitnehmerin, welche als Pflegekraft und Haushaltshilfe für die demenzkranke Mutter der Beklagten tätig war, abgeltungspflichtige Überstunden bestünden: «Gemäss Anstellungsvertrag der Parteien bestehe eine Pflicht der Klägerin, ihre Überstunden monatlich zur Genehmigung vorzulegen, was die Klägerin unbestrittenermassen unterlassen habe. Sie habe daher jedenfalls den Anspruch auf eine Entschädigung für die nicht gemeldeten Überstunden verwirkt. Dies habe die Vorinstanz missachtet. Insbesondere habe sie zu Unrecht angenommen, dass der Beklagten die Notwendigkeit, Überstunden zu leisten, bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein müssen.»

Das Bundesgericht stellte jedoch fest, dass die Beklagte von den geleisteten Überstunden wusste oder zumindest hätte wissen müssen. Daher komme dem Umstand, dass die klagende Arbeitnehmerin die Überstunden nicht gemeldet habe, keine Bedeutung zu. Ausserdem wurden im Urteil die strengen Anforderungen an die Verwirkung von Ansprüchen aufgrund fehlender Meldung geleisteter Überstunden betont: «Der Beklagten wäre es unter den gegebenen Umständen einer zunehmend fortschreitenden Demenz ihrer Mutter ohne Weiteres zumutbar gewesen, die Klägerin, die in der Wohnung der Mutter lebte, nach ihrer Anzahl Mehrstunden zu fragen.»

» Bundesgerichtsurteil BGE 4A_42/2011 vom 15. Juli 2011

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