Motionen 20.3168 (SPK-SR) und 20.3144 (SPK-NR) vom 22.04.2020
Eingereichter Text
„Der Bundesrat ist aufgefordert, die notwendige gesetzliche Grundlage zur Einführung von Corona-Warn Apps («Corona Proximity Tracing»-App) dem Parlament vorzulegen.
Es sollen nur technische Lösungen verwendet werden, welche keine personenbezogenen Daten zentral speichern. Die Anwendung der App hat freiwillig zu sein.“
Begründung
„Eine breite Anwendung des Proximity Tracing durch die Rückverfolgung von Ansteckungsketten kann möglicherweise einen Beitrag leisten zur Bewältigung der Krise. Gleichzeitig ist der potenzielle Eingriff in die Grundrechte beim Proximity Tracing je nach Ausgestaltung massiv. Aufgrund der möglichen schweren Grundrechtseingriffe ist allerdings auf jeden Fall dem Parlament Antrag zu stellen auf eine parlamentarisch abgestützte gesetzliche Grundlage, und keine Notverordnung des Bundesrats zu verabschieden.
Materiell soll der Bundesrat eine dezentrale Lösung umsetzen. Eine solche dezentrale Lösung wird (im Gegensatz zu gewissen Projekten in Ländern der EU) in der Schweiz momentan u.a. von der ETH/EPFL vorangebracht. Die Installation einer solchen App soll zudem freiwillig sein.“
Stellungnahme des Bundesrats
„Digitale Applikationen können als Hilfsmittel die Massnahmen zur Eindämmung der Virusausbreitung durch die zuständigen kantonalen Behörden unterstützen. Dies gilt insbesondere für Smartphone-Apps, die unter Verwendung der Bluetooth-Funktechnik «Begegnungen» zwischen zwei mit der entsprechenden App ausgerüsteten Smartphones, die länger als 15 min und in einem Abstand unter zwei Metern stattfinden, dezentral und anonym aufzeichnen (sogenanntes Proximity Tracing [PT]). Sollte ein Benutzer oder eine Benutzerin der PT-App nachweislich positiv auf SARS-CoV-2 getestet werden, kann er oder sie anonym den Benachrichtigungsdienst aktivieren. Abhängig vom Datum der ersten Symptome der positiv getesteten Person werden jene PT-App Benutzerinnen und -Benutzer benachrichtigt, welche in der infektiösen Zeitspanne ein Kontakt-Ereignis mit der positiv getesteten Person hatten. Dies ermöglicht den benachrichtigten Benutzern, sich freiwillig in Selbstquarantäne zu begeben und freiwillig die zentrale Hotline des Bundes zu kontaktieren für allfällige weitere Abklärungen.
Das gesamte PT-App System wird mit innovativen kryptografischen Methoden und einer stark dezentralisierten Datenbearbeitung darauf ausgerichtet, dass möglichst keine Angaben zu bestimmten oder bestimmbaren Personen (Personendaten) vorhanden sind. Ortsangaben werden überhaupt nicht erfasst, sondern lediglich gut vor Missbrauch geschützte, verschlüsselte Daten betreffend die Kontakt-Ereignisse. Wie bisher und auch weiterhin kennen einzig der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin sowie das bereits bestehende kantonale Contact Tracing-Zentrum die Identität der infizierten Person. Nur diese können eine infizierte Person zudem mittels Übermittlung eines anonymen Autorisierungscodes ermächtigen, dem System in anonymer Form die Infizierung bekannt zu geben. Dass eine benachrichtigte Person unter Umständen aufgrund ihrer Erinnerung an die Sozialkontakte der letzten Tage darauf schliessen kann, von wem die Benachrichtigung ausging, ist bei der traditionellen Nachverfolgung von Kontakten nicht anders.
Aus Sicht der vom Bundesrat einberufenen Nationalen COVID-19 Science Taskforce sind für einen effektiven Mehrwert der PT-App für die Eindämmung der Virusausbreitung eine sehr hohe Akzeptanz und Verbreitung in der Bevölkerung notwendig. Aus Sicht des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB), der nationalen Ethikkommission NEK und des Bundesamtes für Justiz (BJ) müssen beim Einsatz der PT-App folgende Grundprinzipien garantiert sein: Freiwilligkeit auf allen Ebenen, weitestgehender Verzicht auf die Bearbeitung von personenidentifizierenden Daten, guter Missbrauchsschutz durch technische und organisatorische Massnahmen, zeitliche Beschränkung des Einsatzes auf die Dauer der Krise sowie zeitliche Beschränkung der Datenspeicherung auf das jeweils notwendige Mass (Kontaktdaten lediglich so lange, wie die betroffene Person nach epidemiologischen Erkenntnissen von einer Ansteckung betroffen sein könnte; die weiteren Daten höchstens für die Dauer der Krise).
Entsprechend basieren die Arbeiten für eine Schweizer PT-App (Bundesverwaltung in Zusammenarbeit mit der EPFL und der ETH) seit jeher auf dem Grundpfeiler der Freiwilligkeit auf allen Ebenen (insb. Herunterladen und Installation der Applikation; Einschalten des Bluetooth-Funktechnik; Verwenden der weiteren Funktionen wie Eingabe des Nachweises eines positiven Tests und Benachrichtigung übriger Benutzenden). Spiegelbildlich war und ist die Freiwilligkeit auf allen Ebenen auch zentrale Vorgabe aller bisher erarbeiteten Rechtsgrundlagen.
Die von der Motion geforderten Anforderungen an die «Dezentralität» und «Anonymität» sind systeminhärent in der Architektur der Schweizer PT-App verankert, die im Internet frei ersichtlich ist (open source). Da es sich bei der PT-App um ein freiwilliges digitales Hilfsmittel für im Epidemiengesetz (SR 818.101) abgestützte Massnahmen der Krankheitsbekämpfung handelt, welches die weiteren oben genannten Anforderungen erfüllt, bestehen die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für die Bearbeitung von Gesundheitsdaten bereits. Der Bundesrat kann vor diesem Hintergrund und in Übereinstimmung mit den Anliegen der Motion im Rahmen seiner epidemienrechtlichen Befugnisse tätig werden. Eine Notverordnung ist weder notwendig noch vorgesehen. Der Bundesrat gedenkt, seine Verordnung auf einen relativ kurzen Zeitraum zu befristen, und wird selbstverständlich die Regelung und das System anpassen, sollte der Gesetzgeber in der Zwischenzeit entsprechende Vorgaben machen.
Alle Arbeiten sind bereits weit vorangeschritten. Eine solche App soll für die Bevölkerung ab Mai 2020 in der gesamten Schweiz nutzbar sein. Detaillierte Informationen zur Schweizer PT-App, die für deren Einsatz notwendigen Anpassungen der rechtlichen Grundlagen sowie Überlegungen zu allfälligen flankierenden Massnahmen (z.B. im Bereich Kommunikation) werden dem Bundesrat am 8. Mai 2020 unterbreitet werden.
Es ist dringend und wichtig, der Gesellschaft die PT-App so bald als möglich zur Verfügung zu stellen, um die schrittweise Lockerung des Lockdowns zu unterstützen. Vor dem Hintergrund, dass alle Anliegen der Motion letztlich erfüllt werden, beantragt der Bundesrat die Ablehnung der Motion.“
ANTRAG DES BUNDESRATES VOM 01.05.2020
„Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.“
Die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) hat im Rahmen einer Videokonferenz am 30.04.2020 getagt und behandelt:
Annahme der Motion (20.3168 mit 11 zu 1 Stimmen bei 1 Enthaltung.
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Quelle
LawMedia Redaktionsteam