Wer die Gegenpartei über ihre Zweifel am Vertragsschluss nicht rechtzeitig informiert, wer weiterverhandelt, obwohl er weiss, dass er den Vertrag nicht unterzeichnen wird, oder wer verhandelt, um so einzig den Marktpreis in Erfahrung zu bringen, soll für den Aufwand der Gegenparteien und dessen Fremdkosten (Beraterhonorare, Gebühren und Auslagen etc.) haften.
I. Einleitung
Vertragsverhandlungen bergen das Risiko, dass sie viel kosten, zeitintensiv sind, Ressourcen binden und am Ende des Tages möglicherweise doch ohne den gewünschten Vertragsabschluss enden. Dieses Risiko kannten schon die alten Römer. Und auch in Zukunft wird es die Sicherheit für eine erfolgreiche Vertragsverhandlung nicht geben.
Aufgrund der rechtlichen Sonderverbindung, die bei ernsthaft geführten Vertragsverhandlungen von den Parteien regelmässig eingegangen wird, sollten die Beteiligten aber zumindest gegenseitig in das Verhalten der anderen Partei vertrauen können. Doch die Erfahrungen und der Blick in aktuelle Gerichtsentscheide zeigen, dass die „Handshake-Qualität“ in letzter Zeit deutlich abgenommen hat. Wo früher noch galt: „Ein Mann, ein Wort“, enden Vertragsverhandlungen und das vermeintliche Vertrauensverhältnis zwischen den Verhandlungspartnern heute oft mit dem Sprichwort: „ausser Spesen – nix gewesen“!
Was aber kann man tun, wenn das anlässlich von Vertragsverhandlungen entgegengebrachte Vertrauen von der Gegenpartei schamlos ausgenützt, gar verletzt wird, und man am Ende des Tages mit nutzlos gewordenen Aufwendungen alleine dasteht? Was, wenn die Gegenpartei einem beispielsweise ernsthafte Zweifel am Vertragsabschluss nicht rechtzeitig mitteilte oder die Vertragsverhandlungen weitergeführt wurden, obwohl die Gegenpartei längst wusste, dass sie den Vertrag nicht unterzeichnen wird? Die Antwort auf diese Fragen liegt darin, in solchen Fällen die Haftung aus culpa in contrahendo geltend zu machen.
II. Haftung aus culpa in contrahendo
Culpa in contrahendo bedeutet „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ und erfasst die schuldhafte Verletzung von Vertrauen bzw. die Verletzung der aus diesem Vertrauen hergeleiteten Schutzpflichten. Eine allgemeine gesetzliche Regelung zur Haftung aus culpa in contrahendo existiert (noch) nicht. Lehre und Rechtsprechung anerkennen sie aber als eigenständige, zwischen Vertrag und Delikt angesiedelte Haftungsgrundlage und weisen sie den quasivertraglichen Ansprüchen zu (BGE 134 III 390 E. 4.3.2).
Die Haftung aus culpa in contrahendo ermöglicht es geschädigten Parteien – insbesondere bei gescheiterten Vertragsverhandlungen[1] – nutzlos gewordene Aufwendungen aus den Vertragsverhandlungen, gerichtlich geltend zu machen. Damit die Haftung aus culpa in contrahendo greift, müssen die nachfolgend genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein.
III. Voraussetzung für die Haftung aus culpa in contrahendo
1. Sonderverbindung
Zwischen den Parteien muss eine rechtliche Sonderverbindung bestehen. Es muss sich um eine Beziehung handeln, die über den blossen Zufallskontakt hinausgeht aber noch keinen Vertrag darstellt und zumindest bei einer Partei, ein erhöhtes Vertrauen hervorgerufen hat. Stehen zwei Parteien in ernsthaften Vertragsverhandlungen, wird regelmässig von einer solchen rechtlichen Sonderverbindung ausgegangen.
2. Schutzwürdiges Vertrauensverhältnis
Das von der geschädigten Partei anlässlich der Vertragsverhandlungen, innerhalb der rechtlichen Sonderverbindung entgegengebrachte Vertrauen, muss schutzwürdig sein. War auch dem Geschädigten bereits Anfangs der Verhandlungen klar, dass kein Vertrag oder kein gültiger Vertrag zustande kommen wird, liegt kein derartiges schutzwürdiges Vertrauen vor.
