StPO 136 und StPO 299 Abs. 1
Einleitung
Strittig war zwischen dem genferischen Generalstaatsanwalt und der Strafantragstellerin A ______ zwar nicht deren Mittellosigkeit, sondern die Erfolgsaussichten der geplanten Zivilklage.
Der Generalstaatsanwalt ging von einer Aussichtslosigkeit der in Aussicht genommenen Zivilklage aus und meinte, dass der Beistand eines Rechtsanwalts nicht gerechtfertigt sei; solche Schlussfolgerungen würden sich angesichts des Fehlens der Eröffnung einer Strafuntersuchung und der Phase der laufenden polizeilichen Ermittlungen nicht aufdrängen.
Sachverhalt
A ______ sprach am 22.11.2017 bei der Polizei in Genf vor und stellte gegen ihren früheren Freund einen Strafantrag wegen
- sexueller Nötigung (StGB 189)
- Wuchers (StGB 157)
- Menschenhandels.
Sie warf ihm vor, dass er
- sie aus Brasilien kommen lassen
- ihr eine Heirat vorgespiegelt habe
- sie in einen Zustand der psychischen Abhängigkeit versetzt habe
- sie zwang, sexuelle Praktiken, namentlich |im Rahmen von Partnertausch, zu erleiden
- sie in seinen Diensten für einen masslos tiefen Lohn (Fr. 200.– pro Monat) zu arbeiten zwang
- mit anderen Personen gleich vorgegangen sei.
Prozess-History
- 03.2018
- Vervollständigung des Strafantrags durch A ______
- Parallel dazu bat sie die Staatsanwaltschaft um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und die Bestellung ihres Rechtsbeistands zum amtlichen Verteidiger mit Wirkung ab 20.12.2017
- 04.2018
- Information der Gesuchstellerin durch die Staatsanwältin, dass mangels Eröffnung einer Strafuntersuchung in diesem Stadium kein Grund für die Bestellung eines amtlichen Verteidigers bestehe.
- D.
- A ______ ersuchte die Staatsanwältin, ihre Position in Wiedererwägung zu ziehen oder einen formellen beschwerdefähigen Entscheid zu erlassen.
- 04.2018
- Mitteilung der Staatsanwältin, wonach sie an ihrer Position festhalte und ihr Brief gegebenenfalls als beschwerdefähiger Entscheid gelte
- 06.2018
- Beschwerdekammer in Strafsachen des Waadtländer Kantonsgerichts heisst die von A ______ gegen die Verfügung der Staatsanwältin erhobene Beschwerde gut und bestimmt Rechtsanwältin Ana Rita Perez zur unentgeltlichen Rechtsvertreterin der Privatklägerin
- 08.2018
- Beschwerde in Strafsachen des Waadtländer Generalstaatsanwalts gegen das Urteil des Waadtländer Kantonsgerichts beim Bundesgericht und Beantragung der Änderung des vorinstanzlichen Urteils in dem Sinne, dass die Verfügung vom 30.04.2018 bestätigt werde, dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens A ______ auferlegt werde und, dass ihr für das Beschwerdeverfahren keine Entschädigung zugesprochen werde. Eventualiter ersuchte er um Rückweisung des Falls an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung.
Erwägungen
Nach Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen und der Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft erwog das Bundesgericht im Wesentlichen:
- Die Privatklägerschaft habe das Recht auf unentgeltliche Rechtspflege im Vorverfahren während der – späteren – staatsanwaltschaftlichen Untersuchung (StPO 299 Abs. 1 in fine) (BESTÄTIGUNG DER RECHTSPRECHUNG)
- Dieses Recht habe die Privatklägerschaft auch im – vorherigen – polizeilichen Ermittlungsverfahren (StPO 299 Abs. 1).
Quintessenz:
- Das Kantonsgericht habe das Bundesrecht nicht verletzt, als es angenommen habe, dass die von StPO 136 Abs. 1 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt seien und, dass der Beistand eines Rechtsanwalts im vorliegenden Falle sich rechtfertige (StPO 136 Abs. 2 lit. c).
Entscheid
Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Waadtländer Generalstaatsanwalt ab.
Quelle
BGer 1B_401/2018 vom 10.12.2018 = BGE 144 IV 377 ff.
Weiterführende Informationen / Linktipps
Bildquelle:
This file was provided to Wikimedia Commons by Roland Zumbühl of Picswiss as part of a cooperation project. [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons