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Polizeirecht

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Dringliche Dienstfahrt und Missachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes

Datum:
06.04.2020
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Polizeirecht
Stichworte:
Geschwindigkeitsüberschreitung, Verhältnismässigkeit
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

SVG 90 Abs. 2 und SVG 100 Ziffer 4

Sachverhalt

Genfer Polizisten (Fahrer und Beifahrerin) versuchten 2015 bei einer Verfolgungsfahrt innerorts mit 92 km/h Flüchtende, die einen Bankomaten in die Luft gesprengt hatten, vor dem Grenzübergang einzuholen.

Auf der Fahrt kurz vor vier Uhr in der Früh wurden sie innerorts zwei Mal geblitzt:

  • das erste Mal: 30 km/h zu schnell
  • das zweite Mal: 42 km/h zu schnell.

Zunächst mit Blaulicht und Polizeisirene unterwegs, schaltete die Kollegin den Ton nach einer Weile aus taktischen Gründen aus.

Prozess-History

  • Erste Tempoüberschreitung (30 km/h)
    • Verfahrenseinstellung durch den Staatsanwalt, weil die Fahrt als notwendige Dienstfahrt eingestuft wurde
  • Zweite Tempoüberschreitung (42 km/h)
    • Der Polizist wurde vom Genfer Kantonsgericht wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse von CHF 600 verurteilt
  • Anrufung des Bundesgerichts.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht erwog zusammengefasst folgendes:

  • Erfordernis der Verhältnismässigkeit der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit bei einer Dienstfahrt
    • Güterabwägung
      • Der Lenker hätte die nach den Umständen gebotene Sorgfalt und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beachten müssen, d.h. er hätte den Grad der Dringlichkeit der Dienstfahrt gegenüber der Schwere der von ihm begangenen Verkehrsregelverletzung (Geschwindigkeitsüberschreitung) abwägen müssen
        • Je gefährlicher das Abweichen von der Verkehrsregel ist (hier Fahrt mit 92 km/h innerorts nur mit Blaulicht), umso grösser muss die zu beachtende Vorsicht sein
      • Beispiel
        • Dienstfahrt wegen Gefahr eines Menschenlebens: Schnellere Verfolgungsfahrt möglich als bei Gefährdung anderer Rechtsgüter wie hier Tresorsprengung
      • Im konkreten Fall
        • Der Polizist wusste, dass die Flüchtenden niemanden verletzt hatten
  • Vorwurf des Bundesgerichts gegenüber dem Polizisten
    • Trotz des öffentlichen Interesses, die Täter anzuhalten, hätte der Polizist die Geschwindigkeit anpassen müssen, um nicht dritte Personen zu gefährden.

Die Nichtbeachtung der Verhältnismässigkeit machte eine Bestrafung unumgänglich, wobei die Strafe aber gemildert werden konnte.

Entscheid des Bundesgerichts

  • Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids.

Quelle

BGer 6B_1161/2018 vom 17.01.2020

Bildquelle: wikipedia.org

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