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Sozialversicherungsrecht

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Unrechtmässig bezogene Rentenleistungen – Verrechnung von verjährten Rückforderungsansprüchen?

Datum:
28.03.2019
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht
Stichworte:
berufliche Vorsorge, Sozialversicherungen, Sozialversicherungsrecht, Verrechnung
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

BVG 35a, OR 120 Abs. 3 und OR 125 Abs. 2

Einleitung

Das Bundesgericht hatte sich im Fall 9C_840/2017 der beruflichen Vorsorge (Invalidenleistung) im Zusammenhang mit der Rückforderung und Verrechnung zu befassen.

Sachverhalt

„A._________ bezog ab 01.02.2000 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % eine ganze Rente der Invalidenversicherung samt einer Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten (Verfügung vom 29.01.2001 und Mitteilung vom 31.08.2004 der IV-Stelle des Kantons Zürich). Die BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt (heute: BVG-Sammelstiftung Swiss Life) richtete ihm ab 25.02.2001 eine aufgrund einer Überentschädigungsberechnung gekürzte Invalidenrente der beruflichen Vorsorge aus. Die Auszahlung erfolgte vierteljährlich.

… Als Ergebnis des im September 2008 eingeleiteten Revisionsverfahrens hob die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 27.05.2009, nach deren Aufhebung auf Beschwerde hin und ergänzenden Abklärungen erneut mit Verfügung vom 16.08.2012 die ganze Rente des A._________ wegen eines nicht anspruchsbegründenden Invaliditätsgrades von 17 % bzw. 30 % auf Ende Juni 2009 auf. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 28.03.2014 ab, wobei es einen Invaliditätsgrad von 37 % ermittelte, was das Bundesgericht mit Urteil 8C_384/2014 vom 03.07.2014 bestätigte.

… Die BVG-Sammelstiftung Swiss Life richtete ab 01.10.2012 Invalidenleistungen auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 30 % aus. Mit Schreiben vom 18.09.2014 teilte sie A._________ mit, dass sie die Rentenleistungen auf Ende September 2014 einstelle. Im Schreiben vom 20.11.2014 hielt sie fest, dass die im Zeitraum vom 01.07.2009 bis 30.09.2012 zu Unrecht auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 100 % ausgerichteten Leistungen höher seien als die Summe der bis zum ordentlichen Pensionierungsalter bei einem Invaliditätsgrad von 37 % geschuldeten. Sie werde daher keine Leistungen mehr ausrichten.“

Erwägungen

Die Ergebnis-Kernsätze sind:

  • Rückerstattungspflicht gemäss BVG Art. 35a
    • Es spielt grundsätzlich keine Rolle, aus welchem (Unrechtmässigkeits-)Grund es zur Auszahlung gekommen ist (vgl. Erw. 5.1 Abs. 2; siehe auch Box unten)
  • Verrechnungsregeln
    • Verjährungsfristen
      • Zur Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs nach BVG 35a Abs. 2 Satz 1 sind Verjährungsfristen im obligationenrechtlichen Sinne anwendbar
        • relative einjährige Frist und
        • absolute fünfjährige Frist
        • Diese Fristen können unterbrochen werden
    • Rechtzeitigkeit der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs
      • Rechtsgenügliche Kenntnis vom Anspruch besteht, wenn die Vorsorgeeinrichtung bei Beachtung der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung erfüllt sind (Erw. 5.1)
    • Keine Anwendung der Regeln von OR 63 (ungerechtfertigte Bereicherung)
      • OR 63 Abs. 1, welcher die Voraussetzungen regelt, unter denen die freiwillige Zahlung einer Nichtschuld wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückgefordert werden kann, ist im Rahmen von BVG 35a Abs. 1 nicht anwendbar (vgl. Erw. 5.2)
  • Verrechnungsvoraussetzungen
    • Nur nicht verjährte Forderungen sind verrechenbar
      • OR 120 Abs. 3 ist im Bereich der beruflichen Vorsorge sinngemäss anwendbar und lässt die Verrechnung einer verjährten Rückforderung zu, wenn sie zur Zeit, als sie mit der anderen Forderung verrechnet werden konnte, noch nicht verjährt war (vgl. Erw. 5.4.1; siehe auch Box unten).

Entscheid

Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen.

Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29.08.2017 wurde insoweit aufgehoben und die Klage gutgeheissen, als festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer nicht rückerstattungspflichtig ist und ab 01.10.2015 Anspruch auf Invaliditätsleistungen auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 37 % gemäss dem Reglement der Beschwerdegegnerin hat.

Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

Die Gerichtskosten von CHF 800.– wurden den Parteien je zur Hälfte (CHF 400.-) auferlegt und die Beschwerdegegnerin verpflichtet, den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit CHF 1’400.- zu entschädigen.

Quelle

BGer 9C_840/2017 vom 23.07.2018

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