3. Verletzung von Schutzpflichten
Schutzpflichten stellen das Vertrauen konkretisierende, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Einzelpflichten der Verhandlungspartner dar. Darunter fällt beispielsweise die Pflicht zur ernsthaften Vertragsverhandlung (vgl. BGE 4C.409/2005 E. 3.2), die Aufklärungspflicht in Bezug auf erhebliche Tatsachen (vgl. BGE 125 III 86) oder die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Weitere Schutzpflichten ergeben sich aus den Umständen des Einzelfalles, und hängen namentlich von der Natur des Vertrages, der Art, wie sich die Verhandlungen abwickeln, sowie den Absichten und Kenntnissen der Beteiligten ab.
Für die Haftung aus culpa in contrahendo müssen Schutzpflichten von der Gegenpartei schuldhaft verletzt worden sein.
4. Schaden
Es muss ein Schaden vorliegen. Dieser entspricht den nutzlos gewordenen Aufwendungen, die der Geschädigte im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen, im Hinblick auf den Vertragsabschluss getätigt hat.
5. Adäquater Kausalzusammenhang
Die Vertrauensverletzung muss adäquate Ursache für den Schaden sein. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn die Verletzung einer Schutzpflicht nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, den eingetretenen Schaden herbeizuführen, der Eintritt des Schadens also durch das Verhalten der Gegenpartei allgemein als begünstigt erscheint (vgl. BGE 125 V 456 E. 5a).
6. Verschulden
Die Haftung aus culpa in contrahendo setzt weiter voraus, dass die Schutzpflichten von der Gegenpartei schuldhaft verletzt wurden. Dabei reicht gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts bereits Fahrlässigkeit (vgl. BGE 105 II 81).
IV. Rechtswirkung
Sind die oben erwähnten Voraussetzungen erfüllt, haftet die Gegenpartei dem Geschädigten aus culpa in contrahendo für den eingetretenen Schaden. Zu ersetzen ist das sogenannte „negative Interesse“. Der Geschädigte soll durch die Haftung aus culpa in contrahendo so gestellt werden, als wären die Verhandlungen nie aufgenommen oder im richtigen Zeitpunkt unterbrochen worden.
V. Verjährung
Obwohl ein nicht unbeachtlicher Teil der Lehre für Ansprüche aus culpa in contrahendo die 10-jährige Verjährungsfrist nach OR 127 für sachgerecht hält, geht das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Verjährung von Ansprüchen aus culpa in contrahendo nach OR 60 ff. richtet (vgl. BGE 134 III 390 E. 4.3.2).
Der Bereicherungsanspruch verjährt somit mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Verletzte von seinem Anspruch Kenntnis erhalten hat, in jedem Fall aber mit Ablauf von zehn Jahren seit der Entstehung des Anspruchs.
VI. Schluss
Die Geltendmachung der Verhandlungshaftung erfordert entweder eine Einigung mit der Gegenpartei über die von ihr zu bezahlende Schadenssumme oder im Weigerungsfall den Gang zum Richter. Die Erfolgschancen eines c.i.c.-Prozesses hängen von der Beweisbarkeit der Verhandlungsuntreue und vom Schadens-Quantitativ etc. ab. Zu prüfen ist das Kosten-/Nutzverhältnis im konkreten Einzelfall. Für eine Rechtsverfolgung sind Bagatellfälle nicht geeignet und es dürfte meistens nicht um das liebe Geld, sondern um Konsequenzfragen wie Ansprache des Ehrenworts der Gegenpartei, Zeigen, was anständiges Verhandlungsverhalten ist oder Schutz anderer bzw. künftiger Gegenparteien des Fehlbaren.
[1] Haftung aus culpa in contrahendo ist auch möglich, wenn ein Vertrag trotz Verletzung vorvertraglicher Verpflichtungen zustande gekommen ist.
Weiterführende Informationen
Judikatur
- Judikatur zu den quasivertraglichen Ansprüchen
- BGE 134 III 390 4.3.2
- Judikatur zur ernsthaften Vertragsverhandlung
- BGE 4C.409/2005 3.2
- Judikatur zur Aufklärungspflicht
- Judikatur zum adäquaten Kausalzusammenhang
- Judikatur zur C.i.c.-Haftung bei Fahrlässigkeit
- Judikatur zur Verjährung von Ansprüchen aus C.i.c.-Haftung
- BGE 134 III 390 4.3.2