LAWNEWS

Sozialversicherungsrecht / Sozialversicherung

QR Code

Pflegefinanzierung: Kantone zur Restkostenübernahme verpflichtet

Datum:
13.08.2018
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht
Stichworte:
Sozialversicherungen
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Sofern und soweit Pflegekosten nicht durch die gesetzlich limitierten Beiträge der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und der Versicherten gedeckt sind, müssen die Kantone (oder ihre Gemeinden) vollständig für die Restkosten aufkommen, selbst dann, wenn das kantonale Recht dafür Höchstansätze vorsieht.

Ausgangslage

Seit der 2011 in Kraft getretenen Neuordnung der Pflegefinanzierung gilt für Kostenbeteiligung für Pflegeleistungen folgendes:

  • Voraussetzungen (KVG 25a Abs. 1)
    • ärztliche Anordnung
    • ausgewiesener Pflegebedarf
    • Erbringung ambulant oder im Pflegeheim
  • Kostentragung
    • Kostentragung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP)(KVG 25a) zum Teil, nämlich:
      • Anteil gemäss bundesrätlicher Festlegung
        • gestaffelt nach Pflegebedarf CHF 9 bis CHF 108 pro Tag
        • auch KVG 25a Abs. 2 – 4
      • Überwälzung von max. 20 % auf den Versicherten (KVG 25a Abs. 5 1. Satz)
        • maximal CHF 21.60
      • Restfinanzierung durch die Kantone (KVG 25a Abs. 5 2. Satz).

Siehe auch Box mit Gesetzesartikel KVG 25a, unten.

Regelung im Kanton St. Gallen

Der Kanton St. Gallen hatte Höchstansätze festgelegt, die von den zuständigen politischen Gemeinden als Restfinanzierung an die Pflegekosten beizutragen sind, soweit diese durch die Beiträge der OKP und der Versicherten nicht gedeckt sind. Die Höchstansätze betragen je nach Pflegestufe pro Tag zwischen CHF 12 und CHF 254.

Konkreter Fall

Im konkreten Fall überstiegen die Pflegekosten einer Versicherten den kantonal-sankt-gallischen Höchstansatz. Die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen beschränkte daher den Kostenbeitrag der Gemeinde auf diesen Höchstansatz.

Entscheid des St. Galler Versicherungsgerichts

Das St. Galler Versicherungsgericht entschied 2017, dass die Gemeinde nicht nur den kantonalen Höchstansatz, sondern auch die darüber hinausgehenden Pflegekosten zu entschädigen habe.

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht bestätigt nun den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies nun die gegen den vorinstanzlichen Entscheid erhobene Beschwerde der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen in den wesentlichen Punkten mit folgender Begründung ab:

  • Zulässigkeit von Höchstansätzen
    • Den Kantonen sei es zwar gestattet, ihrer Pflicht zur Restfinanzierung von Pflegekosten mittels Festlegung von Pauschaltarifen nachzukommen, was im Kanton St. Gallen in Form von Höchstansätzen erfolgt sei
  • Unzulässigkeit einer fehlenden Kostendeckung im Einzelfall
    • Es sei jedoch mit der Restfinanzierungspflicht der Kantone gemäss KVG 25a nicht vereinbar, wenn die kantonalen Höchstansätze im Einzelfall nicht kostendeckend seien
  • Restfinanzierung durch Kantone ist Wille des Bundesgesetzgebers
    • Die vollständige Restkostenfinanzierung durch die Kantone bzw. die Gemeinden gehe aus der parlamentarischen Debatte zweifelsohne hervor.

Quelle

BGer 9C_446/2017 vom 20.07.2018
(Medienberichterstattung des Bundesgerichts von heute 13.08.2018)

Art. 25a KVG   Pflegeleistungen bei Krankheit

1 Die obligatorische Krankenpflegeversicherung leistet einen Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant, auch in Tages- oder Nachtstrukturen, oder im Pflegeheim erbracht werden.

2 Die Leistungen der Akut- und Übergangspflege, welche sich im Anschluss an einen Spitalaufenthalt als notwendig erweisen und die im Spital ärztlich angeordnet werden, werden von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und vom Wohnkanton des Versicherten während längstens zwei Wochen nach den Regeln der Spitalfinanzierung (Art. 49a Abgeltung der stationären Leistungen) vergütet. Versicherer und Leistungserbringer vereinbaren Pauschalen.

3 Der Bundesrat bezeichnet die Pflegeleistungen und regelt das Verfahren der Bedarfsermittlung.

4 Der Bundesrat setzt die Beiträge differenziert nach dem Pflegebedarf in Franken fest. Massgebend ist der Aufwand nach Pflegebedarf für Pflegeleistungen, die in der notwendigen Qualität, effizient und kostengünstig erbracht werden. Die Pflegeleistungen werden einer Qualitätskontrolle unterzogen. Der Bundesrat legt die Modalitäten fest.

5 Der versicherten Person dürfen von den nicht von Sozialversicherungen gedeckten Pflegekosten höchstens 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrages überwälzt werden. Die Kantone regeln die Restfinanzierung.

Vorbehalt / Disclaimer

Diese allgemeine Information erfolgt ohne jede Gewähr und ersetzt eine Individualberatung im konkreten Einzelfall nicht. Jede Handlung, die der Leser bzw. Nutzer aufgrund der vorstehenden allgemeinen Information vornimmt, geschieht von ihm ausschliesslich in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko.

Urheber- und Verlagsrechte

Alle in dieser Web-Information veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheide und Leitsätze, soweit sie von den Autoren oder den Redaktoren erarbeitet oder redigiert worden sind. Der Rechtschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Web-Information darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – sämtliche technische und digitale Verfahren – reproduziert werden.